Süddeutsche Zeitung

Auftritt in der Bundespressekonferenz:Piraten erklären, was Piratenpolitik ist

"Wir haben keine konkrete Lösung, weil es ein komplexes Thema ist": Die Piraten meistern nach ihrem Triumph bei der Berlin-Wahl ihren ersten Auftritt vor der Bundespressekonferenz. Antworten liefern sie kaum - aber sie haben gemerkt, dass Ehrlichkeit ihre stärkste Waffe ist.

Hannah Beitzer, Berlin

Ein bisschen sehen die Piraten aus, als könnten sie auch zu den jungen Liberalen gehören. Der Bundesvorsitzende Sebastian Nerz, ordentlich im Anzug, der zunächst noch ziemlich offensichtlich vom Blatt abliest. Die politische Geschäftsführerin Marina Weisband, eine 24-jährige Psychologiestudentin mit Flechtfrisur, die selbst noch auf die aggressivsten Fragen mit einem strahlenden Lächeln reagiert. Nur Andreas Baum, der Fraktionschef der Berliner Piraten, ist wie immer in T-Shirt und Sweatshirt-Jacke gekommen.

Es ist der erste Auftritt der Piraten in der Bundespressekonferenz. Hier, wo sonst Kanzlerin Angela Merkel, ihre Minister oder die etablierten Oppositionspolitiker von Grünen, SPD und Linken sich den Fragen der Hauptstadtjournalisten stellen, sitzen nun die jungen Wilden. 18 Tage nach ihrem Triumph bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin, bei der sie sensationelle 8,9 Prozent der Stimmen geholt haben, wollen sie erklären, was Piratenpolitik ist.

"Viele sehen Netzpolitik als eine Politik, die sich mit dem Spielzeug Internet beschäftigt. Dabei hat das Netz längst unsere Lebenswelt verändert", sagt Piratenchef Nerz. Es gehe dabei um Grundrechte, Bildung und soziale Teilhabe. "Wir sind keine Netzpartei, wir sind eine sozialliberale Grundrechtspartei."

Mit dieser Politik könnten die Piraten sogar regieren, denkt Sebastian Nerz - er kann sich vorstellen, nach der Wahl in Koalitionsverhandlungen zu gehen. Nun geht es allerdings in der Realpolitik nicht immer um Grundrechtfragen. Sondern um Fragen wie: Rettungsschirm ja oder nein? Afghanistan-Einsatz ja oder nein? Konkrete Antworten darauf haben die Piraten nicht.

"Aber muss eine Partei immer auf alles eine Antwort haben?", fragt Nerz. Sie seien eben noch eine junge Partei, der viele Antworten fehlten - "aber im Gegensatz zu den anderen stehen wir dazu". Selbst bei typischen Piratenthemen kommt wenig konkretes, beim Datenschutz zum Beispiel. "Wir haben keine konkrete Lösung, weil es ein komplexes Thema ist", sagt Nerz.

Wichtig sei ihnen, dass über Parteigrenzen hinweg diskutiert würde. "Das Links-Rechts-Schema ist überkommen", sagt Nerz. Sie fühlten sich in ihrer Sozialpolitik eher linken Ideen verpflichtet, die starke Ausrichtung auf Bürgerrechte sei jedoch eher liberal.

Die stärkste Waffe

Andere Themen ließen sich überhaupt nicht einordnen. Zum Beispiel Transparenz und Bürgerbeteiligung: "Im Moment spielt sich Politik doch irgendwo da oben ab", sagt Marina Weisband, "das ist doch kein Zustand, der haltbar ist." Deswegen hätten die Piraten eben kein ausgefeiltes Programm, "sondern ein Betriebssystem" - ihr Abstimmungsprogramm Liquid Feedback nämlich, das sie bereits zur internen Meinungsbildung nutzen.

Ihre Sitzungen protokollieren sie, die Niederschriften stellen sie ins Netz. Jeder kann sie kommentieren und Vorschläge unterbreiten, so dass mitunter ein ganz schönes Kuddelmuddel entsteht. "Das hindert uns manchmal daran, effizient zu sein", gibt Marina Weisband zu, "aber das ist uns die Transparenz wert." Im Moment versuchen sie, noch benutzerfreundlicher zu werden - "bei uns ist zwar alles online, aber man findet nichts", sagt Weisband und lächelt. Ehrlichkeit, das haben die Piraten gemerkt, ist ihre stärkste Waffe.

Wären jetzt Wahlen, dann würden die Piraten im Bundestag sitzen, Abgeordnete einer Partei, die viele bisher als reine Spaßtruppe abgetan haben. Nach dem aktuellen Forsa-Wahltrend kommen die Piraten auf acht Prozent - fünf Prozentpunkte mehr als die echten Liberalen.

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SZ vom 06.10.2011/woja
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