Auftragsmorde in Russland:Putins Schwäche

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Zahlreiche Auftragsmorde werfen ein schlechtes Licht auf Russland. Es wäre an der Zeit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu wagen. Doch selbst wenn Präsident Putin das wollte, wäre er dazu nicht mehr in der Lage.

Daniel Brössler

Sieben Schüsse haben dem Leben des Russen Alexander Samoilenko ein Ende bereitet. Das Mordopfer war Generaldirektor einer Gasfirma in der südrussischen Stadt Samara und somit kein Mann von nationaler Bedeutung. Sein Tod aber ist ein schlimmes Zeichen für das ganze Land, ein Zeichen dafür, dass die Serie der Auftragsmorde andauert.

Die Journalistin Anna Politkowskaja, der Bankmanager Alexander Plochin, der Vizechef der Nationalbank, Andrej Koslow, alle drei in den vergangenen Wochen umgebracht, sind nur die bekanntesten Fälle. Jeden Tag werden in Russland im Schnitt zwei Auftragsmorde begangen. Vor allem Geschäftsleute leben gefährlich im Reich des Wladimir Putin.

Auf diesen Staat aber ist kein Verlass, das zeigen nicht erst die Ereignisse der vergangenen Monate. Er schützt Unternehmer weder vor Korruption noch vor Killern. Das System erweist sich als weit weniger erfolgreich, als das selbstbewusste Auftreten Russlands in der Welt vermuten lässt.

Der Präsident trägt nicht die Verantwortung für das Werk bezahlter Killer, wohl aber dafür, dass diese meist straffrei ausgehen. Putins Anhänger sprechen mit großem Abscheu über die Ära von dessen Vorgänger Boris Jelzin. Putin habe das Chaos im Land beendet, den Bürgern endlich Ordnung und Sicherheit gebracht, sagen sie.

Die Morde an Samoilenko und Politkowskaja nähren Zweifel an dieser Darstellung und stärken den Verdacht, dass Putins Ordnung nicht wirklich Sicherheit gewährt. Angetreten war der russische Präsident einst mit dem Versprechen, eine "Diktatur des Gesetzes" zu errichten. Wer das als Bekenntnis zum Rechtsstaat verstand, ist enttäuscht worden.

Putin wollte einen starken Staat, gestärkt aber hat er vor allem die Staatsbeamten. Der riesige Apparat aus Polizei und Geheimdiensten dient nicht dem Bürger, sondern dessen Kontrolle. Behörden können walten, ohne eine unabhängige Justiz oder allzu kritische Journalisten fürchten zu müssen.

Putin hat die Macht in Moskau zentralisiert und in den Händen weniger konzentriert. Die Entscheidungsfindung ist undurchsichtig. Das Land wird geführt von einem geheimnisvollen Zirkel oder auch mehreren Zirkeln im und um den Kreml herum. Sie sind die Feinde der offenen Gesellschaft.

Oft heißt es, auch im Westen, Putin habe keine andere Wahl gehabt. Russland fehle eine Tradition der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Der Präsident habe zunächst den Staat vor dem drohenden Zerfall retten und die selbstherrlichen Oligarchen in die Schranken weisen müssen.

Etliche europäische Regierungen zeigten daher auch Verständnis für den manipulierten Prozess gegen den einstigen Milliardär Michail Chodorkowskij, der bestraft wurde für seinen Widerstand gegen das System Putin. Es ist wahr, dass der Kremlchef keine rechtsstaatliche Tradition vorgefunden hat. Doch gerade der Chodorkowskij-Prozess hat belegt, dass Putin auch nicht gewillt war, eine Tradition zu begründen. Wo kein Rechtsstaat ist, herrscht das Recht des Stärkeren. In Putins Logik ist das der Staat.

Auf diesen Staat aber ist kein Verlass, das zeigen nicht erst die Ereignisse der vergangenen Monate. Er schützt Unternehmer weder vor Korruption noch vor Killern. Das System erweist sich als weit weniger erfolgreich, als das selbstbewusste Auftreten Russlands in der Welt vermuten lässt.

Es stimmt, dass Russland eifrig seine Schulden begleicht. Es trifft auch zu, dass der Wohlstand vieler Russen wächst. Doch dies ist nicht das Verdienst des autoritären Staates. 1998 lag der Preis für ein Barrel Öl bei knapp über zwölf Dollar. Zur Zeit pendelt er um die 60 Dollar. Russland verdankt seinen Reichtum nicht der Weisheit Putins, sondern den hohen Erlösen aus Verkäufen von Öl und Gas.

Die gut gefüllte Staatskasse schafft einen sozialen Frieden, der eigentlich große Chancen birgt. Jetzt wäre die Zeit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu wagen. Doch selbst wenn Putin das wollte, wäre er in der ihm verbleibenden Zeit dazu nicht mehr in der Lage. Er hat auf Geheimdienste, Miliz und Militär gesetzt. So ist ein unheimliches Geflecht entstanden, das womöglich nicht einmal Putin selbst kontrolliert.

Deshalb wird die Machtübergabe im Jahr 2008 auch nur pro forma in Wahlen entschieden. In Wahrheit bekriegen sich schon jetzt verschiedene Clans, um Einfluss und vor allem Einkünfte auch für die Zeit nach Putin zu sichern. Einige der Gewalttaten der vergangenen Monate könnten im Zusammenhang zu diesen Machtkämpfen stehen. Die Auftragsmorde und auch der Gifttod des früheren KGB-Mannes Alexander Litwinenko schaffen jedenfalls - in alter Geheimdienst-Tradition - ein Klima der Verwirrung und Angst.

Und doch ist es so, dass viele Russen nicht in den Killern die Gefahr sehen, sondern in den Kritikern. Vor dem Mord an Anna Politkowskaja stand der Rufmord. Sie war eine Mahnerin, und Mahner gelten in Russland wieder als Abweichler und werden bestenfalls ignoriert. Darin liegt die größte Schwäche des angeblich so starken Staates, dem das Korrektiv durch freie Medien oder ein funktionierendes Parlament fehlt.

Unfähige Bürokraten müssen nur den Präsidenten fürchten, nicht die Öffentlichkeit. Der Präsident aber ist weder allwissend noch allmächtig. Schlimm ist, dass die Russen nicht wissen, was wirklich hinter den Kremlmauern vorgeht. Schlimmer ist, dass Putin nicht sehen will, was außerhalb des Kreml geschieht.

© SZ vom 6.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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