Weg aus der Grundsicherung:Kinder erschweren den Aufstieg

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Alleinerziehende müssen besonders häufig ihren Lohn aufstocken lassen. (Foto: Catherina Hess)

Viele Familien sind trotz Arbeit auf Hilfe vom Staat angewiesen. Eine Studie zeigt, woran das liegt - und wer besonders betroffen ist.

Von Roland Preuß, Berlin

Auf den ersten Blick wirkt es verwunderlich: Jahrelang sank die Zahl der Arbeitslosen, aus den Arbeitsagenturen waren fast nur noch Erfolgsmeldungen zu hören, Unternehmen warben sich gegenseitig Leute ab. Und dennoch gibt es etwa 860 000 Menschen in Deutschland, die von ihrer Arbeit nicht leben oder ihre Familien nicht ernähren können und deshalb zusätzlich Geld vom Jobcenter bekommen. Es sind die sogenannten Aufstocker.

Was ist typisch für sie? Wer schafft den Aufstieg und warum? Diese Fragen hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung untersucht. Am Mittwoch wurde die Studie veröffentlicht. Sie befasst sich damit indirekt mit einem zentralen Plan der neuen Koalition. Die Ampel will mithilfe eines Bürgergeldes den Weg aus der Staatshilfe ebnen und die durch Corona stark gewachsene Zahl der Langzeitarbeitslosen wieder senken.

Laut IAB erhöhen Kinder das Risiko, auf ergänzende Hilfe vom Staat, die Grundsicherung, angewiesen zu sein. Besonders Alleinerziehende geraten häufig in diese Lage, mehr als jede sechste Alleinerziehende mit Job - meist sind es Frauen - ist Aufstockerin. Sie benötigen in der Regel eine Vollzeitstelle, um es alleine zu schaffen, Teilzeit reicht nicht. Das aber ist gerade als alleiniger Elternteil besonders schwierig zu stemmen, weil Kinder betreut werden müssen und das Angebot hierfür durch Kitas oder nach dem Schulunterricht noch nicht reicht.

Wer arbeitet, dem zieht der Staat das meiste ab

Aber auch bei Familien mit beiden Elternteilen bedeuten Kinder häufig, dass der Gang zum Jobcenter nicht erspart bleibt. Auch dies hat oft mit der Betreuung des Nachwuchses zu tun und damit, dass zumindest ein Partner nicht oder nicht voll arbeitet. Die IAB-Fachleute haben über die Jahre 2010 bis 2019 hinweg beobachtet, wer es dank besserer oder mehr Arbeit aus der Grundsicherung herausschafft ("Aufstieg") und wer seinen Job verliert ("Abstieg").

Ergebnis: Paaren mit Kindern gelingt der Aufstieg viel seltener als Paaren ohne Kinder. Minijobs bieten besonders wenig Aufstiegsperspektiven, der bessere Weg nach oben sind Teilzeit- und Vollzeitjobs. Fast die Hälfte der Aufstocker (46 Prozent) arbeitet allerdings laut IAB in einem Minijob, mehr als drei Viertel erhielten einen Niedriglohn. Auch ein neuer Partner oder eine neue Partnerin können nicht nur das Beziehungs-, sondern auch das eigene Erwerbsleben beflügeln. Sie führen laut der Studie jedenfalls häufig, zu 40 Prozent, aus der Grundsicherung heraus.

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Auffällig ist: Viele Mütter und Väter arbeiten, obwohl ihnen das Jobcenter im Hartz-IV-System meist einen Großteil ihres Einkommens von der Staatshilfe abzieht. Das trifft auf fast ein Drittel aller Familien zu, die Grundsicherung beziehen. Laut Gesetz können Familien 100 Euro vom Verdienten behalten, vom Rest werden 80 Prozent angerechnet.

Das heißt zum Beispiel: Wer sich durch einen Minijob 450 Euro im Monat dazuverdient, hat davon letztlich lediglich 170 Euro. Trotzdem arbeiten 40 Prozent aller Alleinerziehenden, die Hartz IV beziehen. "Alleinerziehende haben eine hohe Motivation, erwerbstätig zu sein", sagte Anette Stein, die bei der Bertelsmann-Stiftung den Bereich Bildung leitet. Die neue Ampel-Regierung will die Zuverdienstregeln laut Koalitionsvertrag ändern und den Menschen mehr vom Selbstverdienten belassen.

"Die Studie unterstreicht, dass man Kinder durch eine eigene Grundsicherung unterstützen muss. Damit verbessert man ihre Bildungschancen und vermeidet ein Stigma", sagte Jürgen Schupp, Soziologieprofessor und Arbeitsmarktexperte an der FU Berlin. "Man muss Druck von den Familien nehmen." Die Pläne der Ampel-Koalition wiesen in die richtige Richtung, sagte Schupp. "Jetzt müssen sie auch umgesetzt werden."

In die gleiche Richtung gehen die Schlussfolgerungen der Bertelsmann-Stiftung. Anette Stein forderte ebenfalls eine bessere Unterstützung von Familien durch eine Kindergrundsicherung, also eine eigene Hilfe unabhängig von der Grundsicherung. Diese müsse mit dem Einkommen der Eltern abgeschmolzen werden. Nötig sei zudem ein Zurückdrängen von Minijobs und ein weiterer Ausbau der Betreuung in Kitas und Schulen. Dann könnten die Eltern guten Gewissens zur Arbeit gehen.

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