Aufstand in Syrien:Im Sicherheitsnetz der Interessen

Dreißig Jahre nach dem Massaker von Hama erheben sich die Syrer wieder in der Stadt, und diesmal kann das Regime nichts vertuschen. Doch Assads Macht in Syrien scheint gesichert - auch deshalb, weil jede Alternative große Gefahren birgt.

Rudolph Chimelli

Dreißig Jahre lang hatte kein Syrer von Hama gesprochen, aus Angst, nachdem Präsident Hafis al-Assad, der Vater des jetzigen Staatschefs, in jener Stadt 1982 einen Aufstand der Muslim-Brüder niederschlug und dabei Zehntausende abschlachten sowie die historische Altstadt einebnen ließ. Damals gab es weder Mobiltelefone noch Amateurvideos. Die Zensur funktionierte lückenlos. Es dauerte Wochen, bis die Welt bruchstückweise von dem Massaker erfuhr.

A poster of Syria's President Assad is held up as Syrians living in Jordan shout slogans during a demonstration in support of Assad in front of the Syrian embassy in Amman

Kinder mit dem Bild des Diktators: Baschar al-Assad bringt in Damaskus selbst Unterstützer auf die Straße, während in der Stadt Hama Hunderttausende gegen sein Regime demonstrieren.

(Foto: REUTERS)

Heute steht Syriens viertgrößte Stadt mit ihren 800.000 überwiegend sunnitischen Einwohnern wieder im Mittelpunkt des Aufruhrs gegen das Regime - und jeder weiß davon. Amerikas Botschafter Robert Ford hält sich seit Donnerstag in Hama auf, um - wie es in Washington heißt - Kontakt zur Opposition herzustellen. Sein französischer Kollege folgte ihm an Freitag. Damaskus verurteilt diese beispiellose Geste und spricht von "Anheizen der Spannungen".

Am Freitag vergangener Woche hatten sich auf dem zentralen Al-Atassi-Platz von Hama etwa 100.000 Menschen zur größten Protestversammlung im Lande seit Beginn der Unruhen versammelt. Danach setzte Baschar al-Assad den Gouverneur ab, der mit der Situation nicht fertig wurde. Panzer halten die Stadt umstellt, wurden aber seit ihrem überraschenden Rückzug in der vorletzten Woche nicht wieder vorgeschickt.

Ein neues Blutbad dürfte Assad nicht passen. Fast jeden Tag schießen seine Sicherheitskräfte irgendwo im Land, denn er weiß, dass seine Macht rasch zerfallen würde, wenn seine Gegner sähen, dass sie risikolos marschieren können. Aber er weiß auch, dass der von ihm erstrebte Dialog mit gemäßigten Oppositionellen nach einem brutalen Schlag in Hama keine Chance mehr hätte.

Hinzu kommt, dass Türken, arabische Nachbarn, Franzosen und bisher auch Amerikaner an einer Lösung basteln, die sein System von den übelsten Figuren säubern, ihn selber aber erhalten würde: Einen weniger Schlechten als ihn gibt es nicht. Nie hat Präsident Barack Obama gesagt "Assad muss gehen", wie er das dem libyschen Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi oder den vormaligen Staatschefs Ägyptens und Tunesiens verordnete. Obamas Sicherheitsberater Thomas Donilon sprach noch am Wochenende von "furchtbaren Fehlern" Assads, aber auch von der Hoffnung, dass Druck von außen zu "einer repräsentativeren Regierung" führen könne.

Stalinistische Strukturen

Bei den UN kann Assad auf den Schutz Russlands rechnen. Moskau will seine Flottenbasis in Tartus erhalten und sieht in Syriens Lage keine Bedrohung für die internationale Sicherheit. China, Indien, Südafrika und Brasilien teilen diese Haltung.

Noch immer glaubt Assad, dass eine schweigende Mehrheit der Syrer auf seiner Seite steht. Sie will nach seiner festen Überzeugung vor allem Stabilität, Sicherheit und die Erhaltung der staatlichen Einheit. Nichts wirkt auf die syrische Stadt-Bourgeoisie von Damaskus und Aleppo so abschreckend wie das irakische Beispiel mit der Gewalt zwischen konfessionellen oder ethnischen Gruppen: Auch Syrien in seinen jetzigen Grenzen ist eine koloniale Schöpfung.

In der Armee und den Sicherheitsdiensten, den wichtigsten Stützen des Regimes, sind keine Anzeichen von Spaltung sichtbar. Obwohl der Präsident zu erkennen gab, dass über den berüchtigten Artikel acht der Verfassung, der die Baath-Partei mit ihren stalinistischen Strukturen zum "Steuermann" für Staat und Gesellschaft ernennt, eventuell geredet werden könne, zeigt die Funktionärskaste keine Lust, die Macht zu teilen.

Allen Hoffnungen auf sofortige und grundlegende Reformen begegnet Assad nur mit Worten. Über das Wahlgesetz, die Bildung von Parteien, freie Medien, Dezentralisierung der Verwaltung hat der gerühmte "nationale Dialog" noch nicht einmal begonnen. Dabei sollen schon im August Wahlen stattfinden.

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