Süddeutsche Zeitung

Aufstand in Mali:Tuareg rufen eigenen Staat Azawad aus

"Wir erklären feierlich die Unabhängigkeit von Azawad": Tuareg-Rebellen haben im Norden von Mali einen eigenen Staat ausgerufen. International wächst nun die Angst vor einem unkontrollierbaren Scharia-Staat, Hilfsorganisationen warnen vor einer humanitären Katastrophe.

Azawad, das Reich der Tuareg. So heißt ihre Heimat, das karge Wüstenland im Norden Malis. Hier siedeln die Nomaden seit Jahrhunderten. Und nun soll ihr Staat so heißen: Azawad.

"Wir erklären feierlich die Unabhängigkeit von Azawad, die von heute an gilt", verkündet Mossa Ag Attaher, Sprecher der Nationalen Befreiungsbewegung von Azawad (MNLA), im Fernsehen. Auch in einer im Internet verbreiteten Erklärung geben die Tuareg-Rebellen die Unabhängigkeit von Azawad bekannt. International wächst nun die Angst vor einem neuen Problemstaat, Hilfsorganisationen warnen vor einer humanitären Katastrophe.

Der Vormarsch der Tuareg begann mit einem Militärputsch in der Hauptstadt Bamako: Am 22. März stürzten Soldaten unter ihrem Anführer Amadou Sanogo den Präsidenten Amadou Toumani Touré. Die Armee zog sich anschließend weitgehend aus dem Norden Malis zurück.

Das ermöglichte den Tuareg-Rebellen, angeführt von dem früheren Gaddafi-Getrauen Mohammed Ag Najem, ein schnelles Vorrücken: Die wichtigsten Städte der Region, Kidal, Gao und Timbuktu fielen schnell in die Hände der Tuareg. Im Süden Malis herrschen nun die Putschisten der Armee, im Norden die Tuareg.

Die Lage ist allerdings sehr unübersichtlich: Islamistische Gruppierungen unterstützten zunächst die Tuareg, sollen sich aber nun von den Nomaden distanziert haben.

Ein Sprecher der Gruppe Ansar Dine sagte am Freitag in einer Videobotschaft, erkenne die Unabhängigkeitserklärung der Tuareg nicht an. "Wir sind gegen Revolutionen, die nicht im Namen des Islam sind", sagte der Sprecher. Ziel sei es, das islamische Recht der Scharia zu verhängen. Bewohner berichteten, dass die Islamisten die MNLA aus Timbuktu verdrängt hätten. Eine weitere Islamistengruppe erklärte, die Kontrolle in Gao übernommen zu haben.

Die Tuareg erklärten zwar, dass der neue Staat im Einklang mit den Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen solle und alle Grenzen mit den Nachbarländern anerkannt würden. Doch international wachsen die Befürchtungen, dass in der Region ein unberechenbarer Scharia-Staat entstehen könnte.

Amnesty warnt vor "schwerer humanitäre Katastrophe"

Malis frühere Kolonialmacht Frankreich erklärte umgehend, eine Unabhängigkeitserklärung, die von den anderen afrikanischen Staaten nicht anerkannt werde, habe für die Regierung in Paris keinerlei Bedeutung. Die französische Regierung wolle die internationale Gemeinschaft gegen die "islamistische Gefahr" in der westafrikanischen Sahel-Zone und gegen den al-Qaida-Ableger im nordafrikanischen Maghreb mobilisieren, sagte Außenminister Alain Juppé. Einen Militäreinsatz gegen die Tuareg schloss Juppé allerdings aus. Der Weltsicherheitsrat hatte bereits am Mittwoch ein Papier verabschiedet, in der unter anderem die Angriffe der Tuareg scharf verurteilt wurde.

Amnesty International befürchtet nun eine "schwere humanitäre Katastrophe". In den von den Tuareg eroberten Städten habe es "Tage voller Plünderungen, Entführungen und Chaos" gegeben, die humanitäre Lage verschlechtere sich zusehends. In Gao sei die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen. Die Vorräte an Lebensmitteln und Medikamenten der Hilfsorganisationen seien geplündert worden. Die meisten Helfer seien geflüchtet. Zudem gebe es Berichte über Vergewaltigungen. Caritas International warnt, in Gao, Kidal und Timbuktu seien 90.000 Vertriebene ohne Hilfe.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1327191
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de/dpa/dpad/woja
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.