Aufstand in Iran:Sie wissen, was ihnen droht

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Massenproteste haben in Iran schon mehrfach zu tiefgreifenden Veränderungen geführt. Die Herrschenden wissen um die Macht der Straße - aber auch die Bevölkerung ist sich ihrer bewusst.

David Motadel

Innerhalb weniger Tage haben sich die Unruhen in Iran zum Massenprotest ausgeweitet. Alle Schichten und Altersklassen, zuletzt sogar Uniformierte und Geistliche, versammelten sich in den Städten des Landes, um ihrem Unmut Luft zu verschaffen. So vereint hatte sich eine Opposition zuletzt nur während der Revolution gegen den Schah gezeigt.

Aufstand in Iran: Aufruhr in Iran: Ein Demonstrant wirft ein Geschoss auf die Polizei.

Aufruhr in Iran: Ein Demonstrant wirft ein Geschoss auf die Polizei.

(Foto: Foto: AP)

Massenproteste haben in Iran jedoch eine Geschichte, die sehr viel weiter zurückreicht. Von europäischen Beobachtern häufig als fanatischer Mob verunglimpft, wurden Aufständische in der islamischen Welt von lokalen Machthabern stets als Abschaum in ausländischen Diensten gebrandmarkt. Für die Sympathisanten spiegelte sich in ihrem Protest hingegen die Stimme des Volkes wider.

Im Jahr 1968 veröffentlichte der iranische Historiker Ervand Abrahamian, der an amerikanischen Universitäten gelehrt hat, in der renommierten Zeitschrift Past & Present einen Aufsatz mit dem Titel "The Crowd in Iranian Politics, 1905-1953". Darin legte er dar, welch entscheidende Rolle der "Straße" in der jüngeren Geschichte Irans zukam.

Es ist durchaus eine Erfolgsgeschichte. Sie beginnt in den Jahren 1891-92, als die Iraner in der Tabak-Revolte, der ersten Massenbewegung Irans, den damaligen Shah Nasir al-Din dazu zwangen, der britischen Krone das Tabakmonopol zu entreißen.

Unmut über den Einfluss des Auslands zählte auch zu den Auslösern der Konstitutionellen Revolution zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Nachdem sich im April 1905 der Protest gegen den Leiter der staatlichen Zollabteilung, einen Belgier im Dienste des persischen Hofes, in Massendemonstrationen und einem Generalstreik entlud, erklärte der Schah sich schließlich dazu bereit, die Angelegenheit noch einmal überprüfen zu wollen.

Das Versprechen war jedoch rein taktischer Natur. Nichts passierte. Neun Monate später flammten die Unruhen erneut auf. Im Protestzug marschierten die Teheraner zur Schah-Abdul-Asim-Moschee außerhalb der Stadt. Dort harrten sie aus, bis der Schah ihren Forderung nachgab: Er befahl die Entlassung des belgischen Zollbeamten, die Absetzung des Gouverneurs von Teheran und die Schaffung eines "Hauses der Gerechtigkeit".

Doch das Volk war erneut getäuscht worden. Nach dem Ende des Streiks schienen alle Versprechen vergessen. In der Bevölkerung brodelte es. Im darauf folgenden Jahr brachen die Proteste erneut aus - intensiver denn je. Menschenmassen beherrschten die Straßen Teherans.

Tausende Protestler fanden Zuflucht in der heiligen Stadt Ghom, 14.000 weitere auf dem Gelände der britischen Botschaft. Dieses Mal verlangten sie eine Verfassung und ein Parlament. Die Unruhen dauerten drei weitere Jahre an.

Als der Schah zauderte, die Konstitution abzusegnen, kam es in den Städten erneut zu Protestmärschen. 1909 eskalierte die Lage schließlich endgültig. Kriegsrecht wurde ausgerufen. Am Ende war der Schah gezwungen, abzudanken und den Thron seinem zwölfjährigen Sohn zu überlassen.

Schah, Klerus und Opposition

Die "Straße" war zur mächtigsten Waffe der Opposition geworden. Und so sollte es von nun an bleiben. Besonders listig nutzte der Premierminister Mohammed Mossadegh in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg die Massen in seinem Kampf gegen die Macht des Schahs.

Um gegen die Einmischung des Monarchen in die Parlamentswahlen zu protestieren, rief Mossadegh im Oktober 1949 zum öffentlichen Protest auf. In den folgenden Wochen erhielt er nicht nur die Unterstützung von zahlreichen Politikern, sondern auch von den Massen auf der Straße.

Mit Hilfe von Streiks und Demonstrationen gelang es Mossadegh schließlich, den Posten des Premierministers zu übernehmen und sein Hauptanliegen, die Verstaatlichung des Erdöls, durchzusetzen.

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