Süddeutsche Zeitung

Aufstand in Ägypten:Nach Mubarak

Die Knüppel und die Panzer haben nichts genutzt, die Proteste gehen weiter. Ägyptens Präsident Hosni Mubarak muss endlich einsehen, dass seine Zeit abgelaufen ist. Doch wer soll das Land in die Demokratie führen?

Christiane Schlötzer

In Ägypten beginnt eine neue Zeitrechnung. Die Ära des Autokraten Hosni Mubarak ist zu Ende. 30 Jahre war Mubarak an der Macht, in nur einer Woche hat ihm sein Volk den Teppich unter dem Thron weggezogen. Damit steht in atemberaubend kurzer Zeit bereits das zweite Land im Nahen Osten vor einem Neuanfang. Und es könnte nicht der letzte Machtwechsel in der Region sein, der durch einen Volksaufstand erzwungen wird.

Jasmin ist ein besonderer Duft, der nicht so schnell verfliegt, wenn er erst einmal in der Luft hängt. Mubarak hatte viel dafür getan, dass in seinem Land die tunesische Jasmin-Revolution nicht Schule macht. Er schickte seine Polizeitruppen los, die das Volk mit Schlagstock und scharfer Munition von den Straßen treiben sollten - vergeblich. Er hat die Plätze von Kairo und Alexandria mit Panzern vollgestellt; aber die Bürger reichten den Soldaten Wasser und Brot, und die Männer an den Geschützen versprachen, lieber ihre Uniform auszuziehen, als auf Landsleute zu schießen.

Die Vorstellung, Mubarak hätte nach all dem bei der im September geplanten Präsidentschaftswahl wieder antreten können, war kühn. Das hat der 82-Jährige endlich auch verstanden. Es muss mühsam gewesen sein für Mubaraks unmittelbare Umgebung, den Mann so weit zu bringen. Das zeigt sein Rückzug auf Raten: erst der Verzicht auf eine neue Kandidatur, ein Rücktritt wäre damit konsequent. Und nur dies würde die Demonstranten zufriedenstellen, die schon jetzt Geschichte geschrieben haben.

Der Mubarak-Sprössling Gamal hatte rascher verstanden, dass seine Chancen auf eine dynastische Nachfolge im Jasminduft verflogen sind. Man hat von ihm in den vergangenen Tagen kein einziges Wort vernommen. Gemeldet hatten sich dafür andere, erst leise, dann lauter, und deren Stimmen konnte auch der greise Herrscher nicht überhören. Der wichtigste Verbündete Ägyptens heißt Amerika. Zwei Milliarden Dollar fließen jedes Jahr von Washington nach Kairo. Erst ließ John Kerry, Demokrat und wichtigster Außenpolitiker im Senat, am Dienstag via New York Times wissen, die Stabilität Ägyptens hänge davon ab, dass Mubarak "zur Seite" tritt. Dann wurde bekannt, dass Amerika längst mit einem der Oppositionsführer, mit Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei, spricht.

Die Demonstranten auf den Straßen Kairos haben das alles mit Genugtuung aufgenommen. Gleiches gilt für die Forderungen der Europäer nach Dialog und Demokratie. Aber eigentlich interessiert die breite Protestbewegung nur eines: Darf sie künftig selbst bestimmen, wer regiert und wer im Parlament sitzt? Das Parlament besteht seit der jüngsten von Mubarak massiv manipulierten Wahl im Dezember zu 80 Prozent aus Protegés und Parteigängern des Regimes. Weder von oben noch von außen möchten sich die frisch politisierten jungen Idealisten, der ungeduldige Mittelstand und all die anderen Unzufriedenen vorschreiben lassen, wer künftig die Macht haben soll.

Wem aber wird die Führungsrolle zufallen? Wer wird die Geschicke des bevölkerungsreichsten Landes der arabischen Welt bestimmen? Die Frage ist auch deshalb schwer zu beantworten, weil Wahlen in Ägypten schon lange nichts mehr über die Kräfteverhältnisse aussagen. Die große Mehrheit der Ägypter hat sich an Wahlen nicht mehr beteiligt, nachdem jeder wusste, dass es dabei extrem unfair zuging. Als der mutige Liberale Aiman Nur im Jahr 2005 gegen Mubarak kandidierte, landete er im Gefängnis.

Mit den Muslimbrüdern, die als Partei illegal sind, aber sogenannte unabhängige Abgeordnete stellen durften, spielte Mubarak Katz und Maus. Er ließ sie in Massen in die Gefängnisse werfen - und trieb mit brutaler Repression den Islamisten neue Anhänger zu. Gleichzeitig konnte er bei der Bestellung von US-Material auf die Bedrohung durch die frommen Fundamentalisten verweisen.

Der Islam hat in Ägypten viele Gesichter. Auch die Muslimbrüder sind gespalten in radikale und eher gemäßigte Kräfte. Ohne sie aber wird ein demokratischer Neuanfang nicht möglich sein, denn sie sind Teil der vielschichtigen ägyptischen Gesellschaft. ElBaradei war in dieser Gesellschaft bislang ein Außenseiter. Der im Westen geschätzte Ex-Chef der Wiener Atomenergiebehörde hat lange im Ausland gelebt. Mubarak aber erkannte rasch, dass ElBaradei ihm gefährlich werden könnte. Deshalb wollte er ihn mit allen Mitteln von einer Präsidentschaftskandidatur abhalten.

Nun aber werden die Karten in Kairo neu gemischt werden. ElBaradei könnte zu einer Führungsfigur werden, schon weil es wenig andere herausragende Persönlichkeiten gibt, die dem Protest Stimme und Gesicht geben. Die lange geknechteten Parteien verschiedener Couleur müssen sich erst neu sortieren. Und die Muslimbrüder stehen zunächst einmal in zweiter Reihe, weil sie wissen, dass einer der ihren als Präsident Ägyptens nicht mehrheitsfähig wäre.

Bleibt der starke Mann des alten Systems: Ex-Geheimdienstchef und nun Vizepräsident Omar Suleiman. Bei einer freien Wahl wären auch seine Chancen zweifelhaft. Ihm bleibt nur, den Übergang in ein demokratisches Ägypten mitzuorganisieren. Mubarak hat er schon gesagt, dass seine Zeit vorbei ist.

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Quelle:
SZ vom 02.02.2011/jab
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