Süddeutsche Zeitung

Aufstand gegen Assad:Chef der UN-Blauhelme spricht von Bürgerkrieg in Syrien

Erstmals seit Beginn der Rebellion gegen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad bezeichnet ein ranghoher UN-Vertreter den Konflikt als Bürgerkrieg. Inzwischen geht das Regime offenbar mit Kampfhubschraubern gegen die Bevölkerung vor - und erhält dafür nach Angaben des US-Außenministeriums Unterstützung aus Moskau.

15 Monate nach Beginn des Aufstandes gegen das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad spricht ein hoher UN-Vertreter erstmals von einem Bürgerkrieg. "Ich meine, dass das Ausmaß der Gewalt massiv zugenommen hat. So massiv, dass sich damit auch die Natur (der Kämpfe) verändert hat", sagte UN-Untergeneralsekretär Hervé Ladsous.

Den UN lägen Berichte vor, nach denen das Regime nicht mehr nur mit Artillerie und Panzern gegen die eigene Bevölkerung vorgehe, sondern inzwischen auch mit Kampfhubschraubern, sagte Ladsous. In der vergangenen Woche hatte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon noch von der "Gefahr eines Bürgerkriegs" gesprochen. Das Außenministerium in Damaskus widersprach Ladsous' Einschätzung. Sie entspreche nicht der Realität, erklärte das Ministerium.

Nach den schweren Kämpfen der vergangenen Tage haben sich die syrischen Rebellen nach eigenen Angaben in der Nacht aus der Ortschaft Al-Haffa zurückgezogen. Eine größere Gruppe von Zivilisten, darunter auch Verletzte, habe sich mit den Kämpfern aus dem Ort in der Provinz Latakia abgesetzt, sagten Vertreter der syrischen Opposition.

Regierungstruppen hatten den etwa 30.000 Einwohner zählenden Ort seit vergangenen Dienstag heftig beschossen und eingekreist. Dabei waren nach Angaben der Opposition auch Hubschrauber, Panzer und Raketen eingesetzt worden. "Wir haben uns zu einem taktischen Rückzug entschlossen, um Opfer unter den Zivilisten zu vermeiden", sagte der syrische Rebellenführer Riad al-Asaad. Al-Haffa liegt knapp 50 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt im Hinterland der syrischen Hafenstadt Latakia.

UN-Beobachter waren nach eigenen Angaben daran gehindert worden, nach Al-Haffa zu fahren. Sie seien von Unbekannten mit Steinen und Stangen angegriffen worden, teilten die Vereinten Nationen mit. Das syrische Staatsfernsehen berichtete, Fahrzeuge der UN-Beobachter hätten drei Zivilisten überfahren, die sie stoppen und erzählen wollten, wie sie von "bewaffneten Banden terrorisiert" würden. Menschenrechtsbeobachter befürchten unterdessen neue Massaker in Al-Haffa.

Nach Angaben von Oppositionellen kamen bei Kämpfen in ganz Syrien am Dienstag mindestens 50 Menschen ums Leben, davon allein 30 bei einem Artilleriebeschuss in der Provinz Deir as-Saur im Osten des Landes.

Kampfhubschrauber aus Moskau

Russland scheint derweil offenbar die Regierung mit Rüstungsexporten zu unterstützen. Nach Angaben der US-Regierung liefert Moskau Kampfhubschrauber an das Assad-Regime. Dies sei "der neueste Informationsstand", sagte Außenministerin Hillary Clinton. Die USA seien besorgt, dass eine neue Lieferung an Präsident Baschar Assad "den Konflikt ziemlich dramatisch eskalieren lassen" werde.

Die neuen Waffenlieferungen stünden im Widerspruch zu Beteuerungen Moskaus, dass dessen Militärexporte an Syrien "nicht gegen Zivilisten eingesetzt werden können", erklärte Außenamtssprecherin Victoria Nuland. Russland exportiert bereits seit längerem Rüstungsgüter nach Syrien.

In einer Rede am Brookings-Institut forderte Clinton Russland auf, gemeinsam mit den USA an einer politischen Lösung zu arbeiten. Russland hat sich wiederholt gegen ein militärisches Eingreifen der internationalen Gemeinschaft in Syrien ausgesprochen und im UN-Sicherheitsrat Resolutionen gegen das Land verhindert.

Auch al-Qaida meldet sich zu Wort

Am Mittwoch traf der russische Außenminister Sergej Lawrow traf am Mittwoch zu Krisengesprächen in Teheran ein. Moskau und Teheran sind Verbündete des syrischen Regimes von Machthaber Baschar al-Assad.

Auch die islamistische Terrororganisation al-Qaida mischt sich inzwischen in den Konflikt ein: Die Organisation verbreitet derzeit einen Aufruf zum bewaffneten Kampf gegen das Regime von Präsident Assad.

Die US-Regierung gibt dem Friedensplan des Syrien-Vermittlers Kofi Annan unterdessen nur noch vier Wochen Zeit für einen Erfolg. Zwar unterstützten die USA den Sechs-Punkte-Plan des Sondervermittlers voll, sagte US-Außenministerin Hillary Clinton. Aber Assads "Missachtung" des Friedensplans habe zu verstärkten internationalen Anstrengungen - auch unter Einbeziehung Russlands - geführt, einen politischen Übergang auszuarbeiten, für das, was auf Assad folge. Bis Mitte Juli muss der UN-Sicherheitsrat darüber entscheiden, ob er die Beobachter-Mission verlängert.

Immer mehr syrische Flüchtlinge versuchen sich vor den Kämpfen in die Türkei zu retten. Ein Vertreter des türkischen Außenministeriums teilte am Mittwoch mit, in den vergangenen zwei Tagen hätten etwa 2000 Flüchtlinge aus dem Nachbarland die Grenze passiert.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1381151
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de/dapd/dpa/joku/beiz
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.