Krieg in Libyen:Mit Rebellenflagge und Trikolore

Dank alliierter Deckung aus der Luft können die Gaddafi-Gegner die Städte Adschdabija, Brega und Ras Lanuf erobern - die Zuversicht der Aufständischen wächst.

Tomas Avenarius, Adschdabija

Attia Musa Mabruk ist erschöpft. Er sitzt auf einer Munitionskiste, balanciert eine Zigarette im Mundwinkel, wiegt sein Maschinengewehr in den tätowierten Armen. An der Straße vor ihm liegen die Wracks von drei ausgebrannten Panzern: Die Ketten sind gerissen, die Geschütztürme abgesprengt und meterweit durch die Luft geflogen. Der mehrere Zentimeter dicke Stahl der Kampffahrzeuge ist am Rumpf aufgerissen, der Innenraum verkohlt, davor liegen verstreut Uniformteile. "Nachdem die Flugzeuge die Gaddafi-Panzer bombardiert hatten, konnten wir Adschdabija einnehmen", sagt der libysche Rebellenkämpfer. Ein schlichter Satz, der einiges sagt: Dank der westlichen Luftunterstützung sind die libyschen Aufständischen wieder auf dem Vormarsch gegen die Truppen des Machthabers Muammar al-Gaddafi.

A man waves a French flag on top of a destroyed tank belonging to forces loyal to Libyan leader Muammar Gaddafi in Ajdabiyah

Von Kampfflugzeugen der Koalition zerstört: Zahlreiche Panzer der Gaddafi-Truppen blieben beim Angriff vor der libyschen Küstenstadt Adschdabija auf der Strecke. Es war der erste große Sieg der Rebellen seit Beginn der internationalen Luftschläge. Und sie scheinen zu wissen, wem sie das zu verdanken haben: Rebellen mit der französischen Tricolore auf einem zerstörten Panzer.

(Foto: REUTERS)

Das Blatt hat sich gewendet im libyschen Aufstand: Vor zehn Tagen beschossen die Truppen des Diktators die Rebellenhochburg Bengasi noch mit Artillerie und Raketen, Panzer regierungstreuer Truppen standen in den Außenbezirken der Stadt. Nur der Beschuss durch westliche Flugzeuge und Schiffe hat die vorrückenden Gegner aufgehalten; der Luftangriff französischer Jets auf Gaddafis Vorhut am Samstag vor einer Woche kam buchstäblich in letzter Minute.

Plötzlich weht in der Wüste der Wind des Wechsels

Die Felder mit den von den Franzosen zerstörten Feldhaubitzen und Grad-Raketenwerfern 15 Kilometer vor Bengasi sind inzwischen Ausflugsort für Familien. Dazwischen suchen Schrotthändler in den Wracks nach Verwertbarem, bauen angekokelte Lkw-Motoren aus. Die Front selbst verläuft längst viel weiter westlich. Die Rückeroberung der strategisch wichtigen Stadt Adschdabija war der erste militärische Erfolg der Regimegegner, seit die westlich-arabische Koalition in den Libyen-Krieg eingegriffen hat. Die Wüstenstadt kontrolliert den Zugang nach Bengasi und zum gesamten Osten des Landes. Adschdabija ist eine der Schlüsselstädte in dem Krieg zwischen den militärisch schlecht organisierten Rebellen im Osten Libyens und den Streitkräften des Machthabers. Diese sind gut bewaffnet und drohten, die Rebellen nach deren Anfangserfolgen zu überrollen.

Nach dem Fall von Adschdabija schöpften die Rebellen wieder Mut und eroberten mit alliierter Luftunterstützung am Wochenende auch die Ölstadt Brega. Kurz darauf marschierten sie weiter nach Westen und nahmen auch noch die Stadt Ras Lanuf mit ihren wichtigen Raffinerien ein. Nun wollen die Rebellen auf Gaddafis Heimatort Sirte marschieren - ein Sieg dort wäre von hoher symbolischer Bedeutung. Die "Truppen des 17. Februars" seien auf ihrem Weg in die Hauptstadt Tripolis nicht mehr aufzuhalten, sagte ein euphorischer Militärsprecher vor Journalisten in Bengasi. Militärisch herrsche in Libyen ein "Wind of change". "Sehr bald werden wir eine ähnliche Pressekonferenz in Tripolis abhalten, der befreiten Hauptstadt des freien Libyens", so der Sprecher.

Aus Koalitionsstreitkräften wird eine Kriegspartei

Das klingt gut. Es verschweigt aber das Entscheidende. Die französischen, britischen, amerikanischen und wenigen arabischen Jets schützen nicht mehr allein Zivilisten vor den Flugzeugen Gaddafis oder bombardieren Panzer, welche die Menschen direkt bedrohen. In Wahrheit macht die Koalition mit den gezielten Bombardements der Bodentruppen den schlecht bewaffneten Rebellen den Weg nach Tripolis frei. Waren die Aufständischen bisher Gaddafis überlegenen Waffen ausgesetzt, so hat sich die Lage nun grundsätzlich geändert: Ohne eigene Jets und Hubschrauber, die wegen der von der Koalition durchgesetzten Flugverbotszone nicht mehr aufsteigen können, werden die Regierungstruppen zum leichten Ziel der französischen und britischen Jets wie auch der Raketen, die von US-Kriegsschiffen abgefeuert werden. Damit könnten die Koalitionsstreitkräfte sehr schnell tiefer in den Konflikt verwickelt werden, als ursprünglich geplant. Sie werden de facto aktive Kriegspartei, übernehmen sozusagen die Rolle der fehlenden Luftwaffe der Rebellen.

Das wird neue Diskussionen im Streit um das Eingreifen auslösen: in den USA, der Nato, der EU und der Arabischen Liga. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hatte sich in seiner Resolution für eine Flugverbotszone über Libyen und für den Schutz der Zivilbevölkerung ausgesprochen. Von Regime-Wechsel war keine Rede; Russen, Chinesen und Deutsche hatten sich mit größten Bedenken bei der Abstimmung enthalten. Undurchschaubar ist, ob in Libyen auch am Boden zusammengearbeitet wird.

"Wir wissen, wann die Koalitionsflugzeuge kommen", sagt der Kämpfer Mabruk zwischen den Panzerwracks von Adschdabija. "Wir werden informiert, damit wir nicht selbst getroffen werden." Wahrscheinlich ist aber, dass die Unterstützung längst über Warnungen vor den Luftangriffen hinausgeht. Ein Sprecher des Rebellenmilitärs deutete an, es gebe Vereinbarungen, die Waffenlieferungen aus dem Ausland nach Libyen einschlössen. Er nannte keine Details. Es gibt aber Berichte über Waffenlieferungen aus dem Nachbarland Ägypten: Angeblich werden mit Billigung der USA Gewehre und Munition ins Land gebracht. Anzunehmen ist, dass zumindest einige wenige westliche Special Forces am Boden den Koalitions-Flugzeugen helfen, ihre Ziele zu finden. Und absehbar ist, dass Militärberater den Aufständischen bald helfen könnten, ihre Truppen besser zu organisieren und zu trainieren.

Die internationale Gemeinschaft und die in sich nach wie vor uneinig wirkende Koalition der Willigen mag sich streiten. Den Gaddafi-Gegnern hingegen wird all das recht sein: Dank seines kurz entschlossenen und hemdsärmeligen Vorgehens sehen sie in Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy längst ihren Retter.

Als die Kämpfer in Adschdabija einen beschädigten Gaddafi-Panzer zur Reparatur aufladen und der Tieflader sich in Richtung Bengasi in Bewegung setzt, hält ein Zivilist den Lkw im letzten Moment auf. Er klettert auf den Panzer und steckt unter dem Beifall der Umstehenden zwei Flaggen an den Geschützturm: Die Fahne der libyschen Aufständischen - und die französische Trikolore.

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