Aufstände gegen Diktatoren:Jung, frustriert, zu allem bereit

Tunesien, Ägypten, Jemen: Die arabischen Herrscher haben sich nur mit dem Machterhalt beschäftigt und versäumt, sich auf das 21. Jahrhundert einzulassen. Nun stellt die Jugend die Potentaten vor die Wahl: Reformen oder noch mehr Brutalität.

C. Schlötzer

In seinem Bestsellerroman "Der Jakubijan-Bau" beschreibt der ägyptische Schriftsteller Alaa al-Aswani ein Haus im Herzen Kairos. Die Armen leben zusammengedrängt in dunklen Kammern auf dem Dach, die Reichen in den großzügigen Altbauwohnungen in den Stockwerken darunter.

Aufstände gegen Diktatoren: Junge Frustrierte gegen alte Potentaten: In vielen arabischen Staaten gehen unzufriedene Menschen in diesen Tagen auf die Straße.

Junge Frustrierte gegen alte Potentaten: In vielen arabischen Staaten gehen unzufriedene Menschen in diesen Tagen auf die Straße.

(Foto: AP)

Die Habenichtse haben sich stets dem ergeben, was sie ihr Schicksal nennen. Bis einer die Demütigungen nicht mehr erträgt. Einer aus der jungen Generation, die viel besser ausgebildet ist als viele Generationen zuvor, und trotzdem keine Chance auf ein besseres Leben hat. Im Roman gerät alles aus den Fugen, das Leben des jungen Rebells und die alte Ordnung im großen Haus.

Der populäre Autor hält seiner Heimat den Spiegel vor, und anderen Gesellschaften im Nahen Osten gleich mit: Der lange Arm des Staates ist allgegenwärtig, aber nicht greifbar, die Polizei unfassbar brutal. Patronage und Korruption gehören zum Alltag wie Fladenbrot und Tee. Es sind frustrierte Gesellschaften. Besonders unzufrieden sind die jungen Leute, die sich mit all dem nicht mehr klaglos abfinden wollen, die sich nicht mehr fügen in ein von wem auch immer vorbestimmtes Schicksal.

Die Jungen haben es satt, die Accessoires des Aufstiegs in schwülstigen TV-Liebesdramen zu bewundern, während man sich selbst keine Hochzeit leisten kann, geschweige denn Wohnung oder Auto. Und Junge gibt es viele. 52 Prozent der Ägypter sind nicht einmal 25 Jahre alt. Im Durchschnitt sind die arabischen Völker noch jünger.

"Generation Mubarak" heißen die Jungen und gar nicht mehr so Jungen in Ägypten, weil sie in 30 Jahren nie einen anderen Herrscher als Hosni Mubarak er-lebt haben. Nun soll dieser Generation noch ein Generationswechsel zugemutet werden, der alles beim Alten lässt: Der Pharao im Greisenalter, wenn er denn die Wahl im September überhaupt zum Thronverzicht nutzen mag, hat schon seinen Sohn Gamal auf das Amt vorbereitet.

Im Jemen, wo Ali Abdullah Salih gar 32 Jahre an der Macht ist, und wo jetzt auch Zehntausende auf die Straßen gehen, stünde für den dynastischen Übergang Sohn Ahmed bereit. In Syrien liegt der Vater-Sohn-Transfer bereits gut zehn Jahre zurück, und die Hoffnung, der junge Assad würde die Zügel lockern, hat sich so rasch verflüchtigt wie ein Frühlingslüftchen.

Die jungen Frustrierten

Veränderungen gingen in den orientalischen Despotien bislang stets von oben aus. 1952 schickte das ägyptische Militär den korrupten König Faruk ins Exil. In Tunesien war nun das Militär zwar auch am klammheimlichen Abgang des Diktators beteiligt. Doch die Generäle wurden von einer Bewegung von unten motiviert. Ein Volksaufstand von solch revolutionärer Graswurzelkraft aber ist für die arabische Welt etwas völlig Neues.

Darauf war weder Zine el-Abidine Ben Ali in Tunesien vorbereitet, noch hat der Ägypter Mubarak damit gerechnet, dass sich so viele Menschen in seinem Land die Tunesier zum Vorbild nehmen würden. Sie gehen in Massen auf die Straßen, die jungen Frustrierten stets vorneweg. Unter ihnen sind in Ägypten wie in Tunesien viele Akademiker ohne Lohn und ohne Aussicht auf jene Freiheiten, die für Menschen im Westen und selbst in vielen Teilen Asiens heute selbstverständlich sind. "Wir wollen leben wie ihr", riefen tunesische Demonstranten europäischen Journalisten zu.

In Tunesien hatte das Regime von Ben Ali die Entstehung einer gut ausgebildeten Mittelschicht durchaus mitgefördert. Damit wuchs auch die Sehnsucht nach mehr Freizügigkeit, die aber wurde schlicht ignoriert. Dieser Widerspruch wurde dem Diktator ebenso zum Verhängnis wie die Demografie.

Vielen Unzufriedenen und Gedemütigten in der arabischen Welt blieb bislang nur die innere Emigration, nach dem Motto: lieber nichts wissen, sich lieber nicht engagieren. Der andere Weg führte aus dem Land - in die reale Emigration. Zuletzt hat Europa die Flüchlingsströme, die sich übers Mittelmeer wagen, recht erfolgreich abgewehrt und damit auch ein Frustrationsventil geschlossen.

Das Schicksal des Türhüters

In dem Roman des Ägypters al-Aswani hat der Sohn des Türhüters den Traum, Polizeioffizier zu werden. Weil er aber nur ein Türhüterkind ist, wird er trotz bester Noten abgewiesen. Ja, er gerät als Opfer in die Fänge der Polizei, wird schwer misshandelt. Sein Wunsch nach Rache führt ihn zu den Islamisten. Auch eine klassische Karriere der Frustrierten. In Tunesien skandierten die Revolutionäre aber keine religiösen Slogans, und auch in Kairo sah man in den ersten Reihen der Protestierenden bisher nicht viele Kopftücher, sondern junge Frauen mit offenem Haar.

Demonstrations that erupted following Friday prayers in Cairo

Junge Frustrierte gegen alte Potentaten: In vielen arabischen Staaten gehen unzufriedene Menschen in diesen Tagen auf die Straße.

(Foto: dpa)

Das Mubarak-Regime hat stets vor der islamistischen Gefahr gewarnt und so jede Unterdrückung gerechtfertigt. Aber für die bärtigen Muslimbrüder und ihre strengen Schwestern begeistert sich nur eine Minderheit der wütenden Jugend. Die anderen schätzen eher die Dinge, die für die Islamisten haram, tabu, sind: Rap-Musik oder YouTube.

Die neuen sozialen Medien haben einen bisher nicht gekannten panarabischen Kulturaustausch ermöglicht und sind ein exzellentes Mittel der Mobilisierung. Facebook-Foren machen Aufstände ohne Führungsfiguren möglich. Folterungen auf Polizeirevieren, gefilmt mit Handys, kann jeder im Internet anschauen. Protestaufrufe werden verbreitet, ohne dass die Urheber zu fassen sind.

Dass Ägypten am Freitag das Internet blockierte, wird die Sympathien für das Regime nur weiter schwinden lassen. Selbst im Gaza-Streifen lassen Studenten unter Tarnnamen im Internet ihrem Unmut freien Lauf: über die israelische Blockade, aber auch über die islamistische Hamas, die ihnen keinen Spaß gönnt. Wer solche Kritik bislang offen äußerte, konnte in Gaza sein Testament machen. Im Internet dagegen gibt es eine neue Freiheit, und mit dem Gebrauch dieser Freiheit, so scheint es, schwindet auch die Angst.

Angst ist eines der wichtigsten Herrschaftsmittel nahöstlicher Despotien. Die Angst braucht Helfer, einschüchternde Bürokratien und willkürliche Gewalt. Wenn die bleierne Angst weicht, wird es gefährlich für die versteinerten Potentaten. Das heißt nicht, dass ein Regime wie in Ägypten über Nacht fällt, wie die Diktatur in Tunesien, die nach 23 Jahren einstürzte wie ein Kartenhaus. Die Macht hat in Kairo mehr Pfeiler als in Tunis.

Die arabischen Nationen stehen vor einem Umbruch. Ihre Herrscher waren vorwiegend mit dem Machterhalt beschäftigt. Sie haben es versäumt, sich auf das 21. Jahrhundert einzulassen - auf die Globalisierung, die Sehnsucht nach Freiheit und Selbstbestimmung.

In den Ölmonarchien am Golf, im neuen Arabien, haben die Scheichs trotz Finanzkrise noch genug zu verteilen, um ihre kleinen Völker ruhigzuhalten. Im alten Arabien aber stehen die Potentaten vor der Wahl: Reformen oder noch mehr Brutalität. Brutalität aber führt nur zu noch größerer Frustration. Deshalb: Wenn die Mubaraks und Salihs nicht von dieser Welle erfasst werden, wird sie die nächste Woge wegspülen. Das Ende der alten Dynastien scheint gewiss zu sein.

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