Aufruhr in Frankreich:Sturmlauf gegen Sarkozys Prestigeprojekt

Mit einem nationalen Protesttag kämpft Frankreichs Opposition gegen die Erhöhung des Rentenalters auf 62 Jahre. Dabei ist das Rentensystem reformbedürftig.

Michael Kläsgen und Stefan Ulrich

Die beiden wichtigsten Berater von Präsident Nicolas Sarkozy haben die Verschwiegenheit des Élysée-Palastes verlassen und sich in die Medienöffentlichkeit begeben - ein untrügliches Zeichen, dass es ernst wird in Frankreich. Diesen Dienstag kommt es im Parlament und auf den Straßen zur großen Auseinandersetzung über die von der Regierung geplante Rentenreform.

France's President Sarkozy visits nuclear plants pipes manufacturer Valinox

Wieder in der Kritik: Frankreichs Präsident Nicholas Sarkozy muss seine Rentenreform verteidigen.

(Foto: REUTERS)

Da wollten Claude Guéant, der Generalsekretär des Élysée, und Henri Guaino, der Sonderberater des Präsidenten, vorab Orientierungshilfe geben. Über Details könne man mit der Opposition und den Gewerkschaften reden, sagten die beiden. Der Kern der Reform aber sei tabu: Das Renteneintrittsalter werde von 60 auf 62 Jahren angehoben. Denn dies sei unerlässlich.

Hoffnung auf zwei Millionen Menschen

Nun gilt die "Rente mit 60" in Frankreich nicht als irgendeine sozialpolitische Chiffre, sondern als Errungenschaft, die manche Bürger sogar als "Menschenrecht" ansehen, wie es in einem Kommentar der Zeitung Libération heißt. Daher rufen die linken Oppositionsparteien und die Gewerkschaften nun zum Kampf gegen die Regierungspläne auf. Sie haben, auf Umfragen gestützt, den Eindruck, die Mehrheit der Bürger hinter sich zu haben. So wollen sie der ohnehin geschwächten Regierung Sarkozy bei der Rente eine entscheidende Niederlage bereiten.

Für diesen Dienstag haben sie zum nationalen Protesttag aufgerufen. In Schulen, bei der Bahn, im Nahverkehr, bei Radio und Fernsehen und in vielen anderen Einrichtungen wird gestreikt; und die Linke hofft, landesweit mehr als zwei Millionen Menschen zu Demonstrationen auf die Straßen zu bringen.

Zeitgleich beginnt am Dienstag Nachmittag im Palais Bourbon, dem Sitz der Nationalversammlung, die parlamentarische Debatte. Arbeitsminister Éric Woerth muss die Rentenreform gegen die geballte Opposition verteidigen. Ausgerechnet Woerth. Der Minister ist wegen der Bettencourt-Affäre angeschlagen, die Gewerkschaften betrachten ihn nicht mehr als geeigneten Verhandlungspartner. Doch noch hat Woerth den Rückhalt des Präsidenten. Zudem wird Premier François Fillon seinem Arbeitsminister in den kommenden Tagen zur Seite springen. Schließlich geht es bei der Erneuerung des Rentensystems um das wohl wichtigste Projekt in Sarkozys Amtszeit.

Vergleichsweise bescheiden

Die Regierung argumentiert, die Reform sei nötig, um in Zeiten steigender Lebenserwartung das Rentensystem zu finanzieren. Sie verweist auf das Ausland und erklärt die Rente mit 60 zum Anachronismus. Nimmt man nur das offizielle Rentenalter, sieht der Abstand zwischen Frankreich und anderen europäischen Ländern tatsächlich sehr groß aus. Die Niederlande, Dänemark, Norwegen, Spanien und Deutschland haben etwa beschlossen, das Rentenalter auf 67 Jahre zu erhöhen.

Die sukzessive Anhebung in Frankreich auf 62 Jahre bis 2018 nimmt sich im Vergleich dazu bescheiden aus. Betrachtet man aber das reale Renteneintrittsalter, schrumpft der Unterschied. So gehen laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Männer in Deutschland im Schnitt mit 62,1 Jahren in Rente, Franzosen hingegen mit 58,7 Jahren, also etwa drei Jahre früher.

Reformbedürftiges System

Was das französische Rentensystem reformbedürftig macht, sind mehrere Besonderheiten: Sowohl die Lebenserwartung als auch die Renten sind vergleichsweise hoch, die Beschäftigungsquote der mehr als 55-Jährigen ist aber so gering wie in kaum einem anderen Land Europas. Infolgedessen klafft in der Rentenkasse derzeit ein Loch von geschätzt mehr als 32 Milliarden Euro, das sich Jahr für Jahr weiter ausdehnt.

Innerhalb des Systems fallen zudem eine Vielzahl von Sonderregeln und Mehrfachrenten für bestimmte Berufsgruppen auf. Daraus ergeben sich erhebliche Unterschiede zwischen einzelnen Personengruppen, etwa zwischen Privatbeschäftigten einerseits und den 5,3 Millionen Beamten andererseits. Die Beamten gehen noch früher als der Durchschnittsfranzose in Pension, obwohl sie weniger einzahlen als der Rest.

Regierung will Finanzloch stopfen

Zudem gelten als Grundlage für die Berechnung ihrer Pension die letzten sechs Beitragsmonate, weshalb der Pensionierung oft eine Beförderung vorausgeht. Im Privatsektor sind die besten 25 Erwerbsjahre ausschlaggebend. In der Kritik stehen vor allem die Rentenvorteile für Lokführer, Fluglotsen oder Zöllner, die sich mitunter mit 50 Jahren pensionieren lassen können.

Die Regierung will die Rentensysteme nun einander angleichen. Den Gewerkschaften bietet sie als Kompromiss an, manche Privilegien durch neue Zumutbarkeitsregelungen für bestimmte Berufe zu ersetzen, so dass in Härtefällen weiterhin ein Rentenalter von 60 Jahren gilt. Die volle Rente sollen die Beschäftigten allerdings entweder erst ab 67 Jahren erhalten oder wenn sie vorher 41 Jahre (ab 2012) beziehungsweise 41,5 Jahre (ab 2018) in die Rentenkasse gezahlt haben.

Mit der Anhebung des Rentenalters und der Verlängerung der Beitragszeiten will die Regierung fast die Hälfte des Rentenlochs stopfen. Ein weiterer Teil soll aus einem Sondervermögen des Staats kommen. Kleinere Summen sollen durch etwas höhere Steuern für Unternehmer und Großverdiener aufgebracht werden. Geplant ist, den Spitzensteuersatz zu erhöhen, Aktienoptionen, Kapitalerträge und sogenannte Goldene Handschläge für Manager höher zu besteuern.

Die linke Opposition hält die Regierungspläne für sozial ungerecht und ungeeignet und will ihnen ein eigenes Konzept entgegensetzen, das vor allem auf höhere Steuern und Beiträge setzt. Jean-François Copé, der Fraktionschef der regierenden UMP-Partei, rechnet damit, dass die Linke "schwere Artillerie" im Parlament auffahren wird.

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