Aufruhr in Ägypten:Der Präsident schlägt zurück

Ägyptens Autokrat Hosni Mubarak lehnt sich zurück und lässt auf dem "Platz der Befreiung", bislang Zentrum der Proteste, Regierungsgegner und bezahlte Prügeltrupps aufeinander losgehen. Auch das Militär greift nicht ein. Es könnte der Anfang vom Ende sein - für Mubarak oder den Umsturz.

Tomas Avenarius, Kairo

Ismail Etman, der ungerührte Schicksalsbote: "Die ägyptischen Streitkräfte appellieren an die aufgeklärte und verständige Jugend, die ehrenwerten Männer Ägyptens", sagte der ägyptische Armeesprecher. "Ihr müsst in die Zukunft schauen und an die Nation denken." Ohne jede Mimik fuhr er fort, in die Kamera des staatlichen Fernsehens zu sprechen: "Eure Botschaft wurde gehört, eure Forderungen wurden verstanden." Etmans Aufforderung an die seit einer Woche in Kairo demonstrierenden Regimegegner war unmissverständlich: "Kehrt zurück in euer normales Leben."

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(Foto: Graphik: SZ)

Wenige Stunden später brach auf dem Tahrir-Platz ein kleiner, ein innerägyptischer Krieg aus: Mehrere tausend Anhänger von Präsident Hosni Mubarak gingen auf dem zentralen Platz auf die Anti-Mubarak-Demonstranten los, mit Messern, Knüppeln, manche mit Pistolen. Männer zu Pferd und auf Kamelen prügelten mit Eisenstangen. Die überrumpelten Regimegegner warfen mit Steinen zurück, versuchten sich zu formieren, flohen. Die Panzer der Armee standen dazwischen, bewegten sich nicht. Ägyptens Soldaten, die auf ihr Volk nicht schießen wollen, schritten nicht ein. Sie ließen eine Straßenschlacht zu, an deren Ende unzählige Opfer stehen könnten. Das könnte der Anfang vom Ende der Revolte gegen Mubarak sein - oder Mubaraks eigenes Ende beschleunigen.

Hinter der Anarchie und Gewalt auf dem Tahrir-Platz zeichnet sich das Kalkül des Taktikers im Präsidentenpalast ab. Er mobilisiert das eigene Lager, hetzt die verschiedenen Gruppen seines Volkes aufeinander, um seine Macht zu wahren. Am Montagabend hatte der Armeesprecher den Bürgern mit demselben unbewegtem Gesicht eine andere, eine friedliche Botschaft übermittelt: "Die Armee versteht die legitimen Rechte des ägyptischen Volkes. Sie hat nie auf das Volk geschossen und sie wird nicht auf das Volk schießen." Über Nacht aber positionierten die Streitkräfte sich neu: Sie lassen dem Mubarak-Regime und seinen von der Regierungspartei NDP auf die Straße gebrachten Anhängern freie Hand, die Proteste gegen den Staatschef mit Gewalt zu beenden; weshalb die Gegendemonstranten auf dem Tahrir immer wieder brüllten: "Haut ab, haut ab."

Die Botschaft der Streitkräfte an die Opposition war: Die von Mubarak versprochenen Reformen müssen reichen. Die Opposition soll sich nun an Verhandlungen versuchen und die Entscheidung nicht länger auf der Straße suchen. Der Staatschef hat sich am Dienstag im Fernsehen halbwegs einsichtig gezeigt: "Ich strebe keine weitere Amtszeit an. Ich habe das nie im Sinn gehabt." Es folgte eine Liste mit Versprechen: Verfassungsreform, Arbeitsplätze, Inflationsbekämpfung, Bürgerpolizei. "Ich werde die verbleibenden Monate dafür arbeiten, die notwendigen Schritte für einen friedlichen Transfer der Macht einzuleiten", sagt der 82-Jährige mit Blick auf die für Herbst angesetzte Präsidentenwahl. Er stellte aber klar, dass er nicht vorzeitig abtreten oder ins Exil gehen werde: "Ich werde auf ägyptischer Erde sterben."

Die Partei im Gegenangriff

Auch Mubaraks Nationaldemokratische Partei NDP, die durch die Proteste schwer angeschlagen ist, hatte sich da wieder im Griff: Vertreter der Partei meldeten sich zu Wort, NDP-Gegendemonstranten zeigten sich in Kairo und anderen ägyptischen Städten in wachsender Zahl. Nachdem die Polizei die Regimegegner mit Beginn der Proteste nicht hatte niederringen können, setzt Mubarak nun den Parteiapparat ein, unterstützt offenbar von Zivilpolizisten. Die NDP, deren Zentrale in Kairo von den Demonstranten schon am Freitag in Brand gesteckt worden war, schlägt zurück.

Die Entscheidung der Armee

All dies wäre ohne den Sinneswandel der Armeeführung undenkbar gewesen. Am Vortag waren Bilder aus Alexandria zu sehen gewesen: Kleine Gruppen von Mubarak-Unterstützern hatten Demonstranten im Zentrum der Stadt angegriffen. Zwischen den feindlichen Lagern stand ein Panzer. Die Besatzung versuchte vergeblich, die Kämpfenden zu trennen, fuhr hilflos zwischen ihnen auf und ab, feuerte mit dem Maschinengewehr in die Luft. Der riesige Abrams-Panzer erwies sich als wirkungslose Abschreckungswaffe. Das Militär ist keine Polizeitruppe: Ihm fehlen die Mittel, bei Straßenschlachten mit abgestuftem Gewalteinsatz zu intervenieren. Wenn Ägyptens Bürger aufeinander losgehen sollten, können die Truppen nur tatenlos zusehen oder müssen schießen.

Ägyptens Armee hat sich entschieden. Sie stellt sich hinter den angeschlagenen Staatschef - und macht sich selbst die Finger nicht schmutzig. Das überlässt sie den vom Regime mobilisierten Mubarak-Anhängern. Die NDP hat drei Millionen Mitglieder, sie verfügt über einen riesigen Apparat im Land.

Sie hatte schon früher Leute vor allem aus den Elendsvierteln und unter der Landbevölkerung angeworben, für ein paar Pfund: Bezahlte Pro-Regierungsdemonstrationen waren Alltag, bei Wahlen wurden die Unterstützer in Bussen bis vor die Wahllokale gefahren, um Oppositionsanhänger abzuschrecken. Bei Anti-Mubarak-Demonstrationen prügelten sie auf die stets kleine Zahl von Regimegegnern ein.

Es sind dieselben Leute, die nun zu Zehntausenden in Kairo und den anderen Städten auftauchten und sich auf die bisher friedlich protestierenden Regimegegner stürzten: Bauern und junge Männer aus den Armenvierteln, aufgehetzt und aggressiv, formiert um die Kader der NDP. Parteivertreter hatten schon am Vorabend nach der Rede damit begonnen, den Staatschef als einzigen Garanten der Stabilität darzustellen und die Bürger mit dem Szenario von Anarchie und Chaos zu verängstigen. Seit Tagen senden die Staatsmedien Berichte, die an die Ängste der schweigenden Mehrheit appellieren. Der Landesvater Mubarak sei der Einzige, der Ägyptens Einheit schützen könne. Ab und an kamen dazwischen alte Fernsehbilder: Jubeldemonstrationen für Hosni Mubarak.

Dabei hatte die Opposition bisher die richtige Taktik. Sie war einfach: Die aus den verschiedensten Gruppen zusammengesetzten Regimegegner wollten den Tahrir-Platz besetzen, bis Mubarak abtritt. Die Parole lautete: ausharren, auf seine Verhandlungsangebote nicht eingehen, allen Zwist innerhalb der Opposition vermeiden. Am Dienstag waren mindestens eine Viertelmillion Menschen auf dem Tahrir zusammengekommen, Säkulare und Islamisten hatten einstimmig und friedlich den Sturz des Autokraten gefordert. Am Mittwochmorgen aber waren viele Demonstranten wieder nach Hause gegangen. Nur wenige Zehntausend verblieben auf dem Platz. Das war Mubaraks Stunde.

So drohte der Opposition am Mittwoch die Gefahr, den zum Symbol gewordenen Befreiungsplatz binnen weniger Stunden wieder zu verlieren. Das wäre der halbe Sieg für den Präsidenten, der schon so kurz vor dem Aus schien. Das Kalkül könnte aufgehen: Unter Druck vom Volk und der eigenen, unentschiedenen Armee mobilisiert der Staatschef mit Hilfe der NDP seine eigenen Massen. Die konziliante Rede des Autokraten dürfte zu einem guten Stück reine Ablenkung gewesen sein. Mubarak, der von den USA und der internationalen Staatengemeinschaft unverhohlen gedrängt wird, seinen Sessel zu räumen, setzt nun auf bewährte Methoden. Er wiegelt die schweigende Mehrheit gegen die Protestierenden auf. Mit Schlägertrupps als Vorhut seiner Konterrevolution.

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