Aufruhr am Nil:Karawane der Konterrevolution

Auf Kamelen und Pferden machen Mubarak-Anhänger im Zentrum der ägyptischen Hauptstadt Jagd auf Oppositionelle. Der "Platz der Freiheit" wird den Protestierenden zur Falle.

Sonja Zekri, Kairo

Plötzlich sind sie wieder da. Wälzen sich unter Hupen und Johlen in einem Autokorso durch die Straßen. Haben Papiere hinter die Windschutzscheiben geklemmt: "Für Stabilität! Für Ägypten!" Oder auch nur: "Sorry Mubarak!" Sie reiten auf Kamelen, auf Pferden, im Sattel stehend und schwingen die Peitsche, manche rollen in Kutschen heran. Es ist eine Karawane der Konterrevolution, die die Straße wiedererobert, die Fernsehbilder, am Ende auch den Tahrir-Platz, den Platz der Befreiung, den Platz, an dem bunte Opposition eine Woche lang um die Absetzung des ägyptischen Präsidenten rang. Und am Mittwoch, vielleicht, verlor.

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(Foto: Graphik: SZ)

"Er ist wie ein Vater für uns, er hat mir alles gegeben. Alles, was ich bin, verdanke ich ihm: Meine Ausbildung an einer staatlichen Universität, keinen Piaster habe ich dafür gezahlt! Jahrzehnte an Sicherheit und Stabilität. Ich bin 28 Jahre alt, er ist bei mir mein ganzes Leben, ich liebe ihn!", sagt Amr Mohammed und küsst ein Porträt des Greises, den noch vor wenigen Stunden viele abgeschrieben hatten. Mohammed bewertet Finanzrisiken für die Nationalbank, seit Tagen sieht er die Kurse stürzen und wie das Land Milliarden verliert: "Wer zahlt den Preis für all das? Wir, wer sonst."

Und, nein, er sei kein Mitglied der Mubarak-Partei NDP. Am Vortag hatte die Opposition beim "Marsch der Million" eine riesige Menschenmenge zum volksfestartigen Protest versammelt. Nun lautet einer der Slogans: "Sie sind eine Million, aber wir 80 Millionen." Andere gifteten gegen die Opposition - bei den unabhängigen Fernsehsendern und im Ausland, von al-Dschasira über Israel bis Amerika. Ginge es nach Amr Mohammed, bliebe Mubarak nicht nur über die nächsten Wahlen hinaus, er bliebe bis an sein Lebensende. "Danach könnten wir ja einen neuen Präsidenten in freien Wahlen bestimmen."

Am Dienstagabend hatte Mubarak eine Rede gehalten, in der er Reformen versprochen hatte, aber auch die Opposition als "manipulierte" Büttel "politischer Kräfte" beschimpft hatte, die Chaos und Not über das Land gebracht hätten. Am Mittwochmorgen forderte die Armee die Demonstranten auf, den Tahrir-Platz zu räumen. Danach gab es kein Halten mehr. Hunderttausende Mubarak-Anhänger zogen unter Jubel in die Stadt, mit Pferd und Kamelen und einer mörderischen Wut im Bauch.

Besetzung ohne Evakuierungsplan

Unter den Augen der tatenlosen Soldaten auf ihren Panzern fielen sie mit Messern und Knüppeln über die Demonstranten war, die Mubarak bei einer Live-Übertragung seiner Rede ausgebuht hatten. "Sie sind von allen Seiten gekommen, sie wollen den Tahrir-Platz zurückerobern, damit das Gleichgewicht wieder hergestellt ist", sagt George, ein Augenzeuge, am Telefon. Nach Stunden der Kämpfe, vor allem auf dem Vorplatz des Ägyptischen Museums, hielten sich die Mubarak-Gegner am Abend noch immer auf dem Platz. "Wie sollen wir auch rauskommen? In jeder Straße stehen fünfzig, hundert Mubarak-Leute. Es gibt keinen Evakuierungsplan", sagt George. "Wenn wir jetzt aufgeben, ist die Revolution vorbei."

Mit Fäusten, Stöcken und Tritten droschen die Mubarak-Getreuen auf die am Boden Liegenden ein. Im Fernsehen hielten Demonstranten Polizeiausweise in die Kamera, die sie den Angreifern abgenommen hatten. Kurz darauf dementierte das Innenministerium, dass die Schläger aus seinen Reihen stammten. Der Tahrir-Platz, ein Kessel aus Verwaltungsgebäuden wie der Mogamma, dem stark bewachten Ägyptischen Museum und hohen Wohnhäusern, dessen Zugänge seit Tagen von Panzern blockiert werden, wurde zur Falle. Blutende Menschen schleppten sich vom Platz. Medien berichteten von Schüssen. Das deutsche Fernsehen wurde nach Angaben der Botschaft evakuiert, eine ZDF-Fernsehjournalistin soll verhaftet worden sein. Der Tag der Abrechnung war gekommen.

Hunderttausende hatten sich zuvor etwa im wohlhabenden Vorort Mohandeseen getroffen, beschimpften die Demonstranten als vaterlandslose "Verräter" und warfen sich vor ihrem Präsidenten in den Staub. Ein hoch gewachsener Alter in der Galabija, dem langen Gewand der Landbevölkerung, ist am Morgen aus dem Dorf Aussin 30 Kilometer mit dem Bus in die Hauptstadt gefahren - die Züge fahren noch immer nicht: "Ich wäre auch gelaufen! Wir lieben diesen Präsidenten, wir sollten ihm die Schuhe küssen", sagt er: "Die, die auf dem Tahrir-Platz demonstrieren, sind jung, 27, 28 Jahre. Sie wissen nicht wie es vor Mubarak war, die Armut, die Kriege. Er hat das Land aufgebaut. Heute hat jeder zu essen, jeder hat ein Handy, was wollen sie noch?"

Die Stunde der Regimetreuen

Seit Tagen war kaum ein Polizist auf den Straßen zu sehen gewesen, waren die Beamten, die als Folterer und Schläger gefürchtet sind, praktisch von der Bildfläche verschwunden, und die Ägypter hatten ihre Quartiere auf eigene Faust beschützt, in bemerkenswert effektiven Bürgerwehren. Mehr noch: Ägyptische Medien hatten berichtet, dass die Sicherheitskräfte gezielt Kriminelle auf das eigene Volk gehetzt hatten. Auf der Gameat-el-Dowal-Straße in Mohandeseen aber bejubelten die Mubarak-Anhänger ein blaues Polizeiauto, als kehrte eine siegreiche Truppe in die Heimat zurück.

Mittendrin schiebt sich eine Gruppe schwarzgekleideter koptischer Priester durch das Gewühl. Der Klerus hatte zur Zurückhaltung aufgerufen - zur Erbitterung vieler christlicher Jugendlicher. Mubarak galt den Geistlichen als Bollwerk gegen die Islamisten, und für die junge koptische Englischstudentin Martina Adly ist er das noch heute: "Mubarak hat die Kopten beschützt", sagt sie. Tagelang habe sie sich nicht getraut, ihre Unterstützung für Mubarak zu zeigen. Aber nun, nach der Rede des Präsidenten, habe sie keine Angst mehr.

"Haben Sie Mubaraks Rede gehört? Die Menschen haben geweint in den Häusern Ägyptens, die Männer und die Frauen", sagt Mohammed Ateja. Der Vergleich mit Gamal Abdel Nasser macht die Runde, der nach der Niederlage im Sechs-Tage-Krieg 1967 vor sein Volk trat und sich entschuldigt hatte. Ateja hat sich noch immer nicht beruhigt: "Er ist ein Kriegsheld, ein Garant für Stabilität hier und in der Region!" Am Mittwochnachmittag war davon wenig zu spüren. Anhänger und Gegner Mubaraks standen sich auf dem Tahrir-Platz gegenüber, verbarrikadiert hinter Lastwagen, dazwischen nichts als Hass und die Vorahnung von einem Bürgerkrieg.

Tagelang hatten die staatlichen Fernsehkanäle gegen den Aufstand gehetzt. Mustafa Mustafa Ali, der nichts anderes schaut, gehört zu den wenigen Mubarak-Anhängern, die dennoch ein gutes Haar an der Opposition lassen: "Wir sind ja froh, dass sie Mubarak zu Zugeständnissen bewegt hat. Wir dachten, er würde seinen Sohn Gamal als Nachfolger einsetzen - das ist nun vom Tisch." Das Land habe sich verändert, es ist jetzt reif für Demokratie. Nun aber sei es genug, sagt er, nun müsse wieder Ruhe einkehren. Ali ist Reiseleiter. Seit Tagen aber fliehen die Reisenden aus Ägypten - und Ägypten lebt vom Tourismus.

Auch deshalb findet Ali, dass es jetzt reicht, dass Mubarak zwar ziemlich spät reagiert habe. Aber immerhin, reagiert habe er ja: "Der Mann ist 82, lasst ihn noch sechs Monate regieren, das ist doch auch eine Frage des Anstandes. Lasst ihn seine Reformen zu Ende führen." Dass der Präsident Schlägertrupps in Uniform auf sein Volk hetzt, davon hat er nie gehört. Dass Polizisten in Zivil die Bevölkerung terrorisieren genauso wenig. Diebe gebe es auch in anderen Ländern, sagt Ali am Mittag. Er habe gar nichts gegen eine "zivilisierte" Opposition. Die freie Meinungsäußerung sei ja gerade eine Errungenschaft der jüngsten Tage.

Dann brach auf dem Tahrir-Platz die Hölle los. Der Traum von einem friedlichen politischen Schlagabtausch in Ägypten ist vorerst vorbei.

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