Aufruf zum "Friedenswinter":Hauptsache gegen die Nato

Montagsdemonstration DEU Deutschland Germany Berlin 28 07 2014 Demonstrant mit Plakat Wir Wollen

Auf einer Montagsmahnwache in Berlin

(Foto: Imago Stock&People)
  • Politiker der Linkspartei, Vertreter friedenspolitischer Bündnisse und Aktivisten rufen im Rahmen eines deutschlandweiten "Friedenswinters" zu Demonstrationen auf.
  • Zu den Unterzeichnern gehören auch Protagonisten der umstrittenen Montagsmahnwachen, die Verschwörungstheoretiker und Populisten anziehen.
  • Aktivisten und Politiker warnen vor einer Öffnung der Friedensbewegung nach rechts - was ist dran an dem Vorwurf?

Von Hannah Beitzer

Der "Friedenswinter" beginnt mit Kleingedrucktem: "Die Unterzeichnung geschieht nur im eigenen Namen und nicht stellvertretend für eine Organisation. Sie bezieht sich ausschließlich auf den Text dieses Aufrufes und in Verbindung damit auf die Kundgebung. Einzelunterschriften bedeuten nicht, dass damit eine weitergehende Kooperation geplant ist", steht unter einem Aufruf für eine Demonstration vor dem Amtssitz von Bundespräsident Joachim Gauck am 13. Dezember. Es soll eine von mehreren Aktionen im Rahmen eines großen "Friedenswinters" werden.

Unterzeichner sind einige Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, zum Beispiel die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht. Außerdem Künstler wie Konstantin Wecker und Reinhard Mey, eine Reihe von Aktivisten und Aktivistinnen der Friedensbewegung und kapitalismuskritischer Organisationen von International Physicians for the Prevention of Nuclear War (IPPNW) über Attac bis hin zur Berliner Abteilung der Bildungsgewerkschaft GEW.

Aber auch Protagonisten der russlandfreundlichen Montagsmahnwachen: Lars Mährholz und der ehemalige RBB-Moderator Ken Jebsen, der nun in seiner Online-Sendung "Ken FM" für den Friedenswinter wirbt. Auf den hoch umstrittenen neuen Montagsdemos versammeln sich seit Ausbruch der Ukraine-Krise Verschwörungstheoretiker unterschiedlichster, auch krudester Ausprägung. Gemeinsame Feinde sind die westlichen Regierungen und die "Mainstreammedien", die US-Notenbank Fed und die dahinterliegende Macht des "Finanzkapitals".

Viele der neuen Montagsdemonstranten wittern hinter dem Ukraine-Konflikt eine von der Fed und der CIA gesteuerte Verschwörung, die von den "Mainstreammedien" propagiert wird. Sie fordern Verständnis für die Anliegen des russischen Präsidenten Wladimir Putin, werfen dem Westen - verkörpert durch die Nato - Aggression vor.

Werden rechte Positionen salonfähig?

Die Zusammenarbeit mit den Montagsmahnwachen könnte das Kleingedruckte unter dem Aufruf zum "Friedenswinter" erklären. Denn sie sorgt für einigen Unmut. Linken-Parteichefin Katja Kipping erklärt, sie frage sich, ob Wagenknecht und ihre Fraktionskollegen gewusst hätten, wer sonst alles den Aufruf unterstütze. Der Friedensaktivist und ehemalige Vorsitzende des Aachener Friedenspreises, Otmar Steinbicker, warnt in der taz vor einer Unterwanderung der Friedensbewegung von rechts. Er hat den Aufruf zum "Friedenswinter" nicht unterschrieben, weil darunter auch die Namen von Mährholz und Jebsen stehen: "Beiden wird aus meiner Sicht zu Recht der Vorwurf gemacht, neurechte Verschwörungstheoretiker zu sein. Mit solchen Leuten möchte ich nichts zu tun haben." Erste Organisationen distanzieren sich.

Auch der Berlin-Chef der Linkspartei, Klaus Lederer, befürchtet, die Zusammenarbeit mit den Köpfen der Montagsdemos könne den Effekt haben, "rechtspopulistische Welterklärungsmuster und Querfront-Strategien salonfähig zu machen". Die "Querfront-Strategie" bezeichnet historisch den Versuch rechter Kräfte, politische Gemeinsamkeiten zwischen ganz links und ganz rechts herauszustellen. Heute wird der Begriff häufig verwendet, um Überschneidungen von rechts- und linksradikalen Gruppierungen zu beschreiben.

Mährholz und Jebsen weisen den Vorwurf, rechtem und antisemitischem Gedankengut eine Plattform zu bieten oder es gar selbst zu verbreiten, vehement zurück. In der Tat gab es in den vergangenen Monaten zahlreiche Konflikte innerhalb der Montagsmahnwachen um die Frage, wie weit sich die Demonstrationen für Rechte und Vertreter haarsträubender Verschwörungstheorien öffnen sollen. Mährholz versucht, Anhänger allzu kruder Theorien und offen rechten Gedankenguts loszuwerden und sucht den Anschluss zu etablierten Aktivisten.

Wie weit rechts bewegen sich die Montagsmahnwachen?

Der ehemalige Attac-Aktivist Pedram Shahyar, der zu den Organisatoren der Berliner Friedenswinter-Demonstration gehört, verteidigt die Montagsmahnwachen und trat im Sommer auch dort auf. Die Teilnehmer seien keineswegs alle rechte Verschwörungstheoretiker, sondern kämen teilweise aus einem ähnlichen Umfeld wie die Occupy-Aktivisten, rechtfertigte er die Kooperation. Auch Ralf Woelk, Vorsitzender des Aachener Friedenspreises, hält den Aachener Nachrichten zufolge die Befürchtungen seines Vorgängers Steinbicker für überzogen: "Ich tue mich sehr schwer mit dieser Kritik." Seine Organisation werde an Aktionen des "Friedenswinters" teilnehmen.

Doch wie weit rechts bewegen sich nun die Montagsmahnwachen? Die Protestforscher Peter Ullrich und Dieter Rucht haben Teilnehmer der Montagsmahnwachen über ihre politische Einstellung befragt - und häufig zu hören bekommen, man sei "weder links, noch rechts". "Dahinter verbirgt sich eine Art Ultraliberalismus, der insbesondere nach rechts offen ist", sagt Ullrich. Als Beispiel nennt er das Signalwort "Rothschild", das auf den Demos und in sympathisierenden Internetpublikationen häufig genannt wird. Die Rothschilds sind eine jüdische Familie, die vor allem im 19. Jahrhundert zu den einflussreichsten Bankiers der Welt gehörte. Bis heute sind sie Gegenstand von antisemitischen Verschwörungstheorien.

Die traditionelle Friedensbewegung schwächelt

Den Montagsmahnwachen gelang mit ihrer nach allen Seiten offenen Strategie, was der traditionellen deutschen Friedensbewegung zuletzt schwerfiel: Sie brachte nach Ausbruch der Ukraine-Krise Menschen auf die Straße, die zuvor häufig noch nie politisch aktiv waren. Und hier könnte auch der Grund liegen, warum sie für traditionelle Akteure der Friedensbewegung interessant sind. Denn die kamen in der Debatte um die Ukraine oder auch die Waffenlieferung in den Irak bisher kaum vor.

Dahinter steckt nach Einschätzung von Dieter Rucht eine tiefgehende Verunsicherung. "Die Friedensbewegung war in den vergangenen Jahren in einer schwierigen Situation", sagt er, "die Konflikte sind nicht mehr einfach zu kategorisieren: Was ist die gute Seite? Was die Schlechte?" Schon in den Jugoslawienkriegen seien zwar einzelne Menschenrechtsverstöße angeklagt worden. Doch es sei nicht gelungen, damit massenhaft Menschen auf die Straße zu bringen. Und auch die jüngsten Debatten um die Ukraine-Krise und Waffenlieferungen in den Irak kamen mit Ausnahme der Montagsmahnwachen nicht auf der Straße an.

Das soll sich nun mit dem "Friedenswinter" ändern - der die Frage nach Gut und Böse dann auch recht eindeutig beantwortet. In dem Aufruf zur Berliner Demo werden zwar ausführlich die Nato, Bundespräsident Joachim Gauck, deutsche Rüstungsexporte und eine "Politik der Konfrontation gegen Russland" kritisiert. Über die Rolle Russlands im Ostukraine-Konflikt steht dort nichts. Kein Wort über den Anschluss der Krim, kein Wort zu dem Vorwurf, über die russische Grenze gelangten Waffen und Soldaten in die umkämpfte Ostukraine. "Frieden in Europa heißt: Partnerschaft und Kooperation mit Russland und anderen Ländern", steht da.

Hauptsache gegen die Nato

Das ist ein Tenor, wie er auch auf den Montagsmahnwachen herrscht. Dabei mag es zunächst verwunderlich erscheinen, dass sich Menschen, die den Massenmedien Nato-Vasallentum und gezielte CIA-Propaganda unterstellen und laut Abrüstung fordern, ausgerechnet den russischen Präsidenten Wladimir Putin unterstützen. Denn der beschneidet seit seinem Amtsantritt 2000 systematisch Presse- und Redefreiheit im eigenen Land. Und verhält sich im Ukraine-Konflikt alles andere als friedlich.

Doch wer sich auf den Mahnwachen ein wenig umhört, die Videomitschnitte im Internet anschaut, der merkt schnell, dass es dabei gar nicht so sehr um den tatsächlichen Putin und seine Politik geht. Der russische Präsident ist einfach das personifizierte Gegenstück zum verhassten westlichen System. Frei nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Da fällt die Frage, zu welchem Preis die geforderte "Partnerschaft und Kooperation mit Russland" stattfinden soll, schon einmal hinten runter.

Lesetipp: Die Linkspartei hadert mit extremer Israelkritik und ihrer Haltung zum Nahostkonflikt. Der Aufruf zum "Friedenswinter" sorgt da für wenig Begeistertung, schreibt Constanze von Bullion in diesem Text.

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