Aufputschmittel:Captagon - Droge des Krieges

A Free Syrian Army fighter gestures in front of a burning barricade during heavy fighting in the Ain Tarma neighbourhood of Damascus

Ein Kämpfer der Freien Syrischen Armee, 2013 bei Damaskus. Auch an diese Rebellengruppe soll die Droge Captagon verkauft worden sein.

(Foto: REUTERS)
  • Das Aufputschmittel Captagon ist eine beliebte Droge im Nahen Osten.
  • Im syrischen Bürgerkrieg wird es eingesetzt, um Kämpfer leistungsfähiger zu machen.
  • Möglicherweise haben es auch die Attentäter von Paris eingenommen.

Von Benedikt Peters

Als nach den Anschlägen von Paris Spezialeinheiten die Hotelzimmer der Attentäter durchsuchen, finden sie Pizzakartons, Plastikröhrchen, Spritzen - und möglicherweise eine Droge namens Captagon. So berichtet es zumindest die israelische Zeitung Ha'aretz. Das Nachrichtenmagazin Le Point veröffentlichte zudem ein Video, das die Zimmer zeigen soll. Auf einem weißen Tisch, genau in der Zimmermitte, sind Spritzen und Plastikröhrchen zu sehen. Andere, darunter auch die französische Zeitung Le Monde, meldeten Zweifel an, ob die Droge Captagon tatsächlich im Spiel gewesen ist - gerade auch, weil man für sie keine Spritzen braucht, um sie einzunehmen. Man muss nur eine Pille schlucken.

Fest steht aber: Captagon spielt im syrischen Bürgerkrieg eine Rolle - und der sogenannte Islamische Staat mischt in dem blutigen Konflikt bekanntlich mit. Das Aufputschmittel wird unter anderem im Libanon und in Syrien produziert. Von dort gehen viele Pillen auf den Schwarzmarkt, etwa nach Saudi-Arabien - oder sie wandern an die Kriegsparteien: zum Beispiel die Al-Nusra-Front, den Islamischen Staat, die Freie Syrische Armee. So berichtet es ein libanesischer Drogenhändler in einem Video. Der Export des Aufputschmittels verschafft den Gruppen Einkünfte. Und mit den Pillen putschen sie laut Medienberichten auch ihre Kämpfer auf. Die Washington Post schreibt, Captagon sei die Droge, die "den Syrienkrieg anheizt und Kämpfer in übermenschliche Soldaten verwandelt".

In den 1960er Jahren war Captagon ein verbreitetes Medikament

Eigentlich ist Captagon ein Markenname. Der medizinische Wirkstoff heißt Fenetyllin, ein Amphetamin-Derivat, das aufputscht und Schmerzen oder Müdigkeit kaum noch spüren lässt. "Du kannst nicht schlafen, nicht einmal die Augen schließen", sagte ein Konsument der BBC. Ein anderer: "Ich dachte: Mir gehört die Welt. Dass ich so stark bin wie sonst niemand." Ein Dritter: "Als ich Captagon nahm, hatte ich keine Angst mehr."

In den 1960er Jahren war Fenetyllin in Europa und den USA verbreitet. Man behandelte damit etwa das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADHS), Narkolepsie, also krankhafte Schläfrigkeit, und Depressionen. Im Sport wurde Captagon zu einem beliebten Dopingmittel - der Fußballtrainer Peter Neururer sagte einmal, Ende der 1980er Jahre sei seine Einnahme unter Profis normal gewesen. Bis zu 50 Prozent hätten das Mittel genommen.

Aber Fenetyllin ist gefährlich. Ärzte wiesen immer wieder auf schwere Nebenwirkungen hin, etwa Psychosen, Herz-Kreislauf-Probleme und Gehirnschäden. 1986 setzten die Vereinten Nationen den Stoff auf die Liste der gefährlichen Drogen. In vielen Ländern ist er illegal, auch in Deutschland.

Im Nahen Osten ist die Droge beliebt, besonders in Saudi-Arabien

Der Schwarzmarkt aber blüht, insbesondere im Nahen Osten. Ein Grund dafür ist, dass Fenetyllin einfach hergestellt werden kann. Das Präparat ist zwar illegal. Die einzelnen Bestandteile aber, wie zum Beispiel Koffein, sind es größtenteils nicht. Um die Pillen zu produzieren, braucht es nur eine simple Dragee-Maschine, wie sie auch etwa in der Süßigkeitenproduktion verwendet wird.

Im Nahen Osten gibt es laut Medienberichten mindestens zwei Schlüsselländer für die Fenetyllin-Produktion. Das eine ist demnach der Libanon: 2011 und 2012 fing die dortige Drogenfahndung noch eine Million Pillen ab. 2013 beschlagnahmte sie bereits 13 Millionen, im vergangenen Jahr sogar 50 Millionen Pillen. Das zweite Land ist Syrien. Durch den Bürgerkrieg weitgehend zur rechtsfreien Zone geworden, sei die Herstellung von Fenetyllin und anderen Amphetaminen dort aufgeblüht, berichten etwa die Nachrichtenagentur Reuters und der britische Guardian.

Auch in der Türkei ist Captagon aufgetaucht

Die Aufputschmittel bleiben aber nicht den Soldaten der syrischen Kriegsfraktionen vorbehalten. Sie werden auch exportiert, vor allem in die wohlhabenden Golfstaaten. In Saudi-Arabien, dessen Rechtsordnung jeglichen Drogenkonsum unter drakonische Strafen stellt, wurden 2014 insgesamt 100 Millionen Captagon-Tabletten konfisziert. Allein in der ersten Hälfte dieses Jahres wurden 55 Menschen wegen Rauschgiftdelikten enthauptet.

Auch in der Türkei ist das Aufputschmittel inzwischen aufgetaucht. Bei zwei Razzien im November beschlagnahmte die nationale Antidrogenbehörde rund elf Millionen Pillen.

Ob Captagon bei den Anschlägen von Paris tatsächlich eine Rolle gespielt hat, können wohl nur die französischen Behörden klären. Sie haben toxikologische Gutachten in Auftrag gegeben. Bescheid wissen dürfte auch Salah Abdeslam, der einzige überlebende mutmaßliche Attentäter. Er ist allerdings auf der Flucht.

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