Süddeutsche Zeitung

Auflösung der FDP-Fraktion:Bloß weg hier

Einer huscht ums Eck, der andere nimmt eine Seitentür. Die FDP-Fraktion liquidiert sich selbst. Und keine der Führungskräfte findet ein Wort, das dem Anlass wenigstens ein bisschen Würde verliehen hätte.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Rainer Brüderle verlässt durch eine Nebentür den Fraktionssaal. Patrick Döring auch. Philipp Rösler huscht ums Eck direkt zum Fahrstuhl. Sagen wollen sie nichts. Einfach nur weg hier. Raus aus dem Reichstag. Schnell. Die Fraktion löst sich auf, und keiner derer, die dafür in erster Reihe Verantwortung tragen, sagt ein Wort dazu.

Zwei Stunden hat die Bundestagsfraktion der FDP an diesem Dienstag getagt. Zum letzten Mal. Christian Lindner ist da. Nicht als Kandidat für das Amt des Parteichefs, wie er vor der Fraktion sagt, sondern als parlamentarischer Kollege. Er will den 93 Abgeordneten Mut machen, die der letzten und stärksten Fraktion der FDP angehörten. Die FDP habe in den vergangenen vier Jahren ihre Pflicht erfüllt, Deutschland gehe es gut, nicht alles sei schlecht gewesen. Solche Sätze fallen. Brüderle spricht auch, übernimmt Verantwortung, dankt den Wahlkämpfern. Ähnlich äußert sich Rösler.

Irgendwann schaut jeder Abgeordnete auf das Blatt Papier auf seinem Tisch. Es ist ein übles Wort, das sie da schwarz auf weiß lesen müssen. Es macht das ganze Ausmaß der Lage deutlich. Tagesordnungspunkt drei: "Liquidationsbeschluss".

Es bedeutet nichts anderes als die Selbstauflösung der Organisation FDP-Fraktion. Hunderte Mitarbeiter müssen entlassen, Zeugnisse geschrieben, neue Jobs vermittelt werden.

Vor der Tür stehen zwei Mitarbeiter der Fraktionspressestelle. Sie passen auf, dass niemand anderes als Abgeordnete und Mitarbeiter durch die Tür gehen. "Ah, Türsteher", raunt ihnen ein Abgeordneter zu. "Auch ein neuer Job", lacht einer der Mitarbeiter zurück. Galgenhumor.

Sozialplan für die Mitarbeiter

Immerhin, die FDP-Fraktion hat einen Sozialplan für ihre Mitarbeiter. Mehr als 2,5 Millionen Euro sind in dem Topf, den einst Jürgen Koppelin angelegt hat. Zwei Ereignisse haben ihn dazu bewogen: Erst flogen 1990 die Grünen aus dem Bundestag. Nur dank der Ost-Grünen und dem Bündnis 90 waren sie als Gruppe im Bundestag vertreten. Dann erwischte es 1994 die damalige PDS, die an der ersten gesamtdeutschen Fünf-Prozent-Hürde scheiterte und sich nur durch vier Direktmandate als Gruppe wieder in den Bundestag retten konnte.

Koppelin, seit 1990 im Bundestag, war das Warnung genug. Auch die FDP könnte es erwischen, irgendwann. Deswegen hat er dafür gesorgt, dass erst jede übrige Mark, dann jeder übrige Euro für die Mitarbeiter zurückgelegt wird.

Abwickeln müssen die Fraktion jetzt die bisherigen parlamentarischen Geschäftsführer Jörg van Essen, Otto Fricke und Stefan Ruppert. Ein Ehrenamt, Geld gibt es dafür nicht. Dauer ungewiss.

Die Partei muss sich jetzt neu organisieren. Anfang Dezember wird in Berlin die Parteispitze neu gewählt, Anfang Januar folgt das Dreikönigstreffen, Ende Januar wird in Bonn der Europaparteitag abgehalten.

Patrick Döring, Noch-Generalsekretär der FDP, verkündet das am Morgen im Thomas-Dehler-Haus. Und auch, dass das Dehler-Haus weiter die Parteizentrale beherbergen werde. In diesen Tagen ist das tatsächlich eine Nachricht. Etwa 700.000 Euro muss die Partei gegenüber ihrer bisherigen Finanzplanung einsparen. Mehr als ein Drittel der Mitarbeiter müssen gehen, zehn, zwölf Menschen. Döring formuliert das so: Die Partei müsse dafür sorgen, dass "der Personalkörper finanziell darstellbar ist".

Der Abgeordnete Heinz-Peter Haustein aus dem Erzgebirge stapft vor der Sitzung auf ein paar Journalisten zu, die vor den Türen zur Fraktion warten. "Ich werde euch auch vermissen", sagt er. Und es klingt nicht so, als sollte das ein Scherz sein. Schwierig sei das alles. Und ein "mulmiges Gefühl", zum letzten Mal in den Fraktionssaal zu gehen. Seinen Kollegen hat er noch ein kleines Präsent auf die Plätze legen lassen. Eine Spielzeugfigur, den "Deutschneudorfer Schmelzer". Es ist eine Art Symbolfigur der ehemaligen Bergbaustadt, in der einst Metalle geschmolzen wurden.

Haustein ist Bürgermeister der kleinen Gemeinde Deutschneudorf. Erst ist an dem Tag wiedergewählt worden, an dem die FDP aus dem Bundestag flog. Ein hochgewachsener Mann ist er, breites Kreuz. Stattlich würden manche sagen. Und einer von diesen Kopf-hoch-Männern, die eine Partei braucht. Er will das gleich auch seinen Fraktionskollegen sagen, verrät aber jetzt schon, was es mit dem Schmelzer auf sich hat: Der stehe für die "Tugenden des Bergbaus", sagt Haustein. Also: "Hoffnung, Beharrlichkeit und Gottvertrauen". Das will er seinen Parteifreunden mit auf den Weg geben.

Er gehört zu den wenigen, die bereit sind, diese letzte Sitzung der vorerst letzten Bundestagsfraktion noch zu kommentieren. Dirk Niebel etwa, Noch-Entwicklungshilfeminister, geht an allen Kameras vorbei. "Fragen Sie mich in zwei Monaten", sagt er. Einen Bart hat er sich wachsen lassen. Als würde er daran arbeiten, draußen, in dieser Welt ohne Dienstwagen, nicht mehr ohne Weiteres erkannt zu werden.

"Tiefe Zäsur"

Immerhin, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat genug Größe, ein paar Worte zu sagen. Sie sei 23 Jahre eine begeisterte Parlamentarierin gewesen. Das jetzt, das sei eine "tiefe Zäsur". Es ist zu spüren, dass sie sich in dem Moment zusammenreißen muss. Und verschwindet in der Sitzung.

Auch nach der Sitzung kein Wort des Abschieds, kein Wort des Trosts oder des Dankes von den FDP-Vorderen. Erstaunlich, dass es Haustein sein muss, der Mann aus Sachsen, der die treffendsten Worte für seine und die Gefühle seiner Kollegen findet. Abschied sei immer auch "ein bisserl so wie sterben". Dann wendet er sich ab. Und geht.

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