Aufklärung des Euro-Hawk-Drohnen-Debakels:Kopieren verboten

Hat eine Seite nicht geliefert, was vereinbart war? Deutsche Prüfer durften zentrale Unterlagen über die Drohne "Euro Hawk" nur in Räumen des US-Herstellers Northrop Grumman einsehen. Für die Zulassung fehlten aber am Ende trotzdem Dokumente.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Der längliche Satz gleich zu Beginn des Dokuments hat es in sich. Es bestehe Einvernehmen, ist dort zu lesen, dass "der zweite Halbsatz im Abschnitt 3.2.1.5 dieser Anlage" ersatzlos zu streichen sei.

Im Ergebnis bedeutete dies, dass den deutschen Prüfern keine Kopien von Musterunterlagen ausgehändigt werden konnten - stattdessen gab es nur "in den Räumlichkeiten der Firma Northrop Grumman" die Möglichkeit zur "Einsichtnahme" in zentrale, für die Musterzulassung des Euro Hawk notwendige Dokumente.

So steht es in Anlage 18 zum Vertrag über die Aufklärungsdrohne, Anfang 2007 geschlossen zwischen der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung, und der Euro Hawk GmbH, gebildet von EADS und dem US-Konzern Northrop Grumman. Der Passus ist eine der vielen Merkwürdigkeiten, die sich zu diesem Thema in vertraulichen Unterlagen aus dem Verteidigungsministerium finden.

"Jederzeit in vollem Umfang zugänglich"

Vor zweieinhalb Wochen machte das Ministerium das Scheitern des Projekts öffentlich, am Mittwoch will nun Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) dem Verteidigungsausschuss erklären, wie es zu dem Debakel kommen konnte, bei dem mindestens ein dreistelliger Millionenbetrag versenkt wurde.

Klar ist bereits jetzt, dass der Euro Hawk an der Problematik der Zulassung gescheitert ist - und zu dieser Problematik finden sich in Anlage 18 Aussagen, die erst einmal nicht ganz zum bisherigen Kenntnisstand passen.

So war von Seiten des Ministeriums bislang zu hören, ein Hauptproblem bei der Zulassung habe darin bestanden, dass die US-Seite nicht sämtliche Dokumente zur Verfügung stellte, die für den hiesigen Zertifizierungsprozess notwendig seien. In dem Schriftstück aber heißt es, die Euro Hawk GmbH verpflichte sich, die Musterunterlagen "jederzeit in vollem Umfang zugänglich zu machen" (wenn auch keine Kopien zur Verfügung zu stellen).

Um die Verkehrssicherheit des Fluggeräts amtlich feststellen zu lassen, habe der Hersteller zudem dafür zu sorgen, dass alle dafür erforderlichen Unterlagen zum Zeitpunkt der Prüfung zur Verfügung stünden.

Das Problem mit der Zulassung war klar

Hat also eine Seite nicht geliefert, was vereinbart war? Und wenn dem so war, warum hat dann die andere nicht darauf bestanden? Eine mögliche Antwort ist, dass die Verfahren zur Prüfung und Zulassung in den USA und hierzulande deutlich voneinander abweichen. Womöglich ging man schon bei Abschluss des Vertrags von unterschiedlichen Voraussetzungen aus, verstand also unter jeweils eindeutig erscheinenden Begriffen verschiedene Dinge?

Im "Memorandum of Understanding" zwischen Deutschland und den USA jedenfalls wurden schon vorher die Grundlagen der Zusammenarbeit festgeschrieben. Darin ist festgehalten, dass beide Seiten sich Informationen zur Verfügung stellen, einschließlich Verschlusssachen - jedoch vorbehaltlich ihrer nationalen Rechtslage und jeweiliger "Offenlegungsbestimmungen".

Die Tatsache, dass der Vertrag Anfang 2007 unterschrieben und das Projekt lange vorher angeschoben worden war, bietet de Maizière die Möglichkeit, seinen Vorgängern zumindest einen guten Teil an Mitverantwortung zuzuschieben. Schließlich ist er erst seit März 2011 im Amt.

Spätestens im selben Jahr allerdings war den Verantwortlichen im Ministerium klar, dass sie ein Problem mit der Zulassung hatten - ohne dass de Maizière die zuständigen Abgeordneten über die Schwierigkeiten und etwaige Folgen informiert hätte.

Dabei kann die Problematik den Zuständigen im Ministerium nicht über Nacht aufgegangen sein - jedenfalls wurde lange vor Abschluss des Vertrags darauf hingewiesen, was noch alles zu tun sei. So heißt es in einer EADS-Studie von 2004: Für "den Einsatz des Euro-Hawk-Systems" seien "umfangreiche Zulassungen und Zertifizierungen erforderlich, die Einfluss auf Realisierungszeit und -kosten haben werden".

In dem Dokument findet sich eine "Road Map" als "Mittel zur aktuellen, kontinuierlichen und konkreten Umsetzung des Zulassungsprozesses für eine termingerechte Einführung" - knapp ein Jahrzehnt, bevor das Projekt scheiterte. In der Studie steht zudem die Einschätzung, der Euro Hawk brauche einen Ausweichmechanismus, ein "Sense-and Avoid"-System: Man wolle "höchstmögliche Sicherheit und Zuverlässigkeit" erreichen.

"Keine unüberwindbaren Probleme zu erwarten"

Allerdings lässt sich aus den Dokumenten auch eine gewisse frühe Sorglosigkeit herauslesen. So hieß es ebenfalls bereits 2004 im Bericht eines Analysedienstleisters für das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung: Für die Zulassung von Drohnen mit der Flughöhe des Euro Hawk im zivilen Luftraum seien "keine unüberwindbaren Probleme zu erwarten".

Als Grund wird unter anderem die Tatsache angegeben, solche Drohnen seien nun einmal "weit oberhalb des allgemeinen Flugverkehrs" unterwegs. In den nächsten fünf bis zehn Jahren könne "mit zunehmender Vertrauensbasis eine schrittweise Zulassung erwartet werden". Das Risiko sei, was die Zulassung betreffe, "kalkulierbar".

Dem Minister dürfte zupasskommen, dass auch seine Vorgänger das Problem offenbar für überschaubar hielten - ebenso wie die Tatsache, dass auch Anlage 1, Anhang J zum Vertrag in der Amtszeit seines Vor-Vorgängers und Parteifreundes Franz Josef Jung geschrieben wurde. Darin heißt es: "Ausbildungsflüge für Piloten der deutschen Luftwaffe auf dem Euro Hawk sind nicht Teil dieses Angebots." Gesteuert wird er, wie kürzlich bekannt wurde, noch immer von amerikanischen Piloten.

Doch diese Merkwürdigkeiten werden de Maizière nicht helfen, sich aus der Affäre zu ziehen, wenn ihm der Rückhalt in den eigenen Reihen fehlt. Die Leipziger Volkszeitung zitierte am Freitag die FDP-Verteidigungsexpertin Elke Hoff: Für die Kanzlerin werde es zunehmend schwierig, für de Maizière nach der Wahl "ein passendes anderes Ressort zu finden". Vielleicht aber könne er sich ja als Verteidigungsminister halten - vorausgesetzt es gelinge ihm, "die nächsten Wochen heil zu überstehen".

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