Auferstehung von Arkadi Babtschenko:Wer's glaubt, wird selig

Poroschenko trifft  Journalist Arkadi Babtschenko

Der auferstandene Journalist Arkadij Babtschenko (rechts) im Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko.

(Foto: dpa)

Der ukrainische Geheimdienst hat mit der vorgetäuschten Ermordung eines Journalisten die Welt genarrt - und lässt Politiker, Medien, Angehörige dumm dastehen. Sie alle werden hartnäckig Antworten einfordern.

Kommentar von Julian Hans

Der russische Journalist Arkadi Babtschenko ist wieder auferstanden. Am Dienstagabend hatten die ukrainischen Behörden mitgeteilt, Babtschenko sei mit drei Schüssen in den Rücken auf der Schwelle seiner Wohnung in Kiew getötet worden. Am Mittwoch präsentierte der ukrainische Geheimdienst SBU einer verdutzten Öffentlichkeit den lebenden Babtschenko und die Botschaft: War alles nur inszeniert, um ein Mordkomplott der Russen aufzudecken und das Leben des Journalisten zu retten.

Nicht umsonst steht die Auferstehung im Zentrum des Christentums. Dass einer von den Toten wieder erwacht, ist so ungeheuerlich, dass der Glaube sehr stark sein muss, um die Zweifel zu besiegen, die unweigerlich in jedem aufkommen, der eine solche Geschichte erzählt bekommt. Dass nicht einmal alle Jünger Jesu diesen starken Glauben hatte, davon berichtet die Bibel. Thomas musste erst die Finger in die Wunde seines Herrn legen, bevor er überzeugt war.

Auch für die Geschichte des SBU gilt vorerst: Wer's glaubt, wird selig.

Nach der ersten großen Erleichterung stehen viele Leute ganz schön dumm da: Politiker, die nach der Nachricht von Babtschenkos vermeintlicher Ermordung Aufklärung forderten und mit dem Finger auf Moskau zeigten. Berufsverbände, die auf die wachsende Bedrohung von Journalisten hinwiesen. Nachrichtenkanäle, die die falsche Meldung in die Welt trugen. Und nicht zuletzt Freunde und Familie Babtschenkos, die in persönlichen Nachrufen im Internet um Verzeihung für Streit und Missverständnisse baten.

Sie alle werden verlangen, das zu tun, was der heilige Thomas getan hat: den Finger in die Wunde zu legen. Greifbare Beweise müssen her für diese unglaubliche Geschichte, die pünktlich zum Besuch des deutschen Bundespräsidenten in Kiew und zwei Wochen vor dem Start der Fußballweltmeisterschaft in Russland allzu günstig platziert wirkt, um dem feindlichen Nachbarstaat das Fest mit internationalen Gästen zu verderben.

Die Liste der Fragen ist lang: Wer war der Organisator des angeblichen Komplotts, der bei der Pressekonferenz des SBU nur in einer verwackelten Aufnahme von hinten gezeigt wurde? Wer sollte die Tat ausführen? Welche Beweise haben die Ermittler gegen die Männer? Welche Beweise gibt es dafür, dass sie im Auftrag des russischen Geheimdienstes handelten? Was waren die anderen Straftaten, die angeblich mit der Aktion verhindert wurden? Vor allem aber: Wenn das alles wahr sein sollten, gab es keinen anderen Weg, Babtschenkos Leben zu retten, als die Weltöffentlichkeit auf diese Weise hinters Licht zu führen?

Kiew muss sich darauf einstellen, dass Antworten auf diese Fragen hartnäckiger eingefordert und kritischer überprüft werden als in früheren Fällen. Denn diesmal geht es auch um die Reputation der Politiker und Journalisten, die sich in die Irre führen ließen.

Die Auswirkungen des Falls reichen aber viel weiter - er berührt die Interpretation von Geschehenem und die Lesart von künftigen Ereignissen. Die Zweifel am Fall des in Großbritannien vergifteten Doppelagenten Sergej Skripal und seiner Tochter Julia haben neue Nahrung bekommen. Und in jedem Bericht über Gewalt gegen Journalisten wird von nun an der Fall Babtschenko mitschwingen. Dabei werden ja tatsächlich Journalisten wegen ihrer Tätigkeit getötet; allein in der Redaktion der Nowaja Gaseta in Moskau, für die auch Arkadi Babtschenko geschrieben hat, hängen die Porträts von sieben ermordeten Mitarbeitern. Für die heute dort tätigen Kollegen gehören Drohungen zum Alltag. Menschen, die mit dem Kreml über Kreuz sind, fürchten wirklich um ihr Leben. In Zukunft werden sie es schwerer haben, ernst genommen zu werden.

Die Öffentlichkeit wird künftig noch kritischer mit Informationen umgehen, ob sie von Regierungen kommen oder von den Medien. Das ist gut, könnte man meinen, Demokratie braucht eine gesunde Skepsis. Aber demokratische Gesellschaften brauchen auch Vertrauen. Wenn die Menschen das Gefühl haben, sie können niemandem mehr vertrauen, nicht den Politikern, nicht den Medien, nicht einmal der Polizei, dann ist die Gesellschaft in der Krise. Wladimir Putin wird oft vorgeworfen, Russlands Propaganda ziele darauf, Vertrauen zu zersetzen und Krisen anzufachen. Die Babtschenko-Inszenierung hat dieses Projekt einen großen Schritt weiter gebracht.

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