Süddeutsche Zeitung

Attentat von Hanau:"Keine Anstifter, keine Mitwisser"

Die Bundesanwaltschaft stellt die Ermittlungen zum Attentat von Hanau ein. Auch der Vater des Täters hat nichts mehr zu befürchten. Eine weitere große Enttäuschung für die Opferfamilien.

Von Annette Ramelsberger

Sie hatten alles versucht. Die Mütter, die Väter, die Geschwister der Getöteten des rassistischen Anschlags von Hanau hatten das Bundeskriminalamt aufgefordert, noch einmal jeden Stein umzudrehen, sie hatten Hinweise gegeben auf Sicherheitslücken und Versäumnisse. Sie hatten im Februar 2021 sogar Anzeige erstattet gegen den Vater des Täters, den sie für den Mann hinter der Tat halten. Sie hatten gehofft. Gehofft, dass doch noch jemand zur Verantwortung gezogen wird für den Anschlag des 43 Jahre alten rechtsradikalen Verschwörungstheoretikers Tobias R., der am 19. Februar 2020 durch Hanau zog und in Bars und Kiosken neun Menschen getötet hat, die er für Migranten hielt.

Fast zwei Jahre ist das jetzt her, und viele der Hinterbliebenen haben sich verzehrt im Kampf um Gerechtigkeit. Doch nun hat der Generalbundesanwalt die Ermittlungen zum Attentat von Hanau eingestellt. "Es haben sich keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte auf Anstifter, Mittäter, Gehilfen oder Mitwisser ergeben", sagt der Sprecher der Bundesanwaltschaft Markus Schmitt. 300 Hinweise und Spuren haben die Ermittler abgearbeitet, mehr als 400 Zeugen vernommen. Dennoch konnten sie niemand finden, der Tobias R. bei der Vorbereitung seiner Tat geholfen hat oder davon wusste. Auch der Vater des Täters, den viele für den Spiritus Rector des Sohnes hielten, hat nichts mehr zu befürchten. Die Ermittlungen hätten nichts dazu ergeben, dass der Vater "in einer wie auch immer gearteten strafrechtlich relevanten Weise an dem eigentlichen Anschlagsgeschehen mitgewirkt oder von diesem im Vorfeld gewusst haben könnte", erklärt die Bundesanwaltschaft.

Hans-Gerd R., der Vater, mittlerweile 74, war mehrmals vom Bundeskriminalamt vernommen worden. Erhellendes habe er allerdings nicht beigetragen, sagt ein Fahnder. Der Mann behauptet, nicht sein Sohn habe die neun Menschen in den Hanauer Bars getötet, sondern irgendwelche Geheimdienste. Die hätten auch seinen Sohn getötet und seine Frau. Die Ermittler dagegen gehen davon aus, dass Tobias R. nach seiner Attentatsfahrt durch Hanau nach Hause zurückkehrte und dort seine bettlägerige Mutter und dann sich selbst erschoss.

Die Angehörigen und ihre Anwälte sehen zwischen Vater und Sohn ein "Dominanz- und Abhängigkeitsverhältnis" und hatten Anzeige gegen ihn erstattet, weil sie in ihm zumindest einen Mitwisser sahen: Er habe die Tat nicht verhindert. Mehrere Zeugen hatten berichtet, dass der Sohn unter der Fuchtel des Vaters stand. Der gilt seit Jahren als Querulant und hat sich mit zahlreichen Behörden rechtliche Scharmützel geliefert. Erst vor Kurzem wurde er wegen Beleidigung verurteilt. Die Bundesanwaltschaft sieht allerdings kein solches Dominanz-Verhältnis. Der Sohn habe sein Studium absolviert, beruflich Erfolg gehabt und mehrere Jahre weit weg vom Vater, in München, gelebt. Nur in rechtlichen und behördlichen Dingen habe der Vater den Sohn vertreten.

"Nicht das willige Werkzeug seines Vaters"

Die Ermittler gehen davon aus, dass der Sohn die Taten eigenständig geplant und vorbereitet hat. Auch seine Homepage, auf der er seine rassistische Gesinnung bis zur Auslöschung ganzer Völker ausbreitete, habe er allein erstellt, dort tauche nirgendwo der Vater oder ein Bezug zu ihm auf, sagt ein Ermittler der SZ. Allerdings hatte der Vater die Freigabe der rassistischen Homepage nach dem Tod des Sohnes gefordert. Der Sohn hatte außerdem einen Abschiedsbrief an den Vater geschrieben - das wäre unsinnig gewesen, wenn der Vater von der Tat gewusst hätte, sagt ein Fahnder. "Er war nicht das willige Werkzeug seines Vaters." Obwohl beide ein krudes Weltbild hatten, wonach Geheimdienste die Welt beherrschten und sie beide ständig beobachteten und Ausländer Deutschland übernähmen. Doch nur weil die beiden "in erheblichem Umfang" ein übereinstimmendes Weltbild hatten, "mit extremistischen und verschwörungstheoretischen Tendenzen", beweise das noch nicht, dass der Vater den Sohn beeinflusst oder von der Tat gewusst habe, schreibt die Bundesanwaltschaft in ihrer Einstellungsverfügung.

Im Haus der Familie in Hanau waren Waffen und erhebliche Mengen Munition gefunden worden - doch das war alles legal vom Sohn erworben worden, der in München in einem Schützenverein schoss und auch immer wieder allein zum Schießtraining ins Ausland fuhr. Die Fahnder hatten all die Patronen und Waffen auf Spuren des Vaters untersucht - es gab keine. Allerdings hatte sich der Vater nach der Tat sehr seltsam verhalten: Er hatte die Tür nicht geöffnet, als das SEK das Haus umstellte, er machte eine Handbewegung, als wenn er mit dem Finger auf die Polizisten ziele, und er schlich in der Tatnacht ums Haus und leuchtete mit der Taschenlampe ins Tatfahrzeug des Sohnes, als suche er dort etwas.

Für die Bundesanwaltschaft aber reichte das nicht, um gegen den Mann Anklage zu erheben. Hätte es stichhaltigere Hinweise auf ihn gegeben, hätte sich auch noch eine weitere Frage gestellt: Inwieweit wäre der Vater überhaupt schuldfähig? Der Mann gilt als psychisch auffällig, noch mehr als sein Sohn.

Armin Kurtović, der bei dem Attentat seinen Sohn Hamza verloren hat, sagt nun: "Es ist mir unverständlich, dass die Ermittlungen gegen den Vater eingestellt wurden. Er war genauso ein Rassist wie sein Sohn und hat falsche Angaben dazu gemacht, was er in der Tatnacht getan hat."

Nur noch eine Möglichkeit für die Angehörigen der Opfer

Die Opferfamilien sehen sich durch die Einstellung der Ermittlungen erneut enttäuscht - für sie ist es eine lange Reihe von Enttäuschungen. Sie mussten im Laufe der Ermittlungen erfahren, dass der Notruf 110 in Hanau seit Jahren unterbesetzt ist und in der Tatnacht nicht erreichbar war. Ein junger Mann, Vili Viorel Păun, hatte den Täter mit seinem Wagen verfolgt und viermal den Notruf gewählt. Er kam nicht durch. Tobias R. hat den jungen Mann dann erschossen. Viele Angehörige bringt es auch auf, dass der Fluchtweg in einer Bar seit Jahren verschlossen war - die Angehörigen sagen: auf Anweisung der Polizei, um bei Razzien mögliche Drogenhändler festzunehmen. Die Polizei bestreitet das.

Rechtlich bleibt den Angehörigen nun nicht mehr viel. Die Anwälte wollen prüfen, ob sie ein Verfahren anstrengen können, um doch noch eine Klage zu erzwingen. Aber das hat sehr unbestimmte Aussichten auf Erfolg.

Die Familien der Opfer haben jetzt nur noch eine Möglichkeit, um ihren Wunsch nach weiterer Aufklärung zu verfolgen: den Untersuchungsausschuss im Hessischen Landtag. Dort soll an diesem Freitag der Vater von Vili Viorel Păun aussagen, der wegen des nicht funktionierenden Notrufs sterben musste.

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