Massaker in Schweden:Schweden will Waffenrecht verschärfen

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In der Nähe des Tatorts im schwedischen Örebro haben Menschen viele Kerzen und Blumen abgelegt, um der Opfer zu gedenken. (Foto: Sergei Grits/dpa)

Nach dem Attentat an einer Schule, bei dem elf Menschen ums Leben gekommen sind, zieht die schwedische Regierung erste politische Konsequenzen. Dass die Behörden zur Herkunft der Opfer schweigen, lässt die Angst unter Einwanderern wachsen.

Von Alex Rühle, Stockholm

Nach dem schlimmsten Schusswaffenattentat in der schwedischen Geschichte kündigte die Regierung am Freitag eine Verschärfung des Waffenrechts an. Der Zugang zu halbautomatischen Waffen solle streng begrenzt werden, hieß es in einer Erklärung. Einige Waffen seien so gefährlich, dass Zivilisten nur in Ausnahmefällen das Recht erhalten sollen, sie zu erwerben. Man werde deshalb die Eignungsüberprüfung aller Personen, die solch eine Waffe beantragen, verschärfen. Die rechtspopulistischen Schwedendemokraten, auf deren Stimmen die Minderheitsregierung unter Ulf Kristersson angewiesen ist, erklärten, man werde dem Gesetzesentwurf im Parlament zustimmen. Die oppositionellen Sozialdemokraten fordern weitere Maßnahmen wie etwa eine Überprüfung aller existierenden Waffenscheine.

Seit dem Sommer 2023 wurden die Waffengesetze gelockert, seither darf man in Schweden halbautomatische Gewehre zur Jagd benutzen. Der mutmaßliche Attentäter besaß vier solche Waffen und die entsprechenden Lizenzen. Drei davon fanden die Beamten am Tatort mit einer großen Menge unbenutzter Munition. Das Gewehr, mit dem er laut dem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender SVT hauptsächlich geschossen hat, ist eigentlich für die Jagd auf Großwild bestimmt.

Der Täter hatte offenbar keine Vorstrafen

Der Attentäter hatte am Dienstagmittag in der Campus Riksberga Schule elf Menschen erschossen und sechs weitere schwer verletzt. Am Ende seines Massakers hat er sich selbst in den Kopf geschossen. Bisher wurde kein Bekennerschreiben und kein Video gefunden. Auch in den sozialen Medien hat er anscheinend keine Spuren hinterlassen. So wird viel gerätselt und gemutmaßt über diesen 35-jährigen Einzelgänger. Die Zeitungen sind voller Texte, in denen Nachbarn bekennen, den Mann in all den Jahren nie gesehen zu haben. Man weiß, dass er eine Sonderklasse für autistische Jugendliche besuchte, dass er die letzten neun Jahre arbeitslos war und keine Vorstrafen hatte. Den Kontakt zu seiner Familie muss er abgebrochen haben, 2017 hat er seinen Namen ändern lassen.

Die Polizei sagte am Mittwoch, die Ermittlungen würden „nicht darauf hindeuten, dass der Täter aus ideologischen Gründen gehandelt habe“. Am Donnerstagmorgen hieß es dann, es sei „ein motivierter Täter“ gewesen, ohne dass das näher ausgeführt wurde, am Nachmittag sagte Anna Bergkvist, die Leiterin der Ermittlungen, man habe trotz intensiver Auswertung von Videomaterial und vielen Augenzeugeninterviews noch „keine Antwort auf die Frage, was sein Motiv war“.

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Am Sonntagnachmittag gab Bergkvist bekannt, dass der Täter selbst an der Schule eingeschrieben war, an der er sein Verbrechen verübte. Der Campus Riksberga ist eine riesige Berufsschule, an der die überwiegende Mehrzahl der rund 2000 Schülerinnen und Schüler einen Migrationshintergrund hat. Sie bietet Schwedischkurse für Einwanderer, Berufsklassen für Gesundheits- und Pflegepersonal sowie Grund- und Sekundarschulunterricht für Erwachsene.

Am Freitagnachmittag gab die Polizei Alter und Geschlecht der Opfer bekannt – sieben Frauen, drei Männer –, wollte aber auch weiterhin keine Angaben über die Nationalität oder Herkunft der Opfer machen. Der öffentlich-rechtliche Sender SVT schrieb, die meisten der Opfer hätten Migrationshintergrund. Die Opfer, deren Hinterbliebene sich bislang in den Medien geäußert haben, stammen aus Bosnien, Eritrea, Syrien und Iran. Die Botschaften Syriens und Bosniens teilten mit, dass unter den Opfern auch syrische und bosnische Staatsbürger seien. Der Fernsehsender TV 4 veröffentlichte den Mitschnitt eines Schülers, der sich während des Massakers auf einer Toilette versteckte und filmte, während der Attentäter auf dem Gang vorbeilief. Durch die geschlossene Tür ist zu hören, wie er mehrere Schüsse abgibt und anscheinend ruft: „Ihr werdet Europa verlassen!“

In den Einwanderergemeinden wachsen Angst, Unsicherheit und Isolation

Die schwedische Polizei ist in der Regel vorsichtig, wenn es darum geht, während der Ermittlungen Namen von Verdächtigen und von Opfern zu nennen. Das ist gerade in dieser aufgeheizten Zeit sehr verständlich: Schweden bekommt seit Jahren die migrantisch geprägte Bandenkriminalität nicht in den Griff, weshalb viele Schweden sich im eigenen Land bedroht fühlen. Das wiederum nutzen rechtspopulistische Politiker zu immer neuen Hetztiraden gegen Muslime und Ausländer im Allgemeinen. Das offensichtliche Fehlen offizieller Informationen zur Identität der Opfer hat nun aber in den letzten Tagen das Gefühl der Angst, Unsicherheit und Isolation in den Einwanderergemeinden erneut verstärkt.

In der Zeitung Arbetsvarlden sagten drei Augenzeugen, sie fühlten sich „wie bewegliche Ziele“, die von Schweden im Stich gelassen werden. Tobias Hübinette, ein aus Südkorea stammender Soziologie-Professor, schrieb auf seinem Blog von einer „skandalösen Taubheit und Blindheit“ der Politik „gegenüber den Gefühlen vieler Einwohner mit ausländischem Hintergrund“.

Wie sehr dieses Attentat das ganze Land aufwühlt, kann man auch aus der Tatsache erkennen, dass Ulf Kristersson am Sonntagabend um 19 Uhr eine Ansprache an die Nation hielt. Solch eine Rede im Fernsehen hatte er zuletzt am 7. März 2023 gehalten, anlässlich des historischen NATO-Beitritts Schwedens. Kristersson sagte, die Verantwortung für die Morde liege „bei der Person, die die schrecklichen Verbrechen begangen hat. Aber die Verantwortung, Ihnen dabei zu helfen, das Leben neu zu entdecken, übernehmen wir gemeinsam.“

Er warnte vor Spekulationen und voreiligen Schlüssen, aber hob selbst explizit darauf ab, dass mehrere der Toten und Verletzten einen Migrationshintergrund hatten. „Sie kamen aus verschiedenen Teilen der Welt und hatten unterschiedliche Träume. Sie gingen zur Schule, um den Grundstein für die Zukunft zu legen, die ihnen nun genommen wurde.“ Abschließend forderte er alle Zuschauerinnen und Zuschauer dazu, am Dienstag an einer für zwölf Uhr angekündigten Schweigeminute teilzunehmen.

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