Attentat im Bürgerbräukeller:"Ein Großer" des Widerstands

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Lange verfemt, dann doch geehrt: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier legt 2019 vor der Georg Elser Gedenkstätte in Königsbronn einen Kranz nieder. (Foto: Stefan Puchner/dpa)

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ehrt Georg Elser, der es vor 80 Jahren beinahe geschafft hätte, Adolf Hitler zu ermorden. Die Erinnerung an den schwäbischen Schreiner aber wurde lange Jahre kleingehalten.

Von Claudia Henzler und Robert Probst, Königsbronn

Am 8. November 1939 spricht Adolf Hitler wie jedes Jahr im Münchner Bürgerbräukeller über seinen gescheiterten Putschversuch von 1923. Aber er spricht nicht so lange wie üblich. Er muss zurück nach Berlin, am 1. September hat die Wehrmacht Polen überfallen, das Deutsche Reich hat seinen lange geplanten Krieg begonnen. Um 21.07 Uhr verlässt er den Saal. Um 21.20 Uhr explodiert eine Bombe; dort, wo Hitler kurz zuvor gestanden hatte, ist nur noch ein riesiger Schutthaufen. Die Wucht der Bombe ist enorm, ein großer Teil der Saaldecke stürzt ein, acht Menschen sterben, mehr als 60 werden verletzt. In den folgenden Tagen feiert die NS-Presse das "Wunder der Vorsehung", das den Führer überleben ließ.

Noch am selben Abend wird Georg Elser, der in der Schweiz untertauchen will, in Konstanz gestellt. In den Verhören und unter Folter durch die Gestapo gesteht der gelernte Schreiner aus Württemberg schnell, was die NS-Oberen auf keinen Fall glauben wollen: Er allein hat diese Tat geplant, den Sprengstoff beschafft, den Zeitzünder konstruiert und in mehr als 30 Nächten die Säule in dem Wirtshaus ausgehöhlt, unbemerkt, ohne Mitwisser, nur dem eigenen Gewissen verpflichtet.

Als Elser verhaftet wird, fällt die Gestapo regelrecht über sein Heimatdorf her

Georg Elser war der Beweis, dass auch einfache Leute etwas hätten unternehmen können gegen die verbrecherische Staatsführung. Dazu brauchte es nicht unbedingt Mächtige aus Politik oder Militär. Auch deshalb war die Erinnerung an seine Tat über Jahrzehnte hinweg so schmerzhaft. "Der Einzelne, der klüger ist, sich verweigert und entzieht, fasziniert uns, er beschämt uns auch", sagt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, als er am Montag in Elsers Geburtsort Hermaringen ein Denkmal einweiht. Anschließend besucht er Königsbronn, wo Elser aufwuchs und die letzten Jahre vor dem Attentat verbrachte. Für ihn Gelegenheit, denjenigen Danke zu sagen, die das Gedenken an Elser erst durchsetzen mussten.

Der Attentäter hat sein Vorhaben ein Jahr akribisch vorbereitet. Als der größte Teil der Deutschen noch Hurra schreit angesichts der Erfolge des NS-Staats, erkennt Elser schon 1938, dass ein Weltkrieg wohl unausweichlich werden wird. Die NSDAP und ihre Ideologie lehnt er vehement ab, er wählte in der Weimarer Republik die KPD, ohne selbst Kommunist zu sein. Elser ist ein Individualist, dem die Rechte der Arbeiterschaft und die persönliche Freiheit über alles gehen. Das Motiv des gläubigen Christen: "noch größeres Blutvergießen" durch die Ausweitung des Krieges verhindern.

Die Nazis halten Elser für ein Werkzeug des britischen Geheimdiensts und sperren ihn ins KZ Sachsenhausen in Isolationshaft. Nach dem Krieg soll ein Schauprozess gegen ihn stattfinden. Als der Untergang des NS-Staats feststeht, wird Elser am 9. April 1945 im KZ Dachau ermordet.

Heute erinnern deutschlandweit zahlreiche Straßen, Denkmäler und Schulen an den Widerstandskämpfer. Doch jahrzehntelang sei ihm Deutschland Anerkennung und Respekt schuldig geblieben, so Steinmeier. "Wir haben lange Zeit gebraucht, den Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu würdigen, und noch einmal so lange, um einen der herausragenden Widerstandskämpfer, Georg Elser, zu entdecken, seine Haltung zu würdigen und ihn zu ehren." Elser sei in der Geschichte des 20. Jahrhunderts "ein Großer, an den die Erinnerung lange, viel zu lange kleingehalten worden ist". Und er sei jemand, sagt Steinmeier, "an dem sich das Land immer wieder aufrichten kann".

Die verspätete Gedenkarbeit ist schon selbst Gegenstand geschichtlicher Betrachtungen geworden, gerade in Königsbronn. Joachim Ziller, der die dortige Georg-Elser-Gedenkstätte leitet, kann dafür zwei Erklärungen anbieten. Erstens waren da in der Nachkriegszeit die falschen Gerüchte, dass Elser das Attentat im Auftrag des Naziregimes durchgeführt habe, damit Hitler sich als gottgleichen Führer inszenieren konnte, den die Vorsehung beschützte.

Zweitens weckte der Name Georg Elser in Königsbronn schlimme Erinnerungen. Denn als Elser verhaftet wird, fällt die Gestapo regelrecht über das Dorf her, um dort nach vermeintlichen Hintermännern zu suchen. Verdächtig ist jeder, der mit ihm in Kontakt stand. Nun hat der Ort damals nur etwa 1750 Einwohner - jeder kennt jeden, und fast jeder hat irgendetwas mit Elser zu tun, dem geselligen Handwerker, der Zither und Kontrabass spielt. Zudem hat er sich Monate vor dem Attentat als Hilfsarbeiter im nahen Steinbruch anstellen lassen, was sämtliche Arbeiter dort verdächtig macht. Der Steinbruchbesitzer und sein Sohn, die nichts von Elsers Sprengstoffdiebstahl wussten, müssen ins Konzentrationslager.

Die Gestapo habe die Verhöre "mit absoluter Brutalität geführt", sagt Ziller. Immer wieder hat er versucht, mit älteren Mitbürgern über Elser zu sprechen. Meistens vergeblich. Nur ein paar wenige haben ihm erzählt, was sie damals erlebt haben. Wie sie geschlagen und beim Verhör mit einer Pistole bedroht wurden. Wie Männer, die als wehruntauglich eingestuft waren, an die Ostfront geschickt wurden. "Alle, die das erlebt haben, wurden traumatisiert", sagt Ziller. "Das hat dazu geführt, dass sie nach 1945 komplett dichtgemacht haben."

Auch in der Familie Elser wurde nicht über Georg gesprochen, erzählen zwei seiner Neffen in Königsbronn dem Bundespräsidenten. "Es war 50 Jahre lang ein Tabu", sagt Franz Hirth, der Sohn von Elsers Schwester Maria. Erst Ende der Achtzigerjahre, als die Verhörprotokolle veröffentlicht waren und Klaus Maria Brandauer den schwäbischen Attentäter in einem Film ("Einer aus Deutschland") verkörperte, habe er sich zu seinem Onkel bekannt.

Königsbronn hat 1990, als ein junger Bürgermeister ins Amt kam, angefangen, sich ernsthaft mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Noch im ersten Amtsjahr von Michael Stütz wurde ein Elser-Archiv eingerichtet. 1995 folgte die erste öffentliche Ehrung, drei Jahre später wurde die Gedenkstätte eröffnet, seit 2010 erinnert am Bahnhof eine überlebensgroße Statue an Georg Elser. Heute, sagt Stütz, immer noch Bürgermeister und von Steinmeier danach gefragt, höre er überhaupt keine negativen Stimmen mehr zum Elser-Gedenken. "Die Königsbronner sind inzwischen stolz auf ihren Sohn."

© SZ vom 05.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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