Attentat am Frankfurter Flughafen:Allahu akhbar - und neun Schüsse

Er galt als nett und unauffällig: Doch in nur wenigen Wochen soll aus Arid U. eine Art Gotteskrieger geworden sein. Was hat den jungen Mann dazu getrieben, auf die US-Soldaten zu schießen?

Marc Widmann, Hans Leyendecker und Enver Robelli

Eine simple Ladehemmung seiner Pistole hat wahrscheinlich verhindert, dass Arid U. noch mehr Menschen töten konnte. Neunmal feuerte er am Mittwoch vor dem Frankfurter Flughafen auf einen Bus mit US-Soldaten. Dann streikte seine Waffe.

Nach Blutbad am Frankfurter Flughafen

Nach dem Blutbad am Frankfurter Flughafen mit zwei Toten haben Trauernde Blumen am Tatort abgelegt.

(Foto: dpa)

Was hat den 21 Jahre alten unauffälligen Mann von der Post, der sich heimlich in den vergangenen Wochen den Kampfnamen Abu Reyyan zulegte, dazu getrieben, auf die amerikanischen Soldaten zu schießen? War es Hass? War es die Folge von Omnipotenzphantasien? War es eine "islamistisch motivierte Tat", wie es die Bundesanwaltschaft vermutet? Gestanden hat der junge Mann, dass er die US-Soldaten ins Visier genommen hat. Niemand habe ihn beauftragt, zu töten. Er allein habe den Entschluss gefasst.

Ein Attentat aus dem Nichts

Nach bisherigem Stand der Ermittlungen war es also ein Einzeltäter, der den ersten vermutlich islamistisch motivierten Anschlag in Deutschland verübt hat. Es war ein "Attentat, das aus dem Nichts kommt", sagte Hessens Innenminister Boris Rhein (CDU) am Donnerstag. Bislang hatte es Tote und Verletzte nur bei Angriffen auf deutsche Einrichtungen oder deutsche Gruppen im Ausland gegeben.

Monatelang hagelte es im vergangenen Herbst Warnungen und Hinweise, die auf angeblich bevorstehende große Anschläge in Deutschland hindeuteten. Die Sicherheitsmaßnahmen waren verschärft worden. Anfang vorigen Monats wurden sie dann wieder zurückgefahren. Keine Entwarnung, aber die Gefahr ist wieder nur "abstrakt", nicht "konkret".

Was sagen solche politischen Floskeln über Gefahren, die von wirren, jungen Leuten ausgehen können? Arid U., der von Bekannten und Nachbarn als netter junger Mann beschrieben wird, arbeitete im internationalen Postzentrum am Flughafen, das von der Post AG betrieben wird, aber er hatte keinen Zugang zum Sicherheitsbereich und wurde deshalb auch nicht überprüft. Wäre er aufgefallen?

Am Mittwochnachmittag gegen 15.24 Uhr näherte sich der unauffällige Mann vor dem Terminal 2 im Bereich E des Flughafens einem dunkelblauen Bus der US-Luftwaffe, der auf einer öffentlich zugänglichen Busspur parkte. US-Soldaten wollten einsteigen; sie kamen aus Großbritannien und sollten zur US-Basis Ramstein gebracht werden, um sich dort ein paar Tage zu erholen, bevor es dann wieder in den Krieg nach Afghanistan ging.

Angeblich fragte der 21-Jährige einen der GIs, ob die Fahrgäste wirklich amerikanische Soldaten seien. Dann soll er, berichten Zeugen, erst nach einem Feuerzeug gefragt und dann laut "Allahu akhbar" gerufen haben, die übliche arabische Formulierung für "Gott ist groß", die von vielen islamistischen Gewalttätern auch als Schlachtruf benutzt wird. Dann begann er zu feuern. Er erschoss zunächst einen Soldaten vor dem Bus, dann den Fahrer. Im Wagen verletzte er zwei Soldaten schwer. Er traf sie in Brust und Kopf. Einer der Männer schwebte am Donnerstag noch in Lebensgefahr.

"Von der Religion durchtränkt"

Neunmal schoss der junge Mann, der sich Abu Reyyan nannte. Abu bedeutet Vater, Reyyan lässt sich als "von der Religion durchtränkt" übersetzen. Dann versagte die Waffe. Er rannte weg, ließ fassungslose Soldaten zurück. Und schon während er loslief, vernahmen Flughafenmitarbeiter über Lautsprecher den Code "Das Café Rundblick hat geöffnet".

Das bedeutet Alarm. Der Mann von der Post rannte in den Terminal 2, wo er von Beamten der Bundespolizei überwältigt wurde. Kurz nach dem Anschlag tauchten FBI-Beamte am Flughafen auf. Bei den Ermittlungen, die von Spezialisten des Bundeskriminalamtes (BKA) und seit Donnerstag von den Strafverfolgern der Bundesanwaltschaft geführt werden, sind die FBI-Agenten zwar dabei, besitzen aber nur Beobachterstatus.

Die Öffentlichkeit im Kosovo reagierte mit Entsetzen auf die Bluttat. Der mutmaßliche Täter Arid U. stammt nach Angaben der Regierung aus der Stadt Mitrovica im Norden des Landes. Wegen der federführenden Rolle der Amerikaner bei den Nato-Luftangriffen vor zwölf Jahren, die zum Rückzug der serbischen Staatsmacht aus dem Kosovo führten, sind die USA bei der albanischen Mehrheitsbevölkerung äußerst beliebt. Denn ohne die Unterstützung Washingtons wäre der Kosovo vor drei Jahren kaum unabhängig von Serbien geworden.

Die meisten Albaner im Kosovo bekennen sich zum Islam, gelten aber wie die Muslime in Bosnien als moderat. Die Regierung von Ministerpräsident Hashim Thaci sprach von dem makabren Verbrechen eines Einzeltäters. In einer Solidaritätskundgebung zündeten Studenten der Uni Pristina Kerzen vor dem Nationaltheater an. Ein Onkel des mutmaßlichen Täters sagte gegenüber lokalen Medien, der 21-Jährige sei in Deutschland geboren und aufgewachsen. Seine Familie lebe dort seit 40 Jahren. U. stammt offenbar aus einer strenggläubigen Familie.

Sein Großvater sei muslimischer Würdenträger in einem Dorf bei Mitrovica gewesen, hieß es. Aus kosovarischen Polizeikreisen verlautete, man habe bisher keine Kenntnisse, dass der Verdächtige in der Islamisten-Szene aktiv gewesen sei. Die Stadt Mitrovica gilt als eines der Zentren radikaler Islamisten.

Die Regierung von Premier Thaci hat in den vergangenen Jahren das Problem mit den Islamisten im Lande allerdings ein Stück ignoriert. Ein aus Albanien stammender Hassprediger wurde erst nach heftigen Protesten aus der Bevölkerung vor einem Jahr des Landes verwiesen. Als eigentlicher Führer der Islamisten gilt Shefqet Krasniqi, der Imam der Grossen Moschee in Pristina. Er wird von regierungsnahen Medien hofiert.

In Frankfurt-Sossenheim, wo Arid U. mit seinen Eltern und zwei Brüdern in einer Drei-Zimmer-Wohnung lebte, belagerten am Donnerstag Fernsehteams den Bürgersteig vor dem Hochhaus. Eine Nachbarin sagte einem Reporter, ihr sei Arid U. eher wie ein 15 oder 16 Jahre alter Junge vorgekommen. Sehr schmal sei er. Und sonst? Nett.

Im Internet soll er Inneres offenbart haben

Die Veränderung eines offenbar gläubigen jungen Mannes zu einer Art Gotteskrieger ist möglicherweise niemandem aufgefallen. Er gehörte keinem Terror-Netzwerk an, nur im Internet soll er Inneres offenbart haben. Spezialisten des hessischen Verfassungsschutzes durchforsteten in den vergangenen Tagen das Netz nach Spuren von Arid U. alias Abu Reyyan. Sie stellten fest, dass der junge Mann in den vergangenen zwei Wochen - warum auch immer - radikaler geworden war. Dutzende radikale Islamisten zählten plötzlich zu seinen Freunden. Angeblich erwog er , in den Krieg nach Afghanistan zu ziehen.

Im sozialen Netzwerk Facebook änderte er laut Ermittlern sein Profil, legte sich den Kampfnahmen zu und feierte den Heiligen Krieg: "Das ist nun mal Teil dieser schönen Religion", schrieb er. Man dürfe die Ungläubigen "bekämpfen", wenn man angegriffen werde. "Hej, wirf mir auch ne Waffe rüber!" schrieb er unter ein Video der US-Zeichentrickserie Simpsons, in der eine Figur ein Gewehr zückt. Außerdem setzte er Links zu islamistischen Internetseiten und zu Kampfliedern.

Auf der Internet-Seite eines marokkanischen Predigers, bei dem die Polizei vorbeischaute, weil der Prediger angeblich für den Dschihad geworben haben soll, findet sich ein Eintrag von Arid U. Mehr nicht. Von dieser Spezies gebe es "mehrere zehntausend im Netz", sagt ein Verfassungsschützer. Arid U. sei möglicherweise am Ende dem militantenUmfeld besonders frommer Muslime zuzuordnen gewesen, meint ein Fachmann. Unter den angeblichen Freunden des Arid U. taucht auch Pierre Vogel auf, der als eifernder deutscher Konvertit eine Berühmtheit in der Szene ist. Vielleicht wollte ja auch Arid U. nur berühmt werden.

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