Attentäter von Berlin:Der Fall Amri ist verschachtelt und verworren

Alles, was VP-01 erfuhr, wurde begierig von der Polizei, vom Staatsschutz aufgenommen. Die Quellenvernehmungen füllen Ordner. Zeitweise war VP-01 einer der wichtigsten Quellen des deutschen Staatsschutzes in der islamistischen Szene.

Am Freitag verschickte das Bundeskriminalamt (BKA) einen 18-seitigen vertraulichen Bericht mit dem etwas umständlichen Titel "Aufarbeitung der polizeilichen Befassung mit der Person Anis Amri" an Bundes- und Landesbehörden sowie an den Generalbundesanwalt in Karlsruhe, der das Amri-Verfahren betreibt.

Schon auf Seite eins des Papiers, das der Süddeutschen Zeitung, WDR und NDR vorliegt, wird unter der Datumszeile 19. November 2015 über Erkenntnisse der VP, dass ein "Anis" was vorhabe, berichtet. Daraufhin ließ der Generalbundesanwalt das Telefon von "Anis"abhören.

Sechs Tage später wird berichtet, "Anis" habe gegenüber der VP behauptet, er könne "problemlos eine Kalaschnikow in Napoli" besorgen. "Anis" mache den Eindruck, dass er "unbedingt für seinen Glauben kämpfen" wolle. Am 3. Dezember weiß die VP noch mehr: "Anis" habe erklärt, er wolle in Paris Kalaschnikows kaufen, um damit Anschläge in Deutschland zu begehen.

Wer war dieser "Anis"? Der Nachname Amri war zu diesem Zeitpunkt den Behörden noch nicht bekannt. Sie kannten nur den Vornamen, den der Tunesier der Quelle genannt hatte. Als "Mohamed Hassa" war Amri in Deutschland eingereist. Eine von 14 Identitäten, die er verwendet hat, wie sich in diesen Tagen herausstellte.

"Anis aus Dortmund und Kontaktpersonen in Berlin" wurde der bekannte Unbekannte in amtlichen Vermerken umschrieben. Ende 2015 klärten italienische Staatsschützer die deutschen Kollegen auf. "Anis" heiße mit Nachnamen Amri, geboren 22. Dezember 1992 in Tunesien, und hatte vier Jahre in italienischer Haft gesessen. Die Italiener schickten Fotos.

Viele Landes- und Bundesbehörden beschäftigten sich mit dem Mann, und das BKA etwa hielt es für sehr unwahrscheinlich, dass Amri einen Anschlag begehen werde: "Gefährdendes Ereignis ist eher auszuschließen."

Dann teilte VP-01 mit, dieser Amri finde "Tötungen von Ungläubigen" gut.

Diverse Behörden ermittelten, observierten, hörten Amri ab. Er pendelte zwischen NRW und Berlin. "Person ist dem islamistischen Spektrum zuzuordnen, mutmaßlich Bezug zum IS, intensive Kontrolle der Person, mitgeführter Gegenstände und Begleiter, Feststellung der Reiseroute." Solche Feststellungen waren das übliche Resultat von Diskussionen über Amri.

Anfang Februar 2015 wurde Amri von den Behörden in NRW als "Gefährder" eingestuft. Aber war er eher gefährlich oder eher ein Maulheld? Und was war mit der Quelle? Ein Vertreter des BKA meinte, dass die Quelle zwar zutreffend zu wichtigen Personengeflechten in der islamistischen Szene berichte, aber man solle bei der Frage nach der Wichtigkeit der Quelle auch nicht übertreiben: So bestünden "erhebliche Zweifel" an der Belastbarkeit von Aussagen, was einen angeblich geplanten Anschlag von Amri mittels Schnellfeuergewehren angehe. Ein BKA-Beamter notierte in einer der vielen Amri-Runden, die es in Berlin gegeben hat, spitz: Diese VP sei schon in einem anderen Fall mit "Exklusivwissen" in Erscheinung getreten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: