Attentäter Mohamed Merah:Vom Kleinkriminellen zum Terroristen

Die US-Armee hatte Mohamed Merah in Afghanistan aufgegriffen, der französische Geheimdienst behielt ihn danach im Auge. Doch dass sich der junge Mann zum islamistischen Serienmörder entwickelte, blieb unbemerkt. Die wichtigsten Ereignisse, die zur Ermordung von sieben Opfern und dem Tod des Täters führten.

Die Vergangenheit des Täters

Toulouse shootings suspect Mohamed Merah

Der Polizei war Mohamed Merah als Kleinkrimineller bekannt, bevor die Geheimdienste wegen seiner Afghanistanreisen auf ihn aufmerksam wurden.

(Foto: dpa)

2004 bis 2007: Mohamed Merah, geboren im Oktober 1988 in Toulouse als Sohn eines französischen Vaters und einer algerischen Mutter, begeht eine Reihe von Straftaten, insbesondere Diebstahl. Er ist als Kleinkrimineller bekannt.

Dezember 2007 bis September 2009: Merah sitzt wegen Handtaschenraubes im Gefängnis in Frankreich. Nach Einschätzung der französischen Staatsanwaltschaft entwickelt er sich während der Haft zu einem islamistischen Fundamentalisten. Beeinflusst wird er offenbar von seinem älteren Bruder, der bereits der islamistischen Szene in Toulouse angehört.

2010: Merah hält sich in Afghanistan auf, er wird von US-Soldaten an einem Checkpoint im südafghanischen Kandahar überprüft. Die Soldaten informieren das französische Militär und den französischen Geheimdienst - er wird jedoch nicht festgenommen. Merah reist nach Frankreich zurück, wo er sich angeblich bei der französischen Armee und der Fremdenlegion bewirbt - vergeblich. Der Geheimdienst in Frankreich hat seit seiner Reise ein Auge auf ihn.

Juni 2010: Eine Nachbarin versucht eigenen Angaben zufolge, Merah anzuzeigen. Er habe ihrem Sohn Propagandafilme der al-Qaida gezeigt und sie und ihre Tochter bedroht. Die Polizei habe jedoch nichts unternommen, erklärte sie französischen Medien zufolge.

August bis September 2011: Merah hält sich offenbar erneut im pakistanischen Waziristan auf. Er selbst gibt später an, dass er sich in einem Trainingslager für Terroristen ausbilden ließ.

Oktober bis November 2011: Merah reist aufgrund einer Hepatitis-A-Infektion nach Frankreich zurück. Wegen seiner Afghanistanreise wird er vom Geheimdienst befragt. Spätestens seit dieser Zeit wird er überwacht. Für die Agenten führt er jedoch ein normales Leben. Merah steht nun auch auf einer "No-Fly"-Liste der US-Behörden mit Terrorverdächtigen, die in den USA nicht fliegen dürfen.

September 2011 bis März 2012: Merah, der von Sozialhilfe lebt, muss sich mehrere Leihwagen und Wohnungen sowie ein ganzes Arsenal an Waffen besorgt haben.

24. Februar 2012: Merah wird wegen Fahrens ohne Führerschein zu einem Monat Haft verurteilt. Er hätte die Strafe im April antreten sollen.

Die Mordserie

11. März 2012: In der Stadt Toulouse wird ein 30-jähriger Fallschirmjäger der französischen Armee in Zivil mit einem Kopfschuss getötet. Das Opfer ist maghrebinischer Herkunft. Zeugen berichten, der Täter sei mit einem schwarzen Motorroller oder Moped vom Tatort geflohen. Vor seiner Ermordung hat der Soldat ein Motorrad im Internet zum Verkauf angeboten. Mohamed Merah ist einer von mehreren hundert Interessenten, die sich auf die Anzeige meldeten. Der Inlandsgeheimdienst DCRI erstellt eine Liste mit Verdächtigen aus der rechten Szene sowie von islamistischen Fundamentalisten. Auch der Auslandsgeheimdienst DGSE beteiligt sich an den Ermittlungen. Mohamed Merah steht auf den Listen der Behörden, doch die Hinweise reichen zu diesem Zeitpunkt nicht dafür aus, dass die Ermittler ihn genauer ins Visier nehmen.

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Französische Soldaten tragen den Sarg mit einem ihrer Kameraden, die Mohamed Mareh getötet hat.

(Foto: AFP)

15. März 2012: In dem Ort Montauban, etwa 50 Kilometer von Toulouse entfernt, werden gegen 14 Uhr drei Fallschirmjäger in Uniform auf offener Straße beschossen. Ein 24-Jähriger und ein 26-Jähriger - beide nordafrikanischer Herkunft - sterben, ein 28-Jähriger Soldat aus Guadeloupe wird durch einen Kopfschuss schwer verletzt. Überwachungskameras zeigen den Täter als Motorradfahrer mit dunklem Helmvisier. Die Staatsanwaltschaft sieht eine Verbindung der zwei Attentate. Doch noch immer reichen die Hinweise nicht aus, um den jungen Mann festzunehmen. Es gibt Spekulationen, dass der Mörder ein Rassist oder selbst Soldat sein könnte.

17. März 2012: Die Polizei stößt bei der Überprüfung der Kontaktdaten auf dem Computer des ersten Opfers auf eine E-Mail-Adresse, die vom Computer von Merahs Mutter stammt.

19. März 2012: In Toulouse werden um kurz nach acht Uhr vor der jüdischen Schule Ozar Hatorah ein 30-jähriger Lehrer und seine zwei drei und sechs Jahre alten Kinder sowie ein zehnjähriger Schüler erschossen. Ein 17-Jähriger wird schwer verletzt. Der Täter fährt mit einem Motorroller vor und eröffnet das Feuer auf Menschen vor dem Gebäude. Danach betritt er das Schulgebäude und feuert mit einer zweiten Waffe um sich. Dann fährt er auf dem Motorroller davon. Auf den Bildern einer Überwachungskamera lässt sich sein Gesicht nicht erkennen. Nach diesem dritten Anschlag sind sich die Ermittler sicher, dass es sich in allen Fällen um denselben Täter handelt. Der entscheidende Hinweis auf Mohamed Merah als Täter kommt von einem Motorradhändler. Der Mann berichtet der Polizei von einem Kunden, der wissen wollte, wie man einen elektronischen Chip an Motorrollern deaktiviert. Der Chip lässt sich über GPS orten und dient dazu, gestohlene Fahrzeuge aufzuspüren. Der Name des Kunden: Merah. Doch die Behörden kennen den Aufenthaltsort des eigentlich überwachten Mannes nicht.

20. März 2012: Die Polizei überwacht das Telefon von Asseri Merah. Als sich ihr Sohn Mohamed bei ihr meldet, können sie seinen Aufenthaltsort identifizieren. Rue Sergent Vigné Nr. 17, Toulouse. Die Medien erfahren, dass der Attentäter seine Taten mit einer kompakten GoPro Videokamera aufgenommen hat und dass der Roller, mit dem er unterwegs war, am 6. März als gestohlen gemeldet wurde. Am Abend verbreitet der Fernsehsender TF1 Bilder von Verkehrsüberwachungskameras, auf denen der mutmaßliche Attentäter auf dem Roller zu sehen ist.

Im Auto des Bruders, Mitglied einer islamistischen Gruppe, findet die Polizei später Sprengstoff und Waffen. Der Wagen wird zur Explosion gebracht.

Das Ende des Terroristen

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Angehörige der RAID vor dem Wohnblock, in dem Mohamed Mareh sich verbarrikadiert hatte.

(Foto: AFP)

21. März 2012

Kurz nach 1:00 Uhr : Mohamed Merah ruft bei Ebba Kalando an, einer Journalistin des französischen TV-Senders France24. Er gibt sich als der gesuchte Serienmörder zu erkennen und bezeichnet sich als Krieger Allahs.

03:05 Uhr: Das Haus mit der Wohnung des Verdächtigen wird von Polizeieinheiten umstellt.

Gegen 05:45 Uhr: Erste Schüsse sind zu hören. Die Polizei versucht, die Wohnung zu stürmen. Merah feuert durch die Tür und verletzt zwei Polizisten. Der Sturm wird abgebrochen.

Gegen 07:45 Uhr: Es finden erste Verhandlungen mit Merah statt.

Gegen 08:45 Uhr: Die Evakuierung des Gebäudes wird vorbereitet.

09:10 Uhr: Zwei Schüsse sind zu hören. Wer auf wen gefeuert hat, ist unklar.

Gegen 10:00 Uhr: Gas und Wasser im Haus werden abgestellt.

11:05 Uhr: Merah kündigt an, dass er sich ergeben werde. Er verlässt die Wohnung aber nicht.

11:20 bis 11:50 Uhr: Das vierstöckige Gebäude, in dem der Attentäter seine Wohnung hat, und benachbarte Gebäude werden evakuiert.

14:00 Uhr: Es geht das Gerücht um, dass Merah verhaftet sei. Die Behörden stellen richtig, dass die Belagerung andauert

16:45 Uhr: Merah gibt erneut an, sich eventuell im Laufe des Abends stellen zu wollen. Danach versuchen RAID-Einheiten mehrmals ins Haus einzudringen. Sie werden jedoch von Merah mit Waffengewalt daran gehindert.

20:48 Uhr: Die Straßenbeleuchtung wird abgeschaltet.

23:35 Uhr: Es sind drei Detonationen zu hören.

22. März 2012

00:10 Uhr bis 5:50 Uhr: Immer wieder sind Detonationen und auch Schüsse zu hören. Die Polizei versucht offenbar, Merah zu einer Reaktion zu provozieren - vergeblich.

08:00 Uhr: Frankreichs Innenminister Claude Guéant erklärt in einem Interview mit RTL Frankreich, es könnte sein, dass Merah Selbstmord begangen habe.

10:30 Uhr: Es sind erneut zwei Explosionen zu hören. Dass Merah nicht reagiert, wird als Hinweis auf einen Selbstmord interpretiert.

11:27 Uhr: Ein erneuter Angriff auf die Wohnung des Verdächtigen beginnt. Die Polizei gibt Schüsse ab, eine größere Explosion ist zu hören - Merah reagiert weiterhin nicht.

11:30 Uhr: Zwei Polizei-Teams dringen die Wohnung ein. Eine Gruppe kommt durch die Fenster, eine andere durch die Eingangstüre. Die Polizisten nutzen eine kleine Roboterkamera, um damit um die Ecken zu blicken. Die Räume der Dreizimmerwohnung sind leer, die Toilette ebenso. Als die Polizisten die kleine Kamera an der Badezimmertür einsetzen, beginnt Merah zu schießen. Dann springt er aus dem Fenster. Ein Scharfschütze der Polizei tötet ihn mit einem Kopfschuss.

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