Attacken in Jerusalem:"Diese Gewaltwelle hat eine neue Qualität"

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Blick vom Österreichischen Hospiz in Jerusalem über die Altstadt zum Tempelberg (Foto: www.hudelist.com)

Wie wirken sich die Anschläge in Israel auf die Stimmung der Bevölkerung aus? Markus Bugnyár, Rektor des Österreichischen Hospizes, erzählt, mit welchem Gefühl er durch Jerusalem geht.

Interview von Oliver Das Gupta

Markus Stephan Bugnyár kam in Wien zur Welt und hat Theologie sowie Archäologie studiert ( hier mehr zu seiner Vita). Seit 2004 leitet er als Rektor das Österreichische Hospiz zur Heiligen Familie in der Altstadt von Jerusalem. Das altehrwürdige Gebäude wurde zur Zeit der Habsburger Doppelmonarchie errichtet ( hier mehr dazu), heute steht es Pilgern und Touristen offen. Außerdem dient das Hospiz auch als Ort für kulturelle Veranstaltungen sowie als Begegnungsstätte für verschiedene Konfessionen.

SZ: Herr Bugnyár , inwiefern wirkt sich die Welle der Gewalt auf Jerusalem aus?

Markus Bugnyár: Die Altstadt ist weitgehend gesperrt, nur noch Bewohner und Touristen dürfen hinein. Viele arabische Händler sperren nach den Anschlägen ihre Läden zu, ein stundenweiser Generalstreik. Rund um das Hospiz sind die Straßen oft leer. Dann wiederum gibt es Minuten, in denen die Gassen und Wege außergewöhnlich voll sind.

Haben Sie eine Erklärung dafür?

Wir deuten das so, dass die Reiseveranstalter das geplante Programm für ihre Pilger- und Touristengruppen absolvieren. Allerdings scheint man den Aufenthalt in der Altstadt möglichst kurz zu halten, aber eben nicht ausfallen zu lassen. Bei uns im Hospiz erleben wir Stoßzeiten: Neulich hatten wir 200 Pilger zu Gast in relativ kurzer Zeit - das ist im Mittelfeld dessen, was wir zu dieser Jahreszeit gewohnt sind. Und am übrigen Tag sehr viel weniger Besucher.

Markus St. Bugnyár, der Leiter des Österreichischen Hospizes in Jerusalem (Foto: Christine Floyd; privat)

Fühlen Sie sich noch sicher, wenn Sie durch Jerusalem gehen?

Ein klares Ja. Menschen, die eindeutig als Touristen, Pilger oder Ausländer erkennbar sind, werden nicht angegriffen. Beiden Seiten - Israelis und Palästinensern - ist das sehr wohl bewusst. Dennoch bedrückt das Wissen um die Gewalt natürlich.

Inzwischen gab es auch eine Attacke in der Altstadt.

Seit diesem Attentat hat diese Gewaltwelle auch für uns eine neue Qualität. Die Altstadt galt als relativ sicherer Ort für Ausländer. Die arabischen Bewohner leben schließlich von den Pilgern und vom Fremdenverkehr. In der Vergangenheit gab es vereinzelt Übergriffe, aber nicht zu diesen Zeiten, an diesen Orten und in dieser Intensität. Soweit ich weiß, war kein Bewohner der Altstadt in die Anschläge verwickelt, das waren Leute aus anderen Bereichen Ostjerusalems oder des Westjordanlandes.

Sie haben Kontakte zu Juden, Muslimen und anderen Christen, das Hospiz ist eine überkonfessionelle Begegnungsstätte. Machen die Menschen auf Sie einen ängstlichen Eindruck?

Weniger ängstlich, eher verwirrt. Die Entwicklungen der letzten Tage sind so schnell und undurchsichtig. Es gibt Attentate, andere Zwischenfälle und Reaktionen darauf. Auch viele Orte des Heiligen Landes, an denen es bislang friedlich zuging, werden nicht verschont. Die Leute fragen sich: Sind das Einzelaktionen, die sich auf die jeweils vorhergehende Tat beziehen? Ebbt das wieder ab? Oder handelt es sich um Vorzeichen eines allgemeinen, großen Aufstandes. Man wähnt sich an einem Scheideweg.

Bildstrecke
:Das Österreichische Hospiz in Jerusalem

Eine katholische Insel mitten in der muslimischen Altstadt: Im Österreichischen Hospiz serviert man den Gästen Sachertorte und Melange - und einen der schönsten Blicke auf Jerusalem.

Und was meinen Sie?

Es gibt keine belastbare Prognose, beide Varianten sind möglich. Allerdings glaube ich eher nicht, dass eine dritte Intifada bevorsteht.

Worauf basiert Ihre Einschätzung?

Bei den zurückliegenden Intifadas handelte es sich um Volksaufstände, das ist nun Gott sei Dank nicht der Fall. Wohl aber gibt es einzelne extremistische Gruppen, die auf eine Eskalation hinarbeiten. Politiker und Medien verwenden nun schon drei Jahre das Wort Intifada, inzwischen wird der Begriff inflationär benutzt. Ich würde mir wünschen, dass wir alle mit dem Vokabular vorsichtiger umgehen.

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