Attacken auf Politiker:Schaurige Wiederkehr der Radikalität

Attentate

Von links: Rudi Dutschke, Wolfgang Schäuble und Rosa Luxemburg

(Foto: dpa)

Luxemburg, Dutschke, Schäuble und nun Reker: Immer wieder gab es in Deutschland Attacken auf Politiker und Aktivisten. Was trieb die Täter? Ein historischer Rückblick.

Von Oliver Das Gupta

Die Menschheitsgeschichte ist schrecklich voll von Anschlägen und Mordversuchen auf Fürsten, Politiker und Aktivisten. Deutschland ist da keine Ausnahme.

Der Mann, der am Samstag auf die inzwischen gewählte Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker einstach, handelte offenkundig aus Ausländerhass. Es ist eine schaurige Wiederkehr von extremer Radikalität, die die meisten Attentäter in der jüngeren deutschen Geschichte angetrieben hat. Andere handelten aus einer psychischen Störung heraus.

Nach der späten Nationalstaatlichkeit von 1870/71 etwa verliefen mehrere öffentliche Attacken auf Reichskanzler Otto von Bismark und Kaiser Wilhelm I. glimpflich (zumindest für die Angegriffenen).

Oft kamen die Täter bis dahin aus dem extrem linken und anarchistischen Spektrum. Das änderte sich grundlegend mit dem Ersten Weltkrieg. Der politische Mord wurde jahrzehntelang ein Instrument von Rechtsextremen.

Hier ein Überblick über Attacken und Opfer:

Weimarer Republik (1919-1933)

Eine regelrechte Liquidationswelle schwappte über die gerade eben erst ausgerufene Republik. Die Täter kamen meist aus dem Gemenge der durch den Krieg enthemmten Soldateska, frustrierten Monarchisten und Antisemiten - ein Klima in dem auch Adolf Hitler aufstieg. Für diese Leute war die Ausrufung der Republik am 9. November 1918 der größte anzunehmende Unfall. Sie hassten Linke, Pazifisten und Juden. Ziele wurden aber andere Demokraten, die die demokratische Nachkriegsordnung verteidigten und nicht deutschnational eingestellt waren.

  • Im Januar 1919 wurden die Kommunistenführer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht nach dem Spartakistenaufstand von rechtsradikalen Milizionären verschleppt und getötet. Zuvor gab es bereits zahlreiche Mordaufrufe gegen beide Politiker.
  • Im Februar 1919 ermordete ein adeliger Reserveoffizier in München Bayerns ersten Ministerpräsidenten Kurt Eisner.
  • Die rechtsterroristische Organisation Consul ermordete Anfang der 1920er Jahre mehrere Politiker wie den ehemaligen Finanzminister Matthias Erzberger - einen katholischen Konservativen - weil er den Versailler Friedensvertrag befürwortet hatte.
  • 1922 erschossen Rechtsextremisten Reichsaußenminister Walther Rathenau, einen Liberalen mit jüdischen Wurzeln.

Nach der Stabilisierung der Republik kam es mit der Weltwirtschaftskrise erneut zu einer Radikalisierung: Die politischen Lager hatten sich inzwischen eigene Kampfverbände zugelegt.

Hitlers NSDAP und auch die KPD, die am Ende der Weimarer Republik immer mehr Zulauf erhielten, wollten die pluralistische Republik beseitigen und bekämpften die politische Mitte wie die SPD, das katholische Zentrum und die liberale DDP. In diesem Klima vor der Machtergreifung kam es immer wieder zu politischer Gewalt. Neben Prügeleien gab es auch Morde und Mordversuche:

  • So töteten SA-Leute 1931 den kommunistischen Bürgerschaftsabgeordneten Ernst Hennig in Hamburg.
  • Im selben Jahr erschoss der spätere Stasi-Chef Erich Mielke mit einem kommunistischen Kompagnon in Berlin gezielt die Polizeioffiziere Paul Anlauf und Franz Lenck. Die Tat war als Racheaktion für einen Genossen gedacht, der bei einem Handgemenge mit der Polizei getötet worden war.

NS-Diktatur (1933-1945)

Mit Beginn der nationalsozialistischen Diktatur häuften sich die politischen Morde drastisch. Nach seiner Ernennung zum Reichskanzler ließ Hitler bald zahlreiche politische Gegner ermorden. Opfer wurden etwa:

  • Der General und frühere Reichskanzler Kurt von Schleicher im Juni 1934. Nazi-Schergen erschossen den General und seine Frau in deren Haus in Neubabelsberg.
  • Der anarchistische Schriftsteller Erich Mühsam, dessen Ermordung im KZ Oranienburg von der SS im Juli 1934 als Freitod inszeniert wurde.
  • Der SA-Chef Ernst Röhm wurde im selben Monat auf Befehl von Hitler ermordet. Der Diktator entledigte sich damit - mit dem Verweis auf angebliche Putsch-Pläne und Röhms Homosexualität - eines NS-internen Konkurrenten.

Vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges befanden sich oppositionelle Politiker meist in Konzentrationslagern, wo einige auf unterschiedliche Weise umgebracht wurden. Für Hitlers Regime wurden die staatlich sanktionierten massenhaften Liquidierungen von Gegnern bis 1945 normales Mittel zum Zweck.

  • So ließ das NS-Regime Politiker ermorden, wie den KPD-Chef Ernst Thälmann ermorden, der im August 1944 erschossen wurde.
  • Kurz vor der Kapitulation im Frühjahr 1945 ließ die NS-Führung gefangene Widerstandskämpfer umbringen wie etwa den Hitler-Attentäter Georg Elser, den Ministerialbeamten Hans von Dohnanyi, den evangelischen Pfarrer Dietrich Bonnhoeffer (hier mehr dazu).
  • Auch der abgesetzte Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer sollte ins KZ Buchenwald deportiert und - damals verklausuliert umschrieben - getötet werden. Dem späteren Bundeskanzler gelang es dank eines Kommunisten bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges unterzutauchen.

Bundesrepublik Deutschland (1949-2015)

Nach Gründung der Bundesrepublik gab es zunächst keine nennenswerten Übergriffe auf Politiker. Zwar gab es kontroverse Themen zuhauf - Teilung, Wiederbewaffnung, Spiegel-Affäre. Aber erst mit dem Aufkommen der Studentenbewegung kam es erneut zu Attentaten und Attentatsversuchen auf Politiker und politische Aktivisten.

  • Der marxistische Studentenführer Rudi Dutschke wurde 1968 von einem rechtsextremen Hilfsarbeiter in Berlin angeschossen. Der Täter hatte zuvor von einem ehemaligen NPD-Politiker Pistolen und Schießunterricht erhalten. Dutschke überlebte schwer verletzt und starb 1979 an den Spätfolgen des Attentats.
  • Die Rote Armee Fraktion (RAF) radikalisierte sich nach 1970. Bis 1991 töteten die Extremisten und assoziierte Gruppen rücksichtslos, vorgeblich aus politischen Motiven. Mindestens 34 Menschen ermordeten die Linksterroristen, darunter neben Managern, Polizisten und Chauffeuren auch Generalbundesanwalt Siegfried Buback (1977), den hessischen FDP-Wirtschaftsminister Heinz-Herbert Karry (1981) und den Diplomaten Gerold von Braunmühl (1986).

1990, im Jahr der deutschen Einheit, kam es zu zwei Mordversuchen an deutschen Spitzenpolitikern:

  • Im April 1990 attackierte eine Frau bei einer Wahlkampfveranstaltung den SPD-Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine mit einem Messer. Der damalige saarländische Ministerpräsident überlebte die Stichwunden am Hals nur knapp. Die Täterin war psychisch gestört und hatte erst kurz vor der Attacke entschieden, Lafontaine anzugreifen.
  • Wenige Monate später, am 12. Oktober, verübte ein schizophrener Mann ein Attentat auf Wolfgang Schäuble im baden-württembergischen Oppenau. Der Täter schoss auf den damaligen Bundesinnenminister. Schäuble überlebte, ist aber seit dem Anschlag querschnittsgelähmt.

Es folgten mehrere, offenkundig politisch motivierte Attacken auf Politiker:

  • Der Sozialdemokrat Walter Momper wurde im August 1991 in Berlin angefallen. Vermummte schlugen den Regierenden Bürgermeister im August 1991 mit einem Holzknüppel und sprühen ihm Reizgas ins Gesicht.
  • Bundesaußenminister Joschka Fischer wurde im Mai 1999 mit einem Farbbeutel beworfen und erlitt dabei einen Trommelfellriss. Der aus der linksautonomen Szene stammende Täter in Frauenkleidern begründete seine Tat mit Fischers Unterstützung des Nato-Einsatzes im Kosovo.
  • Angelika Beer, damals Grünen-Spitzenpolitikerin, wurde im Juni 2000 von einem Mann mit einem Messer attackiert und am Arm verletzt. Zuvor hatte sie mehrere Morddrohungen erhalten.
  • Zwei Tage vor der Bundestagswahl im September 2002 schlug ein Rechtsextremist dem grünen Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele an einem Berliner Wahlstand mit einem Schlagstock auf den Kopf.

Eine weitere Attacke eines psychisch gestörten Menschen passierte im Jahr 2004:

  • Eine an Schizophrenie leidende Frau stach dem Hamburger Justizsenator Roger Kusch damals bei einem Wahlkampfauftritt ins Bein.

In den vergangenen Jahren gab es keine bekannt gewordenen Anschläge auf Spitzenpolitiker oder bekannte Aktivisten. Die Messerattacke auf die Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker, bei der am 17. Oktober auch vier weitere Personen verletzt wurden, ist somit eine Ausnahme - und bleibt es hoffentlich auch.

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