Süddeutsche Zeitung

Attacken auf Google:Hacker-Angriff aus dem Politbüro

US-Depeschen machen führende Kader der Kommunistischen Partei Chinas persönlich für Attacken auf Google verantwortlich. Das macht deutlich, wie viel Angst die chinesische Führung vor einem unzensierten Internet hat.

Henrik Bork, Peking

Führende Kader der Kommunistischen Partei Chinas waren möglicherweise persönlich in die Attacken auf die US-Firma Google verwickelt. Dies berichtete die New York Times am Wochenende unter Berufung auf vertrauliche Depeschen von US-Diplomaten, die ihr von Wikileaks überlassen wurden. Mitglieder des Politbüros sollen sich selbst gegoogelt und anschließend eine Kampagne gegen den US-Konzern orchestriert haben, wie die Depeschen nahelegen. Das Material zeigt auch, dass US-Diplomaten in Peking Washington über mögliche Beteiligungen chinesischer Regierungsbeamter und Militärangehöriger an Hackerangriffen auf Google und ausländische Regierungen informiert haben.

Eine der Depeschen führt Googles Probleme in China auf einen Vorfall zurück, der trotz seines Unterhaltungswerts bislang unbekannt war. Li Changchun, Chinas mächtiger Propaganda-Zar, soll "überrascht" gewesen sein, dass auf google.com sogar Eingaben in chinesischen Schriftzeichen möglich seien, berichtet die New York Times. Er habe "seinen eigenen Namen eingegeben und angeblich Ergebnisse gefunden, die Kritik über ihn enthielten", heißt es in der geheimen Depesche vom 18. Mai 2009. Anfang 2010 zitierte dann ein US-Diplomat einen "gut platzierten Gewährsmann" mit dem Vorwurf, Chinas Regierung habe den Hackerangriff auf Google Anfang des Jahres selbst koordiniert. "Unserem Gewährsmann zufolge wurden die streng vertraulich durchgeführten Operationen auf der Ebene des Ständigen Ausschusses des Politbüros dirigiert", zitiert die New York Times aus der Depesche. Li Changchun ist Mitglied dieses neunköpfigen Ständigen Ausschusses, des obersten Führungsgremiums in China.

Die von Wikileaks veröffentlichten Depeschen enthalten jedoch keine endgültigen Beweise über die direkte Beteiligung der chinesischen Staats- und Parteiführung an Hackerangriffen. Wie auch ausländische Journalisten sind US-Diplomaten in China auf vertrauliche Gespräche mit Informanten angewiesen, die selten aus dem Führungskreis stammen.

Die in den US-Depeschen über Li Changchun zitierte Quelle habe inzwischen in einem Interview einige seiner Angaben bestritten, berichtete die New York Times. So habe nicht Li Changchun, sondern der Leiter der Propagandaabteilung der Partei, Liu Yunshan, die Kampagne geleitet, mit der Google unter Druck gesetzt wurde, schrieb die Zeitung. Li Changchun und auch Zhou Yongkang, Chinas oberster Aufseher über die Staatssicherheit, hätten nur einzelne Maßnahmen bewilligt. Dennoch zeichnen die Wikileaks-Dokumente das Bild einer chinesischen Führung, deren Angst vor einem unzensierten Internet beträchtlich zu sein scheint.

Google hatte sich im Frühjahr teilweise aus China zurückgezogen, nachdem sich Hacker Zugang zu E-Mail-Konten von Dissidenten und zu Basisinformationen über Googles Softwarecode verschafft hatten. Über eine Beteiligung chinesischer Beamter und des Militärs an den Hackerangriffen wurde damals viel spekuliert. Doch weder Google noch die US-Regierung sprachen dies offen aus.

Die Hackerangriffe auf westliche Regierungsstellen, Firmen und Forschungseinrichtungen ziehen sich wie ein roter Faden durch die Korrespondenz amerikanischer Diplomaten in China mit ihren Vorgesetzten. So habe beispielsweise 2008 ein in Shanghai lebender Hacker mit Verbindungen zu Chinas Volksbefreiungsarmee eine nicht näher genannte Regierungsstelle in den USA angegriffen, berichtet die New York Times unter Berufung auf Wikileaks. Der Hacker habe ein Dokument mit dem Betreff "Gehaltserhöhung - Umfrage und Vorhersage" als Köder versandt. So sei es ihm gelungen, 50 Megabyte an Regierungs-E-Mails und eine Liste von Benutzernamen und Passwörtern einer "Regierungsstelle der Vereinigten Staaten" zu stehlen.

Die chinesische Führung hat eine direkte Beteiligung an Hacker-Angriffen abgestritten. Man werde "entschlossen und energisch" dagegen vorgehen, hat Premier Wen Jiabao schon vor Jahren zu Kanzlerin Angela Merkel gesagt. Die Wikileaks-Depeschen enthalten auch Protokolle über Treffen, in denen deutsche Diplomaten ihre US-Kollegen über vermutlich aus China stammende Angriffe auf deutsche Regierungscomputer informieren. Insider der Hackerszene sagen, Chinas Führung bediene sich bei der Beschaffung digitaler Informationen bewusst der Hilfe unabhängiger Hacker und "Internet-Sicherheitsfirmen". Hacker oder Ex-Hacker müssen der Partei helfen, damit im Gegenzug ihre eigenen, lukrativen Aktivitäten geduldet werden.

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SZ vom 06.12.2010/segi
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