Atomwaffen:Utopisten wissen, dass es keine nukleare Abrüstung über Nacht geben wird

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"Die Zukunft liegt in der atomaren Abrüstung, sonst gibt es keine Zukunft mehr": Protest gegen Atomenergie in Lyon zum Jahrestag des Reaktorunglücks in Fukushima. (Foto: imago/ZUMA Press)

Doch sie können Druck aufbauen auf die Realisten. Das hat schon einmal funktioniert - zum Beispiel beim Streubombenverbot.

Kommentar von Tobias Matern

Es hörte sich an, als stünde sie an der Spitze der Bewegung: "Als eine Mutter, als eine Tochter gibt es nichts, was ich mehr für meine Familie will als eine Welt ohne Atomwaffen", sagte die amerikanische UN-Botschafterin Nikki Haley. Um dann sofort nachzulegen: Die USA würden sich nicht an Verhandlungen beteiligen, die genau diese Welt zum Ziel haben.

Haley begründete diese Haltung vor einem Konferenzraum der Vereinten Nationen in New York. Sie betrat den Raum nicht, obwohl dort gerade eine historische Staatenkonferenz tagt. Die Weltgemeinschaft ringt um ein Vertragswerk, das Nuklearwaffen verbieten soll. Sie tut dies in verkleinerter Runde und ohne die Großmächte, die kraft ihrer Atomwaffen das mächtigste Gremium der UN, den Sicherheitsrat, dominieren.

Die fünf ständigen Mitglieder des Rats verweigern sich den Gesprächen ebenso wie die inoffiziellen Atomstaaten Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea. Mit Ausnahme der Niederlande fehlen auch alle Nato-Staaten, die als sogenannte nukleare Teilhaber unter dem US-Atomschirm Schutz genießen. Sie alle schicken nicht einmal Vertreter in den Raum, um über die Waffen mitzudiskutieren, die den Planeten zerstören können. Mehr diplomatische Ablehnung geht nicht.

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Welt ohne Atombomben ist Utopie

Die Parteien, die am Tisch sitzen, und die Parteien, die fernbleiben, lassen sich grob in zwei Lager einteilen: Realisten und Utopisten. Die Realisten, angeführt von den USA, haben vernünftige Argumente auf ihrer Seite. Die Welt ist unsicher. Atomwaffen sind seit ihrem einzigen, schrecklichen Gebrauch in Hiroshima und Nagasaki vor 72 Jahren nicht mehr zum Einsatz gekommen.

Atomwaffenstaaten haben sich gegenseitig in Schach gehalten, weil die Konfliktparteien stets ein Mindestmaß an Rationalität an den Tag legten: Wenn wir die tödlichen Waffen verwenden, um unserem Gegner maximalen Schaden zuzufügen, so lautet das Abschreckungskalkül, wird die Gegenseite das auch tun.

Das war im Kalten Krieg so, das ist zwischen den Erzrivalen Indien und Pakistan so. Dieses Szenario vom gemeinsamen Untergang - es ist in der Denkschule der Realisten ein Nullsummenspiel, das Sicherheit garantiert. Von dieser Seite kam zwar vor einigen Jahren die Vision von einer Welt ohne Atombomben. Aber mehr als eine bemerkenswerte Rede von Barack Obama in Prag im Jahr 2009 ist als Vermächtnis nicht geblieben.

Fast 130 Staaten sind für ein Verbot

Wie selbstverständlich setzen die großen Mächte wieder auf nukleare Abschreckung, modernisieren die Amerikaner ihre Arsenale, spielen die Russen nukleare Optionen gegen Nato-Staaten durch. Die Utopisten sind es leid, diesen Status quo schweigend hinzunehmen. Ihr Argument: Die Welt ist unsicher, weil es Atomwaffen gibt, also gehören sie verboten. Und die bisherigen Verträge, die es einerseits weiteren Staaten verbieten sollen, sich Nuklearwaffen zu beschaffen, und die andererseits die Atomwaffen-Staaten verpflichten, verbindlich abzurüsten, sind aus Sicht der Utopisten ein stumpfes Schwert. Sie haben recht.

Realisten und Utopisten befinden sich in einem dialektischen Diskurs, den die Realisten abkürzen wollen, indem sie auf irrationale nordkoreanische Diktatoren und Terroristen verweisen, die sich keineswegs um ein gut gemeintes Verbot von Atomwaffen scherten und die sie nur mit dem eigenen Besitz von Atomwaffen in die Schranken weisen könnten. Die Utopisten wiederum verweisen auf ihre moralische Überlegenheit: Wer kann schon etwas dagegen haben, eine derart zerstörerische Waffe aus der Welt zu schaffen?

Dieser bislang von Realisten bestimmten Nukleardebatte nun einen radikalen Ansatz entgegenzusetzen, geschieht zum richtigen Zeitpunkt. Die Verbotsverfechter, knapp 130 von 193 UN-Staaten, haben eine kritische Masse erreicht: Wenn zwei Drittel der Weltgemeinschaft den Istzustand als inakzeptabel empfinden, kann die andere Seite das nicht mehr ignorieren. Sie muss ihren Boykott - wie UN-Botschafterin Haley es getan hat - zumindest begründen.

Die Utopisten wissen, dass es keine Abschaffung aller Atomwaffen über Nacht geben wird. Die Verbote von Chemiewaffen und Streubomben haben gezeigt, dass Waffen nicht einfach durch Verträge verschwinden. Aber beide Fälle belegen, dass Akteure, die diese Mordwerkzeuge doch noch benutzen, eine massive internationale Ächtung in ihre Kalkulation einbeziehen müssen. Diese Verbote haben sich zu vorzeigbaren internationalen Normen entwickelt. Das kann das Atomwaffenverbot auch werden.

Es geht bei den New Yorker Verhandlungen wohl nicht um Nikki Haleys Eltern und vielleicht noch nicht einmal um ihre Kinder. Aber sicherlich um ihr Vermächtnis als Großmutter.

© SZ vom 31.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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