Süddeutsche Zeitung

Atomwaffen:Falsche Hoffnung

Die Vorstellung, Deutschland könne sich in der Nato aus der nuklearen Mitverantwortung verabschieden, ist realitätsfremd. Schlüsselfigur ist nicht Donald Trump, sondern Wladimir Putin.

Von Daniel Brössler

Vor elf Jahren hat der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier einen Wunsch geäußert, der sich bis heute nicht erfüllt hat. Steinmeier, seinerzeit Kanzlerkandidat, formulierte auf der Münchner Sicherheitskonferenz die "Erwartung", dass die in Deutschland gelagerten Atomwaffen in die USA zurückgebracht würden. Der damalige FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle ging im Wahlkampf noch weiter und versprach, sich aktiv für den Abzug der Atombomben einzusetzen. Zu Beginn seiner Amtszeit als Außenminister startete er tatsächlich eine Initiative mit diesem Zweck. Sie verlief allerdings im Sand, wiewohl US-Präsident Barack Obama sich 2009 zur moralischen Verantwortung für das Streben nach einer atomwaffenfreien Welt bekannte.

Mit seiner Forderung nach dem Abzug der Bomben und einem Ende der deutschen "nuklearen Teilhabe" steht der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich also in einer Tradition - aber eben auch in einer Tradition des Scheiterns. Richtig ist, dass die Lage sich verändert hat. Allerdings zum Schlechteren. Würde seine Forderung wahr, brächte das die Menschheit dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt keinen Schritt näher. Wirklich wahrscheinlicher würde nur eine Welt ohne die Nato.

Die Abschreckung nuklearer Bedrohung durch nukleare Bewaffnung gehört zum Daseinskern der westlichen Allianz. Dazu hat sich bislang noch jede, auch die jetzige, Bundesregierung bekannt. Weil und solange dies so ist, hat Deutschland ein Interesse daran, an den strategischen Diskussionen und Planungen teilzunehmen, die dieser nuklearen Abschreckung dienen. So steht es auch im Koalitionsvertrag. Die von Mützenich ins Spiel gebrachte Vorstellung, Deutschland könne sich aus der militärischen Mitverantwortung verabschieden, politisch aber mit am Tisch bleiben, ist wenig realitätsnah, vor allem aber ist sie unehrlich. Sie lässt geflissentlich die entscheidende Frage außer Acht, ob es eine nukleare Bedrohung gibt oder nicht. Und was daraus folgt. Hier liegt die große Schwäche des Vorstoßes von Mützenich, dem sich SPD-Chef Norbert Walter-Borjans angeschlossen hat.

Mützenich begründet seine Forderung in verschiedenen Variationen mit der Politik von US-Präsident Donald Trump. Er argumentiert, dass sich die Nuklearstrategie der USA unter Trump verändert habe. Er spielt an auf die Unberechenbarkeit des Präsidenten und macht geltend, dass der Einfluss Deutschlands im Rahmen der nuklearen Teilhabe der Nato doch allenfalls ein theoretischer sei. Fraglos gehört es zum Horror unserer Tage, ausgerechnet den Finger Trumps in der Nähe des Atomknopfes zu wissen. Wie lange dieser Finger dort bleibt, hängt nicht von Deutschland ab, sondern von den Wählern in den USA. Mitverantwortung trägt Deutschland aber dafür, dass es nächstes Jahr oder spätestens in fünf Jahren, wenn ein Nachfolger ins Weiße Haus einzieht, noch eine funktionierende Nato gibt.

Deshalb heißt die Schlüsselfigur für Sinn oder Unsinn der deutschen Teilhabe an der nuklearen Abschreckung nicht Donald Trump, sondern Wladimir Putin. Der russische Präsident hat in den vergangenen Jahren Abrüstungsverträge gebrochen, internationale Verpflichtungen missachtet und erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg mit Gewalt Grenzen in Europa verändert. Er hat investiert in nukleare Waffensysteme und hat bewusst Unsicherheit geschürt, unter welchen Voraussetzungen Russland sein Atomarsenal zum Einsatz bringen könnte. Die Hoffnung, eine einsame Abkehr Deutschlands von der nuklearen Abschreckung könnte die russische Aufrüstung stoppen, lässt sich mit nichts, was über Putin bekannt ist, in Einklang bringen. Die Folgen wären steigende Angst in Osteuropa vor Russland und ein dramatischer Ansehens- und Vertrauensverlust Deutschlands. Nichts davon würde die Welt sicherer machen.

Zwar wird der Vorstoß von Mützenich und Walter-Borjans für die praktische Politik vermutlich zunächst ohne Folgen bleiben. Sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als auch Außenminister Heiko Maas (SPD) haben wissen lassen, dass sie zum Koalitionsvertrag stehen. Die US-Atomwaffen bleiben in der Eifel. Nichts ändern wird sich vorerst voraussichtlich auch am Vorhaben, die altersschwachen Tornado-Kampfflugzeuge durch Maschinen zu ersetzen, die auch in Zukunft in der Lage sein werden, Nuklearwaffen zu tragen. Dennoch wird der Vorstoß Spuren hinterlassen. Außenpolitisch, weil die deutsche Debatte den Verbündeten in der Nato nicht verborgen bleiben kann und Misstrauen säen wird. Innenpolitisch, weil Mützenich und Walter-Borjans mit hoher Wahrscheinlichkeit große Teile der Sozialdemokratie hinter sich wissen. Ohnehin Gegner der nuklearen Teilhabe sind die Grünen. Die Debatte ist eröffnet.

Wer Deutschland in der Mitverantwortung für die nukleare Abschreckung halten will, wird mehr als bisher offen und offensiv dafür werben müssen. Das Fernziel einer atomwaffenfreien Welt muss dafür niemand aufgeben. Im Gegenteil.

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SZ vom 05.05.2020
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