Atomwaffen:Das nukleare Fieber steigt

Erste Wasserstoffbombe

Die Welt wird durch diesen Friedensnobelpreis nicht atomwaffenfrei.

(Foto: dpa)

Ein Friedensnobelpreis für die Anti-Atom-Kampagne Ican ändert nichts: Die Bombe ist in der Welt und wird es bleiben. Politik und Diplomatie haben genug Erfahrung, um damit umzugehen. Doch US-Präsident Trump ignoriert die Lehren der Geschichte.

Kommentar von Stefan Kornelius

Sie ist so alt wie die Menschheit selbst, die Frage: Wie lässt sich Krieg am besten vermeiden - durch viele Waffen, oder durch gar keine Waffen? Die Antwort liegt nahe: Durch die Abschaffung aller Waffen und die Einschaltung der Vernunft. Die Realität erzählt indes vom Gegenteil: Vernunft ist nicht die Sprache der Völker, weshalb die Erfahrung lehrt, dass nicht angegriffen wird, wer sich zu wehren weiß. Und weil unter allen Waffen die Atombombe die fürchterlichste ist, bietet sie in der Logik von Krieg und Abschreckung einen unschätzbaren Wert: Sie macht scheinbar unverwundbar und dient gleichzeitig als probates Mittel zur Einschüchterung.

Aus dieser Argumentation heraus entstand die Logik der nuklearen Parität und die Zweitschlagsdoktrin. Parität heißt: Wenn zwei sich misstrauen, aber über dieselbe Anzahl von Sprengköpfen verfügen, entsteht eine Balance der Bedrohung. Niemand kann den anderen angreifen, ohne die eigene Vernichtung zu riskieren.

Diese Logik hat aber nur Bestand, wenn sie von einer sehr begrenzten Zahl rationaler Akteure befolgt wird - und wenn all den anderen Hasardeuren im Menschheitsdrama von Krieg und Frieden der Zugriff auf die ultimative Waffe versagt bleibt. 30 Jahre nach der nuklearen Hochrüstung im Kalten Krieg haben sich nun zwei Variablen in der Abschreckungsgleichung verschoben: Es gibt zu viele Hasardeure, und es gibt nicht genug rationale Akteure. Deswegen ist die Atombedrohung zurück, in Nordkorea, in den Köpfen der Strategen überall auf der Welt.

Die eigentliche Botschaft in diesem widerentdeckten Stück ist deshalb nicht, dass Abrüstungsaktivisten den Friedensnobelpreis erhalten haben. Die eigentliche Nachricht ist, dass der amerikanische Präsident just im gleichen Augenblick den einzigen Weg zur Eindämmung der nuklearen Gefahr zertrampelt und zerstört. Der Hüter eines der größten Nukleararsenale auf der Welt ignoriert in einem gefährlichen Moment der Geschichte alle Lehren aus der Vergangenheit und treibt Schindluder mit seiner Macht. Statt Amerikas Verhandlungskraft mit dem Ziel einer nuklearen Balance und einer Reduzierung der Arsenale einzusetzen, zerreißt er das Nuklearabkommen mit Iran und sendet damit eine verheerende Botschaft in die Welt: Der Präsident im Weißen Haus selbst ist der irrationale Akteur, er ist der Hasardeur, vor dem es sich zu schützen gilt.

Der Atomdeal mit Iran ist ein nicht vollkommenes, aber bemerkenswertes Produkt zäher Staatskunst. Er liefert die Blaupause für andere Rüstungskontrollvereinbarungen. Denn zwischen Hochrüstung und kompromissloser Abrüstung gibt es nur diesen Mittelweg: Verhandlungen, Verträge, Deals. Glücken diese Verhandlungen, dann entsteht auch ein erfreuliches Nebenprodukt: Vertrauen. Nur so konnte der Kalte Krieg zu Ende gehen, nur so konnte sich etwa Deutschland mit seinen Nachbarn versöhnen.

Trumps gefährliche Unberechenbarkeit muss nicht im Desaster enden. Der US-Kongress hat noch immer die Chance, das Nuklearabkommen zu bewahren und so das nukleare Fieber zu senken, das nicht nur Iran oder Nordkorea befallen hat. Robert Oppenheimer, dem die Menschheit die Bombe verdankt, sagte einmal, dass die Physiker erfahren hätten, was Sünde sei, "und dieses Wissen wird sie nie ganz verlassen". Die Bombe ist in der Welt, und sie wird in der Welt bleiben. Aber es gibt auch einen reichen Erfahrungsschatz im Umgang mit der Gefahr. Ein Nobelpreis kann nicht ausgleichen, was gerade von diesem Schatz vergeudet wird.

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