Furchteinflößend ist zumindest der Codename: "Rache Gottes" hat das iranische Militär das laufende viertägige Manöver seiner Luftverteidigungskräfte genannt. Seit Montag werden in Iran hergestellte Raketen der neuesten Generation getestet, ebenso Radarsysteme und Flugabwehrkanonen, wie die Staatsmedien berichten. Ziel der Übung sei es, "angesichts militärischer Bedrohungen" die Einsatzbereitschaft zu verbessern, heißt es - vor allem mit Blick auf mögliche Angriffe auf die Atomanlagen des Landes. Es ist ein deutliches Indiz dafür, dass die Führung in Teheran die Möglichkeit eines israelischen Luftschlags auf ihre Atomanlagen ernst nimmt.
Glaubwürdigkeit ist im Nervenkrieg zwischen Iran und Israel alles - und Jerusalem hat einiges unternommen, um Teheran und den Rest der Welt zu überzeugen, dass es notfalls bereit ist, seine Drohungen wahr zu machen: Die Luftwaffe trainierte über dem Mittelmeer Langstreckenmissionen, wie sie für Angriffe auf mehr als 2000 Kilometer entfernte Ziele in Iran nötig wären, und testete eine Jericho-Rakete. Zu Hause bereiten Zivilschutzübungen die Bevölkerung auf mögliche Vergeltungsaktionen vor. Umso weniger goutiert die Regierung es, dass nun ausgerechnet die USA Zweifel säen, ob Israels Streitkräfte in der Lage sind, Iran einen nachhaltigen Schlag zu versetzen.
So musste sich Präsident Obamas Sicherheitsberater Tom Donilon einiges anhören, als er jüngst in Jerusalem weilte. Am Sonntag hatte US-Generalstabschef Martin Dempsey im US-Sender CNN den Israelis zwar attestiert, sie könnten "Irans Fähigkeit, Nuklearwaffenstatus zu erreichen, hinauszögern". Zugleich aber warnte er, einige der Ziele seien "unerreichbar". Es sei noch nicht der Zeitpunkt für einen Angriff gekommen, er wäre "destabilisierend". Premier Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Ehud Barak taten dem Gast aus Washington ihr Missfallen kund, wie die israelische Zeitung Haaretz zu berichten wusste. Mehr aber noch seien sie verärgert, dass US-Medien Details der Einsatzpläne publizierten - dass Spezialkräfte und ballistische Raketen eingesetzt würden. "Das alles spielt nur den Iranern in die Hände" zitiert Haaretz einen Vertreter des Sicherheitsestablishments.
In Israel gibt sich niemand der militärisch oder politisch Verantwortlichen der Illusion hin, dass eine Attacke auf Iran vergleichbar wäre mit der Bombardierung des Osirak-Reaktors nahe Bagdad im Jahr 1981 oder dem Angriff auf einen in Bau befindlichen syrischen Meiler 2007. Reichten damals jeweils ein Dutzend Kampfjets aus, Begleitschutz inklusive, würde eine Iran-Operation das Militär bis zum Äußersten fordern - und selbst damit ließe sich nach israelischen Schätzungen das Atomprogramm nur um wenige Jahre verzögern. Doch dazu sei das Militär auch dank einer Dekade der gezielten Aufrüstung in der Lage.
Primäre Ziele wären alle Anlagen zur Herstellung von Spaltmaterial, das für den Bau von Atomwaffen nötig ist. Dazu zählen die Urankonversionsanlage in Isfahan und der noch nicht fertiggestellte Schwerwasserreaktor Arak, der einmal Plutonium liefern könnte - vor allem aber die Urananreicherungsanlagen in Natans und Fordow. Die Bunker dort sind es, auf die Dempsey anspielte. Sie bereiten den Israelis das meiste Kopfzerbrechen: Beide Kavernen liegen unter 80 Meter Fels und sind laut Experten mit konventionellen Waffen nicht zu knacken.
Bisher jedoch sind dort erst einige hundert Zentrifugen installiert. Ein baldiger Angriff, argumentieren Befürworter, könnte verhindern, dass die Anlage ihre Kapazität von 3000 Maschinen erreicht - dieses "Fenster der Gelegenheit" müsse man nutzen, lautet ihr Argument, das die Debatte derzeit so hochkochen lässt. Dabei würden Zugänge und Versorgungseinrichtungen der Stollen zerstört. Israel müsste aber zugleich sicherstellen, dass die Atomfabrik nicht nach wenigen Monaten wieder arbeitet. Die Werkstätten, in denen Iran seine Zentrifugen fertigt, stünden daher ebenfalls weit oben auf der Liste der wichtigsten Angriffsziele.
Analysten in Israel gehen davon aus, dass die Luftwaffe mehrere Angriffswellen fliegen müsste, auch um Irans Luftabwehr auszuschalten und Sekundärziele zu attackieren, wie Stützpunkte und Produktionsstätten für Raketen. 125 Kampfjets der Typen F-15 und F-16 hat Israel dafür mit Zusatztanks für Langstrecken ausgerüstet. Marschflugkörper, Raketen und Drohnen dürften ebenso zum Einsatz kommen, wie Kommandoeinheiten.
Die Gelegenheit ist aus Sicht der Hardliner in Israel günstig: Die Jets könnten unbehelligt über Irak fliegen, nachdem die Amerikaner dort Ende 2011 abgezogen sind. Zudem dürfte es sich US-Präsident Obama kurz vor der Wahl kaum leisten können, Israel die Unterstützung nach einem Angriff zu entziehen, so sehr er sich gegen diesen stemmt. Sein Verteidigungsminister Leon Panetta hat durchblicken lassen, dass die USA nur eingreifen würden, wenn Iran gegen US-Stützpunkte oder Verbündete in der Golf-Region zurückschlagen würde.
Die Verbündeten werden bald Gelegenheit zum weiteren "Austausch über sicherheitsrelevante Fragen" haben, wie Donilon seinen Besuch charakterisierte. US-Geheimdienstdirektor James Clapper fliegt noch diese Woche nach Israel, und Anfang März wird Netanjahu im Weißen Haus erwartet. Barack Obama wird von Israels Premier mehr Zeit fordern, damit die Iran-Sanktionen wirken können - ob er Gehör findet, ist offen.