Nordkorea ist nicht der einzige Konfliktherd, bei dem man die neue amerikanische Außenpolitik mit Sorge beobachten muss. Auch das Abkommen über das iranische Atomprogramm vom Juli 2015 ist in Gefahr: Präsident Donald Trump will sich mit großer Wahrscheinlichkeit bereits Ende September davon verabschieden. Dies hätte dramatische Folgen: für die transatlantischen Beziehungen, vor allem aber für die internationalen Bemühungen, die Anzahl der Kernwaffenmächte weiterhin möglichst zu begrenzen. Daher gehört dieses Thema dringend auf die Tagesordnung der europäischen Politik. Deutschland, Frankreich, Großbritannien und die EU (die "E-3/EU"), die gemeinsam mit den Vereinigten Staaten, Russland und China seinerzeit Iran zum Einlenken bei seinem Atomprogramm veranlassten, sollten sich dazu aufraffen, gemeinsam Washington zur Umkehr zu bewegen.
Das Iran-Abkommen - "Joint Comprehensive Plan of Action" (JCPOA) -, hat massive Schwächen: Es erlaubt Iran die Beibehaltung seiner nuklearen Infrastruktur ebenso wie die Fortsetzung entsprechender Forschung. Zudem hat es nur eine begrenzte Laufzeit, nach deren Ablauf, beginnend in etwa acht Jahren, Iran Schritt für Schritt wieder zum ursprünglichen Umfang seines Atomprogramms zurückkehren kann. Schließlich wird Iran in der UN-Sicherheitsresolution 2231 nur aufgefordert, keine Raketen zu bauen oder zu testen, die Atomsprengköpfe tragen können. Doch diese Regelung ist insofern zahnlos, als sie Iran das Schlupfloch von Raketentests zum Zwecke der Nutzung des Weltraums offenlässt. Diese Raketen könnten dereinst aber auch zu Trägersystemen für Kernwaffen werden.
Und doch ist das Abkommen ein großer diplomatischer Erfolg. Erstmals wurde ein massiver Verletzer des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrages (NPT) von der Rückkehr zur Einhaltung dieses Abkommens überzeugt, ohne dass militärische Macht zum Einsatz kam. Die speziellen Beschränkungen des Abkommens erlauben zumindest eine Atempause, während Iran keine Atomwaffen bauen kann. Dazu trägt auch die stark erhöhte Transparenz bei, die erreicht wurde. Iran hat das Abkommen bislang zuverlässig umgesetzt. Kleinere Probleme konnten einvernehmlich gelöst werden. Es gibt also derzeit keinerlei Grund, das Abkommen aufzukündigen.
Viel steht auf dem Spiel. Zum einen das transatlantische Verhältnis. Nur weil sich Paris, London und Berlin, beginnend bereits im Oktober 2003, über viele Jahre für eine diplomatische Lösung im Streit um das iranische Atomprogramm engagierten, war es überhaupt möglich, den Vertrag abzuschließen. Die damalige Regierung unter George W. Bush unterstützte Europa nur halbherzig. Erst unter Präsident Barack Obama änderte sich dies. Insofern ist das Abkommen ein Glanzstück transatlantischer Zusammenarbeit. Sollte Washington sich nun einseitig zurückziehen, käme dies einem gewaltigen Rückschlag im Verhältnis zwischen Amerika und Europa gleich.
Ideologen haben in Sachen Iran das Ohr des Präsidenten. Europa sollte auf die Moderaten setzen
Zum anderen geht es um die nukleare Nichtverbreitung. Der entsprechende Vertrag ist schon lange in Schieflage, da viele Nichtkernwaffenstaaten mehr nukleare Abrüstung einfordern. Die Fortsetzung des Iran-Abkommens ist eines der wenigen Themen, bei denen im Kreise der Vertragsstaaten weitgehend Einigkeit herrscht. Im Falle seiner Beendigung droht eine weitere Schwächung des Gedankens der nuklearen Nichtverbreitung. Nicht nur könnte Iran dann zu seinen ursprünglichen atomaren Plänen zurückkehren. Weitere Staaten könnten auf die nukleare Karte setzen.
Trump scheint dennoch entschlossen, das Iran-Abkommen zu verlassen. Schon als Kandidat sprach er vom dümmsten Geschäft aller Zeiten. Allein, dass das Abkommen ein Lieblingsprojekt seines Vorgängers Obama ist, dürfte für Trump Grund genug sein, es abzulehnen. Zudem hat sich die amerikanische Außenpolitik unter Trump eindeutig auf die Seite Saudi-Arabiens, des Erzfeindes Irans, geschlagen. Teherans Einfluss in Irak und Syrien und seine Unterstützung für Terrororganisationen wie Hisbollah und Hamas müsse eingedämmt werden. Dazu seien zwingend neue Sanktionen erforderlich, und dies setze wiederum die Beendigung des Iran-Abkommens voraus, dessen Anwendung die Sanktionsmöglichkeiten einschränke.
Der Einfluss des Außenministeriums auf den Präsidenten scheint massiv gesunken zu sein. Dagegen scheint Trump mehr auf ideologische Einflüsterer wie Berater Steve Bannon zu hören, jedenfalls in der Iran-Frage. Bannon und seine Mitstreiter wollen das Abkommen auf jeden Fall so schnell wie möglich loswerden. Nun kommt es auf besonnene Stimmen wie Verteidigungsminister James Mattis an, denen am transatlantischen Zusammenhalt gelegen ist. Auch der Kongress hätte mitzureden, müsste er doch neue, gegen das iranische Atomprogramm gerichtete Sanktionen beschließen. Selbst einige Republikaner, darunter der Vorsitzende des außenpolitischen Senatsausschusses, Bob Corker, wollen nicht, dass den USA die alleinige Schuld an einem etwaigen Scheitern des Abkommen zugeschoben werden kann. Die Europäer müssen versuchen, diese gemäßigten, zugleich aber wenigstens einigermaßen einflussreichen Stimmen davon zu überzeugen, am Iran-Abkommen zumindest vorerst festzuhalten.
Die Europäer sollten drei Punkte in den Vordergrund stellen: Erstens sollten sie ihren amerikanischen Gesprächspartnern versichern, dass sie als Partner gemeinsam mit den USA alles tun werden, damit sich Iran auch in Zukunft an das Abkommen hält. Zugleich sollten sie ihre Bereitschaft ausdrücken, Maßnahmen gegen Iran zu ergreifen, sollte dies eines Tages nicht mehr der Fall sein.
Zweitens sollten sie den Amerikanern zusagen, gegen das iranische Raketenprogramm gerichtete Sanktionen weiter mitzutragen. Anfang August hatten sich Frankreich, Großbritannien und Deutschland gemeinsam mit den USA in einem Brief an den UN-Sicherheitsrat und den UN-Generalsekretär António Guterres gewandt. Sie stellten darin fest, dass der Start einer iranischen Rakete, die einen Satelliten in den Weltraum beförderte, nicht mit Sicherheitsratsresolution 2231 vereinbar war.
Drittens und entscheidend jedoch sollten die Europäer ihren amerikanischen Dialogpartnern gegenüber keinerlei Zweifel daran lassen, dass sich die Vereinigten Staaten im Falle einer einseitigen Kündigung des Iran-Abkommens selbst isolieren würden. Auf europäische Unterstützung könnte sie auf gar keinen Fall setzen.