Süddeutsche Zeitung

Atomstreit mit Iran:Ein gemeinsamer Feind macht noch keinen Freund

Die Erzfeinde Amerika und Iran kämpfen gemeinsam gegen die Terrormiliz IS. Das ist günstig für die neuen Atomgespräche. Von der großen Aussöhnung zu träumen, wäre aber naiv.

Kommentar von Paul-Anton Krüger

Mit dem Vormarsch der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gerät die geopolitische Architektur im Nahen Osten ins Wanken: Die Erzfeinde Amerika und Iran kämpfen auf einmal gegen den gleichen Gegner. US-Kampfjets werfen ihre Bomben auf die gleichen Dschihadisten im Irak, gegen die Teheran Kassem Soleimani ins Feld schickt, jenen ebenso berühmten wie berüchtigten General, der als Chef der Quds-Brigaden die Auslandsoperationen der Revolutionsgarden kommandiert - und noch vor ein paar Jahren daran beteiligt war, US-Soldaten im Irak mit Sprengfallen in die Luft zu jagen.

Vor diesem Hintergrund gehen in dieser Woche die Gespräche über das umstrittene Atomprogramm der Islamischen Republik in die entscheidende Phase: Am Mittwoch trifft US-Außenminister John Kerry seinen iranischen Kollegen Mohammad Dschawad Sarif in Wien. Zwar sitzt die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton mit am Tisch. Doch was noch vor einem Jahr als Sensation erschien, ist inzwischen Normalität geworden: In professionell-freundlicher Atmosphäre verhandeln Amerikaner und Iraner darüber, wie sich dieser seit mehr als einem Jahrzehnt schwelende Konflikt endgültig beilegen lässt. Die Umstände sind günstig wie selten zuvor. Dennoch wäre es ein Trugschluss zu glauben, dass allein die gute Gelegenheit ausreichen wird, einen Kompromiss herbeizuzwingen.

An der Schwelle zur Nuklearmacht

Iran hat für seine Rolle im Kampf gegen die IS-Terroristen Entgegenkommen in der Nuklearfrage gefordert; von Anfang an wollte das Regime die Verhandlungen auf Fragen der regionalen Sicherheit ausdehnen. Statt Zentrifugen zur Urananreicherung stillzulegen, würde sich Teheran allzu gerne mit Zusagen aus der Affäre ziehen, hier und da mit dem Westen an einem Strang zu ziehen - am liebsten dort, wo es wegen Irans eigener Sicherheitsinteressen ohnehin unausweichlich ist, etwa beim Kampf gegen die IS-Terroristen.

Amerikaner und Europäer dagegen wollen - bisher im Einklang mit Russen und Chinesen - die Atomfrage nicht mit anderem verquicken. Dafür gibt es gute Gründe: Iran hat sich über Jahrzehnte unter Missachtung der Verpflichtungen aus dem Atomwaffensperrvertrag an die Schwelle zur Nuklearmacht herangerobbt. Und bis heute zeigt Teheran wenig Neigung, der Internationalen Atomenergiebehörde wohlbegründete Fragen nach Aktivitäten zu beantworten, die sich kaum anders als mit der Entwicklung von Atomwaffen erklären lassen.

Gemeinsame Interessen Irans und des Westens

Vertrauen in die Beteuerungen Irans, die Kraft des Atoms nur zivil nutzen zu wollen, kann so nicht entstehen. Das macht es unabdingbar, die für Missbrauch anfälligen Technologien des Nuklearprogramms zu beschränken. Nur so lässt sich ein Sicherheitsabstand einziehen, der genug Reaktionszeit schafft, sollte das Regime sich doch entscheiden, nach der ultimativen Waffe zu greifen. Das nämlich hätte für die Region mindestens ebenso gravierende Folgen, wie der Aufstieg der Steinzeit-Dschihadisten des Islamischen Staats.

Andersherum passt die Argumentation besser: Eine Einigung im Atomstreit eröffnet die Möglichkeit für Zusammenarbeit auf etlichen Feldern. Neben dem Kampf gegen IS verbinden Iran und den Westen etwa gemeinsame politische Interessen in Afghanistan, viel mehr aber noch die Aussicht auf lukrative Geschäfte. Doch selbst wenn man sich im ohnehin reichlich komplexen Atomstreit einigt und die Sanktionen nach und nach fallen - es bleiben fundamentale Gegensätze, die kaum zu überbrücken sind, etwa die Unterstützung der Iraner für die Hisbollah in Libanon oder ihr unerschütterliches Festhalten an der Herrschaft des Assad-Regimes in Syrien. Von der großen Aussöhnung zwischen Iran und den USA zu träumen, wäre naiv. Ein gemeinsamer Feind macht aus den langjährigen Gegnern noch keine Verbündeten.

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SZ vom 13.10.2014/fran
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