Süddeutsche Zeitung

Nuklearstreit:Letzte Chance für lange Zeit

In Wien soll es indirekte Gespräche zwischen den USA und Iran über eine Rückkehr zum Atomabkommen. Die Europäer müssen vermitteln und hoffen auf einen Durchbruch noch vor der Präsidentenwahl in der Islamischen Republik Mitte Juni.

Von Matthias Kolb und Paul-Anton Krüger, München/Brüssel

Die Parteien des Atomabkommens mit Iran unternehmen eine letzten Versuch, noch vor der Präsidentenwahl in der Islamischen Republik Mitte Juni zu erreichen, dass die USA in den Vertrag zurückkehren und Teheran dessen Bestimmungen wieder einhält. Dazu soll es von Dienstag an ein auf unbestimmte Zeit angesetztes Treffen hochrangiger Diplomaten in Wien geben und indirekte Gespräche zwischen Teheran und einer US-Delegation unter Leitung des Sondergesandten Robert Malley, die ebenfalls anreisen wird.

Diese Einigung erzielten am Freitag die politischen Direktoren der Außenministerien Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands sowie Chinas und Russlands mit dem iranischen Vizeaußenminister Abbas Araghchi, wie die EU erklärte. Die Sitzung soll nun trotz der Covid-Pandemie nächste Woche in Präsenz der Spitzendiplomaten und technischer Experten in Österreich fortgesetzt werden.

Bundesaußenminister Heiko Maas sagte, es sei gut, dass sich "alle relevanten Akteure in Wien treffen, um daran zu arbeiten, das Atomabkommen mit Iran wieder voll umzusetzen". Gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien habe man in den vergangenen Wochen intensiv an diesem Ziel gearbeitet. Zuletzt hatten sich dazu am Montag die sogenannten E3-Staaten mit Vertretern Irans in Frankfurt getroffen. Zugleich gab es enge Kontakte mit den USA.

Allerdings gelang es den Europäern nicht, Iran zu direkten Gesprächen mit der Regierung von US-Präsident Joe Biden zu bewegen, der erklärt hat, sein Land in das Abkommen zurückführen zu wollen. Außenminister Mohammad Dschawad Sarif bekräftigte per Twitter, direkte Verhandlungen mit Washington seien "unnötig". Offiziell beharrt das Regime darauf, der einzige Weg zurück in das Abkommen sei, dass Biden die von seinem Vorgänger Donald Trump erlassenen Sanktionen gegen Iran vollständig wieder aufhebe.

Manche Punkte brauchen fünf Minuten, andere ziemlich lange

Umso wichtiger wird die Vermittlerrolle, die nun vor allem den E3 sowie dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell und dessen politischem Direktor Enrique Mora zufällt, der am Freitag und auch nächste Woche den Vorsitz bei den Verhandlungen führt. Allen Beteiligten ist dem Vernehmen nach aber klar, dass es um eine Rückkehr in das Abkommen Zug um Zug gehen wird. Die einzelnen Schritte und ihre Abfolge müssten nun definiert werden.

Zunächst sollen dazu die politischen Direktoren Aufträge für Experten und ein Prozedere für die indirekten Verhandlungen zwischen Iran und den USA festlegen werden. Dann sollen zwei Arbeitsgruppen parallel Vorschläge erarbeiten, wann und wie die USA ihre Sanktionen wieder aufheben und wann Iran im Gegenzug welche Beschränkungen seines Atomprogramms wieder umsetzt. Manche Fragen ließen sich in fünf Minuten klären, andere benötigten Zeit.

Als schwierigste Punkte gelten iranische Forschungs- und Entwicklungsarbeiten an leistungsfähigeren Zentrifugen zur Urananreicherung. Einmal gewonnenes Wissen aus Tests ist nicht rückgängig zu machen. Auf Seiten der USA gibt es Unschärfen bei den Sanktionen: Manche sind klar im Bezug auf das Atomprogramm verhängt worden. Andere hat Trump mit der regionalen Rolle Irans, der Unterstützung von Terrorismus oder anderweitig begründet - um zu verhindern, dass Biden diese einfach wieder aufheben kann.

Iran verlangt, in den Genuss wirtschaftlicher Vorteile zu kommen, etwa durch den Verkauf von Öl , Handel und die Teilnahme am internationalen Finanzsystem. Offen ist, ob eine Aufhebung der Sanktionen dafür bereits ausreicht, oder mit welchen Kriterien Iran dies zu verifizieren gedenkt.

Ein hochrangiger europäischer Diplomat sagte, man rechne mit schwierigen Gesprächen. Ein Durchbruch werde "nicht in zwei Wochen gelingen, ist aber in weniger als zwei Monaten erreichbar". Damit wäre ein Abschluss vor der Wahl in Iran möglich, bei der Präsident Hassan Rohani, der als konservativer Pragmatiker gilt, nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten darf. Er wird wahrscheinlich durch einen Hardliner abgelöst. Zugleich würde damit eine neue Krise mit der IAEA vermieden, die vorerst nur bis Ende Mai ihre Kontrollen begrenzt aufrecht erhalten kann.

Es sei klar geworden, dass "der Handlungsspielraum in den Hauptstädten begrenzt ist" - in Iran ist er nach Wahrnehmung von Teilnehmern wegen der Wahl sehr eingeschränkt und reduziere sich weiter. Es sei unklar, ob Rohani einen in Wien ausgehandelten Kompromiss zu Hause noch durchsetzen könne.

Ein Teil des Regimes will sich vom Westen abkoppeln, den es im Niedergang sieht

Iran hat jüngst ein umfassendes Kooperationsabkommen mit China unterzeichnet. Teile des Regimes wollen sich vom Westen abkoppeln. Sie beschwören seit Langem aus ideologischen Gründen den Niedergang des Westens und sehen Chinas zunehmend selbstbewusstes internationales Auftreten als Beleg dafür. Dieser Denkschule nach ist eine Rückkehr zum Atomabkommen trotz der verheerenden Wirtschaftskrise nur zu Irans Konditionen möglich.

Dazu zählt, dass Iran die sowohl von den USA als auch den Europäern gewünschten Folgegespräche ablehnt, bei denen es um eine Stärkung und Verlängerung des Abkommens gehen soll wie um Irans Raketenprogramm und die Regionalpolitik Teherans. Bedingung für einen Abschluss ist dies offenbar aber nicht mehr.

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