Süddeutsche Zeitung

Atomprogramm:Schritt für Schritt zur Eskalation

Die akute Kriegsgefahr zwischen den USA und Iran sinkt, aber Teherans Atomprogramm birgt neuen Sprengstoff - auch die EU und Washington sind in der Frage uneins.

Von Daniel Brössler und Paul-Anton Krüger, Berlin/München

Bevor Donald Trump es der Mühe wert befand, seinen Landsleuten einen guten Morgen zu wünschen oder auf Irans Raketenangriffe einzugehen, wollte er eine andere Botschaft loswerden: Solange er Präsident der Vereinigten Staaten sei, "wird es Iran nie erlaubt werden, Atomwaffen zu besitzen", sagte er in seiner Rede am Mittwoch - und rief damit ein Dossier auf, das in den kommenden Monaten ähnliches Eskalationspotenzial entwickeln könnte, wie die Konfrontation im Nahen Osten. Iran hatte jüngst erklärt, sich an zentrale Begrenzungen des Atomabkommens nicht mehr gebunden zu fühlen.

Seit Mai 2019 war Iran alle 60 Tage ein Stück weiter von dem Vertrag abgerückt, den die Europäer ebenso wie Russland und China erhalten wollen. Wählte Teheran zunächst symbolische Schritte, ging es vor zwei Monaten an den Kern der Vereinbarung. Iran kündigte an, die verbunkerte Anreicherungsanlage Fordow wieder in Betrieb zu nehmen. Deretwegen standen die USA und Israel vor Jahren schon einmal kurz davor, das Atomprogramm der Islamischen Republik zu bombardieren.

Vor allem in Berlin hält man das Abkommen für eine Glanzleistung deutscher Diplomatie

Bereits im November machten die Europäer Iran sehr deutlich, dass sie dem Abrücken von dem Abkommen nicht ewig zusehen würden. Doch jetzt forderte Trump sie ebenso wie Russland und China auf, ihm zu folgen und "dieses idiotische Abkommen zu kündigen". Stattdessen sollten sie mit ihm zusammen einen neuen, umfassenden Deal mit Iran aushandeln. Aber gerade den Eindruck, dass man Washingtons Druck nachgebe, will Europa vermeiden.

Trumps neuer Schlag gegen das Atomabkommen, den er mit der Ankündigung weiterer Sanktionen verband, trifft besonders Deutschland. Im Auswärtigen Amt hält man die komplizierte Vereinbarung von 2015 nicht zuletzt für eine Glanzleistung der deutschen Diplomatie. Die langjährige EU-Top-Diplomatin Helga Schmid und Hans-Dieter Lucas, derzeit deutscher Botschafter bei der Nato, erhielten dafür das Bundesverdienstkreuz. "Wir setzen uns dafür ein, dass die Nuklearvereinbarung mit Iran bewahrt und vollständig umgesetzt wird", heißt es im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD.

Das werde nach der jüngsten Zuspitzung natürlich immer schwieriger, räumt der Unions-Vizefraktionschef Johann Wadephul ein. "Die Zukunft des Atomabkommens liegt in iranischen Händen", sagt er. Wenn der Iran den Boden des Atomabkommens verlasse oder neue schwere Anschläge zu verantworten habe, dann kämen "die Europäer irgendwann an einen Punkt, an dem sie sich der Logik der Amerikaner nur schwer widersetzen können", sagt er.

Genau das aber ist vorläufig das Ziel der Bundesregierung. Deutschland will ebenso wie Großbritannien und Frankreich das Abkommen nicht verloren geben. Beim Treffen der EU-Außenminister an diesem Freitag in Brüssel soll es deshalb um den "Konfliktlösungsmechanismus" (DRM) gehen, der im Abkommen enthalten ist.

Der sieht ein Verfahren vor, falls eine Seite findet, die andere halte den Vertrag nicht ein. Zunächst sollen 15 Tage lang Beamte eine Einigung suchen, danach, falls nötig, 15 Tage lang die Außenminister. Gibt es keine Lösung, landet der Streit beim UN-Sicherheitsrat - was Iran verhindern will. Wenn der nicht binnen 30 Tagen die Aussetzung der Sanktionen gegen Iran verlängert, treten sie automatisch wieder in Kraft, ohne dass die Vetomächte dies verhindern könnten. Das Atomabkommen wäre Geschichte - und Trump am Ziel. Iran hat für diesen Fall gedroht, aus dem Atomwaffensperrvertrag auszusteigen.

Die Europäer legen großen Wert auf die Feststellung, dass der Mechanismus nicht automatisch das Ende des Abkommens bedeute. Jüngst gaben sie sich große Mühe, Russen und Chinesen, die anderen Vertragsparteien, zu überzeugen, dass er vielmehr helfen könne, Iran wieder zur Einhaltung zu bringen - und das Abkommen zu retten. Iran betrachtet seine Schritte als vom Abkommen gedeckt, steht damit aber alleine. Dennoch räumen auch europäische Diplomaten ein, dass nach einer Auslösung des Mechanismus ein anderes Spiel gespielt wird. Die geltenden Fristen können zwar verlängert werden. In jedem Fall aber wäre der Druck auf Iran enorm.

Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, glaubt, dass es die Europäer jetzt in der Hand haben, "einen Punkt zu machen". Zur Rettung des Atomabkommens müsse es nun "schnell ein wirtschaftliches Angebot geben, verbunden mit harten Forderungen" nicht nur zur Einhaltung des Atomabkommens, sondern auch in Bezug auf die Rolle Irans in der Region und sein Raketenprogramm. Der Vorschlag von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Iran eine Kreditlinie über 15 Milliarden Euro in Aussicht zu stellen, sei "nach wie vor eine Option". Schließlich hätten "selbst die Hardliner in Iran ein Interesse daran, sich aus der wirtschaftlichen Isolation zu lösen".

Allerdings sieht Iran die Europäer in der Pflicht. Direkte Verhandlungen mit den USA hat der Oberste Führer Ayatollah Ali Chamenei nach der Tötung von General Qassim Soleimani ausgeschlossen, ein großer Deal, wie Trump ihn erwähnte, ist mindestens bis zum Ende seiner ersten Amtszeit vom Tisch. Genau darauf aber zielten auch Macrons Vermittlungsbemühungen.

Auch werden die Revolutionsgarden keine Gespräche über das Raketenprogramm zulassen. Bei ihren Vergeltungsschlägen auf zwei Stützpunkte im Irak sind zwar ein paar der Geschosse Kilometer von ihren Zielen entfernt niedergegangen. Satellitenaufnahmen zeigen aber, dass andere ziemlich genau getroffen haben - eine Demonstration gewachsener militärischer Fähigkeiten wie schon der Angriff mit Drohnen und Marschflugkörpern auf die saudischen Ölanlagen vergangenen September.

Verteidiger des Abkommens führen ins Feld, dass es noch eine äußerst engmaschige Überwachung des iranischen Atomprogramms durch die internationale Atomenergiebehörde (IAEA) gewährleistet. Dabei werde es auch bleiben, sagte Irans Präsident Hassan Rohani am Donnerstag. Allerdings trübt sich das Verhältnis Irans zu den Wiener Inspektoren: Die warten bisher vergeblich auf Antworten zur verdächtigen Einrichtungen in Iran, die Israels Geheimdienst Mossad enttarnt hatte. Auch ist nicht klar, gegen welche der Limits, an die sich Iran nicht mehr gebunden fühlt, das Land tatsächlich verstoßen will. Das ist letztlich eine politische Entscheidung in Teheran, bietet aber Spielraum für Diplomatie - ebenso wie für scharfe Eskalation.

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SZ vom 10.01.2020
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