Atompolitik: Schwarz-gelbe Kehrtwende:Wo geht's denn hier zum Engpass?

Eindringlich haben Union und FDP vor den Folgen eines frühen Atomausstiegs gewarnt: Es könne zu Stromengpässen und Not-Importen aus dem Ausland kommen. Jetzt gehen die Meiler vom Netz - und es passiert: nichts.

Michael König

Über ihrem Schreibtisch hängt sein Bild, im Wahlkampf 2009 fuhr sie im Rheingold-Express ihm zu Ehren quer durch Deutschland: Angela Merkel ist ein großer Fan von Konrad Adenauer, dem ersten deutschen Bundeskanzler. Ein bekanntes Zitat Adenauers lautet: "Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern."

So gesehen wandelt Merkels Partei in der Atompolitik gerade auf den Spuren des Alten aus Rhöndorf. Ganz alte CDU-Schule. Aber zum Leidwesen der Bundeskanzlerin sieht das kaum einer so positiv. Von einer "Kehrtwende" ist in den Kommentarspalten die Rede, vielerorts auch von "Wendehälsen".

Seit Merkel im Eilverfahren ein Moratorium für die Laufzeitverlängerung deutscher AKW durchdrückte und daraufhin die Abschaltung von sieben Altmeilern veranlasst wurde, sind der Regierung Häme und Spott sicher. Auch Politiker wie Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus - eben noch strenger Gegner des Atomausstiegs, jetzt Befürworter der Abschaltung des Alt-Reaktors Neckarwestheim 1 im Eiltempo - oder Bayerns Umweltminister Markus Söder bekommen ihr Fett weg.

Stromlücke als Schreckgespenst

Bei Facebook wird ein Video herumgereicht, in dem Merkel angesichts der Krise um das havarierte AKW Fukushima-1 in Japan zunächst sagt: "An einem solchen Tag darf man nicht einfach sagen, unsere Kernkraftwerke sind sicher." Dann, nach einer kurzen Pause: "Sie sind sicher."

Ein Youtube-Nutzer hat unter das Video geschrieben: "Kognitive Dissonanz." So nennt man es in der Psychologie, wenn ein Patient zwei unvereinbare Meinungen in sich trägt.

Jahrzehntelang warnte das bürgerliche Lager aus Union und FDP davor, was passieren würde, wenn Deutschland zu schnell aus der Atomenergie aussteige. Im Kanon mit den großen Energieerzeugern wurde das Hohelied der Versorgungssicherheit gesungen, die ohne AKW gefährdet sei.

Die "Stromlücke" wurde zum Schreckgespenst der Energiepolitik. Weil erneuerbare Energien nicht ausreichen würden, um den deutschen Bedarf zu decken, müsse Atomstrom aus dem Ausland eingekauft werden. Die dortigen AKW seien aber längst nicht so sicher wie hierzulande.

Kochs Angst vor ausländischem Strom

Der damalige hessische Ministerpräsident Roland Koch brachte diese Argumentationslinie auf den Punkt, als er 2007 in einem Interview warnte: "Wenn wir so weitermachen, haben wir am Ende nicht nur Zehntausende von Arbeitsplätzen verloren, sondern wir werden auch von anderen völlig abhängig sein und teureren Strom haben als unsere Nachbarn. Und an unseren Grenzen Kraftwerke, über deren Sicherheit wir nicht mehr kompetent diskutieren können."

Kanzlerin Merkel forderte die Atomkraftgegner im gleichen Jahr dazu auf, Alternativen aufzuzeigen: "Ich sage, dass diejenigen, die den Atomausstieg wollen und gleichzeitig Klimaschutz wollen, natürlich jetzt auch aufgefordert sind, Antworten zu geben". Da Kohlekraftwerke das Treibhausgas Kohlendioxid CO2 ausstießen, könnten sie die CO2-freien Atomkraftwerke nicht ersetzen.

FDP-Chef Guido Westerwelle sagte im Mai 2009, es mache "überhaupt keinen Sinn, wenn Deutschland aus ideologischen Gründen aus der sichersten Kerntechnik der Welt aussteigt". Einen Monat später bezeichnete Merkel den Atomausstieg als "jammerschade" - wo doch weltweit so viele neue Kernkraftwerke gebaut würden.

"Die Brücke muss lang genug sein"

Der bayerische Umweltminister mahnte im Januar 2010: "Ohne längere Laufzeiten ist die klimafreundliche Energieversorgung in Süddeutschland nicht zu gewährleisten." Und Wirtschaftsminister Rainer Brüderle appellierte einen Monat später: "Wir brauchen die Kernkraft als Brückentechnologie, und diese Brücke muss lang genug sein."

Nun ist die Brücke kürzer geworden, Deutschland wird wegen der vorrübergehenden oder gar dauerhaften Stillegung der Atomreaktoren Isar 1, Neckarwestheim 1, Biblis A und B, Philippsburg 1, Unterweser und Brunsbüttel 6,8 Prozent weniger Strom als zuvor produzieren. Zum Teil sind die Altmeiler bereits heruntergefahren worden, möglichst bis Ende der Woche sollen sie komplett stillstehen. Gut ein Drittel der atomaren Kraftwerksleistung fällt damit weg. Passiert ist trotzdem: nichts.

Nirgendwo in Deutschland wurden Stromausfälle gemeldet, der Strompreis ist nicht explodiert. Und es muss auch kein Strom aus anderen Ländern importiert werden. Energieexperten wundert das nicht, sie haben die Warnungen der Politik und der Energieversorger schon vor langer Zeit als Mythen abgetan. Allein, man wollte sie nicht hören.

"Überhaupt kein Problem"

Schon 2008 stellte das Umweltbundesamt in einer Studie fest: "Die Versorgungssicherheit bis 2020 ist durch den Ausstieg aus der Atomenergie nicht in Gefahr." Auch die Klimaziele seien nicht gefährdet. Voraussetzung sei jedoch der Verzicht auf neue Kohlekraftwerke und ein sinkender Stromverbrauch. Zudem müsse in die Entwicklung neuer Technologie investiert werden.

Im Mai 2010 - die Regierung debattierte gerade über die Verlängerung der AKW-Laufzeiten - fiel der Sachverständigenrat des Bundestages für Umweltfragen der Kanzlerin in den Rücken: Der Ausbau erneuerbarer Energien erfordere weder längere Laufzeiten von Atomkraftwerken noch den Neubau von Kohlekraftwerken. Die viel beschworene "Stromlücke" sei eine "Fata Morgana", sagte damals der Vorsitzende des Rates, Martin Faulstich.

Auch langfristig zuversichtlich

Experten weisen angesichts der Kehrwende in der Atompolitik nun wieder verstärkt daraufhin, dass Deutschland in den vergangenen Jahren zu viel Strom produziert hat. Der Überschuss wurde ins Ausland verkauft. "Kurzfristig kann man insgesamt bis zu vier oder fünf Kernreaktoren vom Netz nehmen", sagte Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) der Süddeutschen Zeitung. "Das entspricht dem Überschuss an Strom, den Deutschland im Moment produziert."

Die Energiebranche erbrachte im 2007 selbst den Beweis, dass Kraftwerke verzichtbar sind: Wegen Wartungsarbeiten gingen sieben Meiler gleichzeitig vom Netz.

Auch was die langfristige Perspektive betrifft, sind Forscher zuversichtlich. Bereits im Dezember 2010 stellte das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme in Freiburg eine Studie fertig, die belegt, "dass es überhaupt kein Problem ist, bis 2020 oder 2022 in Baden-Württemberg vollkommen auf erneuerbare Energien umzusteigen".

Plötzliches Interesse

Institutsleiter Eicke Weber klagte im SWR jedoch darüber, dass Ministerpräsident Stefan Mappus monatelang keine Zeit fand, den Bericht entgegenzunehmen. Nach der Fukushima-Katastrophe in Japan habe man sich dazu entschlossen, den Bericht dennoch zu veröffentlichen - und Mappus habe sich plötzlich sehr dafür interessiert.

Noch im Februar hatte der Ministerpräsident gesagt: "Es wäre inakzeptabel, wenn Neckarwestheim 1 abgeschaltet würde". Am vergangenen Dienstag sagte Mappus: "Neckarwestheim 1 wird abgeschaltet, dauerhaft, und stillgelegt".

Seine Umweltministerin Tanja Gönner brauchte für die Kehrtwende nur einige Stunden: Am vergangenen Samstag hatte sie noch von "unveränderten Rahmendaten" gesprochen. "Es wäre deshalb falsch, vorschnell die (...) begründeten Entscheidungen zu revidieren." Am Montag sagte sie: "Man kann die Atomkraft schneller durch erneuerbare Energien ersetzen."

Konrad Adenauer wäre sicher einverstanden gewesen.

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