Atompläne von Schwarz-Gelb:Die 2,3-Milliarden-Euro-Frage

Die Bundesregierung will die Atombranche für längere Laufzeiten zur Kasse bitten. Ob als Steuer oder in einem Fonds, ob für den Haushalt oder für Ökostrom bleibt jedoch rätselhaft. So rätselhaft, dass sich mittlerweile auch die Spitzen von Union und FDP verheddern.

Michael Bauchmüller und Claus Hulverscheidt

Noch hat die Bundesregierung die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke nicht um eine einzige Minute verlängert, da ist der Streit darüber, was mit den zusätzlichen Milliardengewinnen der Betreiberkonzerne geschehen soll, schon voll entbrannt. Sicher ist bislang nur, dass die Atomindustrie nicht kostenlos in den Genuss längerer Betriebszeiten kommen soll.

CDU: Atomindustrie muss zusätzliche Abgabe zahlen

Ein Mitarbeiter des Kernkraftwerks Krümmel bei Wartungsarbeiten am Brennelemente-Lagerbecken.

(Foto: dpa)

Wer aber das Geld einnehmen und auch wieder ausgeben darf, ob eine neue Steuer erhoben oder auf Vertragsbasis mit den Konzernen ein Fonds geschaffen wird, ob mit dem Geld der Haushalt saniert oder der Ökostrom gefördert werden soll, als das ist und bleibt bislang rätselhaft - so rätselhaft, dass sich mittlerweile auch die Spitzen von Union und FDP verheddern. Eine Übersicht über die Optionen.

Variante 1: Brennelementesteuer

Wolfgang Schäuble kann nach eigener Aussage derzeit gut schlafen. Zwar konnte er in den vergangenen Tagen fast täglich eine neue Idee lesen, was mit jenen 2,3 Milliarden Euro passieren soll, die die Regierung mindestens von den Stromkonzernen kassieren will.

Der Finanzminister sieht sich aber für den Streit gut gerüstet. Schließlich, so erklärt er, gebe es gleich zwei förmliche Beschlüsse des Bundeskabinetts, wonach die Summe vollständig zur Haushaltssanierung eingesetzt werden muss.

Der erste datiert von Anfang Juni, als die Minister bei ihrer Sparklausur im Kanzleramt einen "steuerlichen Ausgleich der Kernenergiewirtschaft" in ihr Konsolidierungskonzept aufnahmen.

Der zweite stammt von Anfang Juli, als das Kabinett den Gesetzentwurf über den Haushalt für 2011 und die Finanzplanung bis 2014 beschloss. Beide Beschlüsse müssten förmlich geändert werden, wollte die Regierung einen Teil der 2,3 Milliarden Euro plötzlich für andere Zwecke verwenden.

Allerdings: Auch Schäubles Gegner können sich auf einen Beschluss berufen - auf jenen aus dem Koalitionsvertrag nämlich, wonach ein Teil der Zusatzgewinne aus einer Verlängerung der Kraftwerkslaufzeiten abgeschöpft und in die Förderung erneuerbarer Energien investiert werden soll.

Hinzu kommt, dass die Brennelementesteuer europarechtswidrig sein könnte. Es ist allerdings fraglich, ob die Konzerne in Brüssel klagen würden - schließlich könnte die Regierung damit drohen, die Verlängerung der Kraftwerkslaufzeiten zurückzunehmen. Zwar gibt es zwischen Steuer und Laufzeiten in der Sache gar keine Verknüpfung, eine politische aber gibt es sehr wohl.

Variante 2: Fonds

Die Energiekonzerne fürchten die Steuer, denn sie würde unabhängig von längeren Laufzeiten fällig. Sollte etwa die nächste Regierung auf die Idee kommen, die Laufzeiten wieder zu kürzen, bliebe die Steuer womöglich bestehen. Die Firmen setzen deshalb auf einen Fonds. Auf Umwegen über die Staatsbank KfW würden sie die Einnahmen aus längeren Laufzeiten vorstrecken.

Grundlage wäre ein "Energiewirtschaftsvertrag" mit dem Bund, in dem dieser höhere Laufzeiten fest zusagt und auch die künftigen Sicherheitsauflagen definiert. Die Kraftwerksbetreiber wären aus dem Schneider, der Bund hätte Geld, das er in den Etat oder in erneuerbare Energien stecken könnte - und künftige Regierungen hätten womöglich ein Problem: Wollten sie höhere Sicherheitsstandards oder kürzere Laufzeiten durchsetzen, müssten sie Milliarden an die Konzerne zurückzahlen. Ein hoher Preis.

Variante 3: Brennelementesteuer plus Ökoenergie-Fonds

Das Grundsatzproblem, dass die Koalition alle künftigen Regierungen bindet, bliebe bei dieser Lösung bestehen. Dafür wäre mehr Geld da, weshalb dieser AKW-Doppelbeschluss lange Zeit auch in der Koalitionsführung Anhänger hatte: Schäuble erhielte seine 2,3 Milliarden für den Haushalt, dazu flösse ein vertraglich vereinbarter Betrag der Konzerne in erneuerbare Energien.

Auch die Länder hegen Sympathien für das Konzept, weil auch sie am Geldregen beteiligt werden könnten. Problem: Im Kanzleramt ist man zunehmend der Meinung, dass zwar die Atombranche insgesamt in der Lage wäre, über die Brennelementesteuer hinaus noch eine zweite Abgabe zu zahlen.

Der Betrieb einzelner Kernkraftwerke würde aber unrentabel - und der Beschluss über längere Laufzeiten ad absurdum geführt. Kanzlerin Angela Merkel und ihr Vize Guido Westerwelle wollen es deshalb bei den 2,3 Milliarden Euro belassen. Innerhalb der Koalitionsfraktionen allerdings rührt sich Widerstand.

Variante 4: Steuer oder Fonds - plus Investitionszusage

Aus Unionssicht könnte das Problem gelöst werden, indem sich der Bund einerseits Haushaltsmittel per Steuer oder Fonds verschafft, zugleich aber Investitionen der Konzerne in erneuerbare Energien verlangt. Die Betreiber müssten damit weniger von ihren zusätzlichen Gewinnen abgeben als bei der Doppellösung Steuer plus Fonds, dafür aber mehr für den Ökostrom tun.

Der Haken: Die Energiekonzerne könnten so doppelt ihre Marktposition absichern: durch längere Laufzeiten und durch Investitionen in Öko-Kraftwerke. Das dürfte der FDP kaum gefallen. Zudem ist offen, was passieren würde, wenn die Konzerne ihr Investitionsversprechen nicht einhalten.

Variante 5: Mal abwarten

Im Wirrwarr der Optionen spielt die Regierung auf Zeit. Eigentlich hätte schon nächsten Mittwoch die Entscheidung über die Brennelementesteuer fallen sollen, nun aber will sie nur die Summe von 2,3 Milliarden Euro beschließen. Wie genau sie fließt, wem genau sie dienen soll - mal abwarten.

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