Atommüll im maroden Endlager Asse:Ein Datum schockiert ein Dorf

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Als Norbert Röttgen noch Umweltminister war, gab er den Bürgern aus der Umgebung des Salzstocks Asse ein Versprechen: einen Zeitplan, wann die heiklen Fässer aus dem einsturzgefährdeten Bergwerk geholt werden sollen. Doch das nun genannte Datum schockiert die Betroffenen - und spült gravierende Probleme an die Oberfläche.

Jens Schneider

Es war ein Versprechen, das den besorgten Bürgern Hoffnung machen sollte. Mitte März stand Norbert Röttgen mit Menschen aus der Umgebung des Salzstocks Asse, dem maroden Atomlager bei Wolfenbüttel in Niedersachsen, direkt vor der Schachtanlage.

Die Probleme des maroden Atomendlagers unter Tage. (Foto: SZ-Grafik)

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Die Bürger drängten, dass endlich was passieren müsse. Nicht einmal einen Termin gab es, wann die Bundesanstalt für Strahlenschutz beginnen könnte mit der Bergung der 125.787 Fässer mit Atommüll. Dabei war zugesagt worden, dass die heiklen Fässer aus dem Bergwerk geholt werden sollen, das vom Einsturz bedroht ist. Also versprach der damalige Bundesumweltminister noch am selben Tag, dass es einen Zeitplan geben sollte.

Zwei Monate später ist Röttgen nicht mehr im Ministerium, aber der Zeitplan endlich da. Der aber löst eher Schockwellen aus. Denn erst im Jahr 2036 kann laut einer Projektion im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) die Bergung des Atommülls aus der Asse beginnen - wenn wie bisher weiter geplant und gearbeitet wird. Entwickelt hat den Zeitplan die Firma Arcadis Projektmanagement, die BfS hat ihn jetzt ans Bundesumweltministerium geschickt.

2036, das ist viel später als bisher angenommen

2036, das ist viel später als bisher angenommen. Zu Beginn der Planungen vor zwei Jahren war mit einem Abschluss der Bergung spätestens für das Jahr 2028 gerechnet. Heute wird über das Ende der Bergung gar keine Prognose mehr abgegeben. Die Bundesanstalt nennt den Zeitplan ein "Worst-Case-Szenario anhand der bisher gemachten Erfahrungen und der bestehenden Rahmenbedingungen".

Der Rahmenzeitplan spiegelt die desaströsen Erfahrungen der ersten drei Jahre wider, in denen die Bundesanstalt für Strahlenschutz oft auf der Stelle trat, weil die Aufgabe sich in technischer und rechtlicher Hinsicht als unerwartet schwierig erwies.

Intern spricht man längst von einem Paradoxon: In den von 1967 bis 1978 wurde der Atommüll in den Kammern oft in sorgloser Manier abgeworfen. Als die verheerenden Zustände in dem einsturzbedrohten Bergwerk bekannt wurden, übernahm die Bundesanstalt. Wo man sich früher kaum um die strahlende Last unter Tage scherte, wird nun das Bergwerk nach Atomrecht geführt. Früher fuhren Kinder zum Schulausflug in Sandalen unter Tage, nun kommt niemand, ohne vorher und hinterher auf Strahlung geprüft zu werden.

Schon die Vorprüfungen nach Atomrecht verzögern sich, weil vor jedem Schritt viele Auflagen erfüllt werden müssen. Schon im letzten Jahr sollte die Kammer 7 in 750 Meter Tiefe angebohrt werden, um zu erfahren, in welchem Zustand der Müll ist - und ob er überhaupt geborgen werden kann. Die Bohrstation ist fertig, doch auf das Anbohren wartet die Region seit Monaten.

Dabei wird unter Tage viel gebaut, 100 Millionen Euro sind allein für dieses Jahr veranschlagt: Der Berg bewegt sich, ständig muss nachgesichert werden. Vorrang haben große Strömungsbauwerke unter Tage, die für den Fall entstehen, dass plötzlich mehr Wasser als bisher aus dem Gestein eintritt und die Asse absäuft.

Die Entscheidung für die Rückholung fiel mit Blick auf die Langzeitsicherheit im Bergwerk. Aber um den Müll nach oben zu holen, wird es viele Erprobungen, einen komplett neuen Schacht und ein oberirdisches Zwischenlager brauchen. Der Zeitplan dürfte jene Fachleute bestärken, die eine Rückholung nicht für machbar halten. Längst argwöhnen Bürgerinitiativen in der Region, dass manche Politiker die Rückholung gar gezielt hintertreiben, weil sie mehrere Milliarden kosten und über Jahre düstere Altlasten ans Tageslicht bringen wird.

In Niedersachsen wird der Zeitplan als Warnschuss verstanden. "2036 ist für uns nicht akzeptabel", sagt der Landrat der Region, Jörg Röhmann (SPD). "Aber das ist genau das, was ich befürchtet habe." Alles müsse und könne schneller gehen. Auch Umweltminister Stefan Birkner (FDP) findet die Spanne "viel zu lang." Er fordert, der neue Bundesumweltminister "Altmaier muss das jetzt voranbringen." Dringend gebraucht werde die bereits diskutierte "Lex Asse" - ein Gesetz, mit dem Verfahren vereinfacht und damit beschleunigt werden sollen. "Unsere Vorschläge liegen schon lange im Bundesumweltministerium."

Die Uhr rückwärts drehen

Birkner schlägt vor, die Verfahren "bei aller Rücksicht auf die Sicherheit so schlank und unkompliziert wie möglich zu gestalten". Ausschreibungen sollen vereinfacht werden, die BfS als zuständige Behörde mehr allein entscheiden können. Auch deren Präsident Wolfram König fordert in einer Stellungnahme Änderungen bei den geltenden rechtlichen Regelungen, im Vollzug und beim Betrieb der Anlage, "damit solche inakzeptablen Zeitpläne nicht Realität werden".

Die BfS brauche, heißt es aus dem Landkreis, dringend mehr Personal und warte auf die Genehmigung aus Berlin. "Wir reden von einem Milliarden-Projekt", klagt Landrat Röhmann. Er warnt, dass fehlender Einsatz und übertriebene Schutzmaßnahmen am Ende dazu führen könnten, dass das Ziel der Rückholung nicht erreicht wird. "Wir müssen jetzt die Uhr rückwärts drehen, um von 2036 wieder weg zu kommen."

© SZ vom 30.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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