Süddeutsche Zeitung

Endlager für Atommüll:Ganz anders als vor mehr als vier Jahrzehnten

Etwa die Hälfte von Deutschlands Fläche eignet sich geologisch für ein Endlager für Atommüll - aber wo es tatsächlich eingerichtet wird, soll nun über Jahre geprüft werden. In einem maximal offenen Verfahren, ohne politische Vorgaben.

Von Jens Schneider, Berlin

Es bleibt vieles offen, aber ein langes Kapitel der bundesdeutschen Geschichte wird geschlossen, offenbar für immer: Der Salzstock Gorleben ist draußen. Aber viele andere Gebiete kommen in Frage.

Das ist der Kern des "Zwischenberichts Teilgebiete", so der offizielle Titel, mit dem die Suche nach dem bestmöglichen Standort für den deutschen Atommüll nun eingeschränkt wird. Es geht um einen Standort, der jenen hochradioaktiven Müll für eine Lagerzeit von einer Million Jahre sicher aufnehmen kann, der sich seit den Sechziger Jahre in Deutschland durch die Nutzung der Atomkraft angesammelt hat. An diesem Montagmorgen hat die für dieses Verfahren gegründete Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) in Berlin eine erste Vorauswahl vorgestellt.

In dieser Vorauswahl sind 54 Prozent der deutschen Fläche enthalten. Deutschland sei von der Geologie her gut geeignet, um einen Standort zu finden. Das ist die erste Botschaft der BGE. Auf der von ihr präsentierten Landkarte sind dabei 90 sogenannte Teilgebiete fast im ganzen Bundesgebiet ausgewiesen, ausgesucht allein nach geologischen Kriterien, wie der Geschäftsführer der BGE Stefan Studt betonte. Es gibt darunter sehr kleine Teilgebiete, beispielsweise Salzstöcke, aber auch sehr große Teilgebiete, etwa große Tonformationen, die sich über mehrere Landkreise oder auch Bundesländergrenzen hinweg erstrecken können.

Die Teilgebiete verteilen sich auf alle Bundesländer mit Ausnahme des Saarlands. Diese erste Auswahl schließt also auch Gebiete in Bayern und weite Regionen Baden-Württembergs ein. Zu den Teilgebieten zählen zudem Regionen in Norddeutschland genauso wie einige im Osten, sogar auch Gebiete unter der Nordsee.

Auf der Webseite der BGE kann man nun seine Postleitzahl eingeben und so erfahren, ob man in einem dieser Teilgebiete lebt. Ausdrücklich erklärt Steffen Kanitz von der BGE am Montagmorgen aber: "Ein Teilgebiet ist noch lange kein Endlagerungsstandort." Es gebe auch noch keine Präferenz unter den 90 Teilgebieten.

Denn dies ist nur der Anfang eines Such-Prozesses, der noch viele Jahre dauern soll: bis 2031. Dann wird die Politik endgültig entscheiden müssen, wo Deutschlands Atommüll hin soll, nachdem zuvor durch immer neue Prüfung der Kreis der möglichen Standorte immer weiter eingeschränkt wurde.

Gesucht werden soll in einem maximal offenen Verfahren, ohne politische Vorgaben, nach wissenschaftlichen Kriterien, mit größtmöglicher Partizipation der Bürger. Die Lehre der Vergangenheit sei, dass es "gut, richtig und wichtig ist, nicht im Verborgenen" vorzugehen, sagt Stefan Studt von der BGE.

Es soll also anders sein als einst vor mehr als vier Jahrzehnten. Damals wurde der Salzstock in Gorleben in Niedersachsen von der Politik als Standort ausgewählt, als wären damit Segnungen für die dünn besiedelte und wirtschaftlich schwache Region in Norddeutschland verbunden. Es kam dann ganz anders: Das Verfahren und die Entscheidung wurden als willkürlich und politisch intransparent kritisiert. In der Region, dem Wendland, entstand eine breite Protestbewegung, die Generationen prägte und das Wendland veränderte. Gorleben wurde bald zu einem Symbol für die bundesweite Protestbewegung gegen die Nutzung der Atomkraft, aus der später auch wichtige Strömungen der neugegründeten Grünen in die Politik kamen.

1980 bauten Atomkraftgegner in Gorleben ein Dorf mit mehr als hundert Hütten auf, in dem Protestcamp lebten sie rund einen Monat, bis zur Räumung durch die Polizei, die "Republik Freies Wendland" wurde danach zur Legende des Widerstands dort. Der Protest veränderte das Land und ging über all die Jahre weiter, auch weil im Salzstock Gorleben später ein Zwischenlager für Castoren mit Müll aus deutschen Atomkraftwerken eingerichtet wurde. Dieser Montag markiert nun das Ende der Überlegungen für das Endlager.

"Auf keinen Fall eine politische Entscheidung"

"Gorleben wird aus dem weiteren Verfahren ausgeschlossen", erklärt das BGE. Dies sei auf keinen Fall eine politische Entscheidung, es habe zu keinem Zeitpunkt einen Versuch der Einflussnahme gegeben, sagt Steffen Sanitz, der zweite Geschäftsführer der Gesellschaft vor der Presse in Berlin. In Gorleben gebe es "keine günstige geologische Gesamtsituation". Unter anderem weise der Salzstock ein nicht intaktes Deckgebirge vor, auch die Gewässerchemie spreche gegen den Standort. Es könne nach wissenschaftlichen Kriterien nicht der bestmögliche Standort sein, nach dem man suche. Damit sei es raus.

Die Reaktionen darauf sind zwiegespalten. Da ist die Erleichterung in der Region und unter jenen, die den Protest über viele Jahre mitgetragen haben.

"Ein 43 Jahre alter Fehler wurde endlich geheilt", sagt Jochen Stay von der Bürgerinitiative "ausgestrahlt". Die geologischen Mängel des Salzstocks in Gorleben seien schon lange bekannt. Mit dem heutigen Tag werden diese nun auch offiziell bestätigt. "Gorleben ist der Beleg dafür, dass Fehlentwicklungen selbst gegen mächtige Interessen in Wirtschaft und Politik korrigiert werden können, wenn Bürgerinnen und Bürger mutig Verantwortung übernehmen." Dies sei aber nicht das Ende des Konflikts, mit dem neuen Suchverfahren drohten neue Fehler. Es gebe "Grund genug, sich weiter einzumischen."

Aber es findet nicht jeder gut, Gorleben zu diesem frühen Zeitpunkt auszuschließen. In anderen, nun einbezogenen Regionen könnte man dies eben doch als politische Entscheidung ansehen. Der Standort gilt als "politisch verbrannt".

Aus Bayern kommt früh am Montag heftige Kritik an dieser Entscheidung und der Liste der Teilgebiete. In Bayern gebe es grundsätzlich keinen geeigneten Standort, heißt es. Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) kritisiert den Ausschluss des Salzstocks Gorleben aus der Suche nach einem Endlager für Atommüll scharf - und stellt deshalb das gesamte Verfahren in Zweifel. "Die Herausnahme von Gorleben ist nicht nachvollziehbar. Das weitere Verfahren hat ohne Gorleben ein Glaubwürdigkeitsproblem", sagt er.

Die für die Suche zuständige BGE hat jegliche Kritik am Verfahren aus Bayern kategorisch zurückgewiesen. "Wir arbeiten rein wissenschaftlich", sagt Geschäftsführer Stefan Studt.

Die Bundesgesellschaft für Endlagerung betont, dass der Prozess noch am Anfang stehe. Das Suchverfahren laufe in drei Phasen, die sei nun die erste Hälfte von Phase eins. Jetzt würden die Ergebnisse detailliert vorgestellt, sollen zugänglich "für jede und jeden sein". In jedem Teilgebiet werden man Online-Sprechstunden anbieten. Gedacht ist an einen Prozess, in dem die Politik sich zunächst zurückhält, doch schon dieser Montag zeigt, dass dies nicht so sein wird. Bayerns Umweltminister Glauber dürfte nicht der letzte bleiben, der Zweifel am Ergebnis vorbringt.

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