Krieg in der Ukraine:Die Risiken minimieren

Krieg in der Ukraine: Der Leiter der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA, Rafael Grossi (rechts), beim Besuch eines Kernkraftwerks in der Südukraine am Donnerstag.

Der Leiter der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA, Rafael Grossi (rechts), beim Besuch eines Kernkraftwerks in der Südukraine am Donnerstag.

(Foto: IAEA/dpa)

Fünfzehn Atomreaktoren, zum Teil inmitten von Kampfhandlungen: Internationale Experten versuchen, die ukrainischen Kernkraftwerke sicher zu halten.

Von Paul-Anton Krüger, Berlin

Von Tag eins des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine an hat sich ein Diplomat intensiv mit der Lage im Land beschäftigt, von dem das vielleicht auf den ersten Blick nicht zu erwarten gewesen wäre: der Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Mariano Grossi. Der Argentinier kam schon dadurch ins Spiel, dass die russischen Invasionstruppen von Belarus ausgerechnet durch die Sperrzone rund um das 1986 havarierte Atomkraftwerk Tschernobyl zum westlichen Dnjepr-Ufer und auf die Hauptstadt Kiew vorstießen. Grossi warnte, der "militärische Konflikt bringt die Atomkraftwerke der Ukraine und andere Einrichtungen mit radioaktivem Material in eine beispiellose Gefahr".

Wie groß sie werden sollte, konnte er sich da wohl selber noch nicht vorstellen. In den ersten Tagen des Krieges wurden im Zuge der Gefechte mehrere Einrichtungen getroffen, in denen schwach radioaktive Stoffe lagerten, etwa in der Region Kiew und bei Charkiw, ohne dass nach Kenntnis der in Wien ansässigen Behörde dabei Radioaktivität freigesetzt wurde. Dann allerdings stürmten russische Soldaten das Kernkraftwerk Saporischschja mit seinen sechs Blöcken. Bei den Kämpfen wurden ein Schulungsgebäude schwer beschädigt, auch ein Labor und ein Nebengebäude des Kraftwerks wurden getroffen. Die Gefechte fanden nur etwa 250 Meter von den Reaktoren entfernt statt.

Grossi bot noch am selben Tag an, selbst in die Ukraine zu reisen und über die Errichtung von Sicherheitszonen um die Atomkraftwerke und andere nukleare Einrichtungen des Landes zu verhandeln. Am Freitag nun kehrte er von seiner Reise zurück. Auf dem Rückweg traf er in der russischen Exklave Kaliningrad Vertreter der russischen Regierung, unter ihnen der Chef des staatlichen Atomkonzerns Rosatom, Alexej Lichatschow, der Nuklearaufsicht und des Außenministeriums. Von Dienstag an hatte Grossi in der Ukraine mit Vertretern der Regierung, der Atomaufsicht und dem Chef des dortigen Nuklearkonzerns Energoatom beraten, aber auch mit technischen Experten.

Zudem besuchte er das Atomkraftwerk Ukraine Süd im Bezirk Mykolajiw am Fluss Südlicher Bug. Die drei Reaktoren sowjetischer Bauart bilden das zweitgrößte Kernkraftwerk des Landes. Auch in der Nähe dieser Anlage wurde zuletzt gekämpft; russische Truppen sollen sich nur wenige Dutzend Kilometer südöstlich des Kraftwerks befinden. Grossi beriet mit dem Direktor des Kraftwerks und dem ukrainischen Energieminister über konkrete technische Unterstützung, die das Land benötigt, um den sicheren Betrieb der insgesamt 15 Kraftwerksblöcke sicherzustellen. Grossi hatte schon technische Ausrüstung wie Strahlenmessgeräte mitgebracht.

Die Techniker in Tschernobyl bekommen Unterstützung

In Saporischschja werden die Meiler von den ukrainischen Mannschaften gefahren, es halten sich aber weiter 400 russische Soldaten auf dem Gelände auf, deren Anweisungen die Betreiber befolgen müssen. Russland hat eigene Experten von Rosatom entsandt, aber abgestritten, dass der Konzern das Kraftwerk übernehmen soll.

Der IAEA-Chef machte am Freitag in Wien deutlich, dass seine Reise wegen der Kampfhandlungen mit logistischen Problemen verbunden war. Auch musste er Abstand nehmen von seinem Plan, mit Vertretern der Ukraine und Russlands eine Rahmenvereinbarung auszuhandeln. "Es geht jetzt nicht darum, Entwurf nach Entwurf zu verhandeln, sondern die realen Risiken zu minimieren", sagte er. Daher habe er jetzt unabhängig voneinander mit den Vertretern beider Länder Einigkeit über die bevorstehenden Aktivitäten der IAEA in der Ukraine hergestellt.

Er kündigte an, dass Experten der IAEA unter seiner Führung nun umgehend in die Ukraine reisen und die Arbeit der ukrainischen Techniker in Tschernobyl unterstützen sollen. Die IAEA werde auch anderen Atomanlagen sicherheitsrelevante Ausrüstung und Expertise bereitstellen, sagte er. Russische Truppen haben nach Angaben des ukrainischen Atomkonzerns Energoatom mit dem Abzug aus Tschernobyl begonnen. Laut IAEA hat das russische Militär schriftlich die Kontrolle über die Anlagen dort wieder an das ukrainische Personal übergeben. Russische Soldaten seien in zwei Kolonnen in Richtung der Grenze nach Belarus gefahren, teilten Energoatom und IAEA mit. Das Personal in Tschernobyl sei am Morgen über den geplanten Abzug informiert worden. Übergeben wurden demnach auch zwei Zwischenlager für Atommüll, die sich in der 30-Kilometer-Sperrzone um das stillgelegte Kraftwerk befinden.

Zu ukrainischen Berichten, dass russische Soldaten in Tschernobyl erhebliche Strahlendosen ausgesetzt worden sein sollen, nahm Grossi nicht Stellung. Sie sollen sich kontaminiert haben, als sie in dem Gräben ausgehoben haben. Der Boden in der Region ist zum Teil noch erheblich radioaktiv belastet.

Zur SZ-Startseite
Wladimir Putin

SZ PlusMeinungHistorische Analogien
:Die verlogenen historisch-politischen Referenzen des Wladimir Putin

Der Krieg in der Ukraine findet auch unter Einsatz vorgeblich historischer Argumente statt. Nicht nur der russische Präsident verwendet sie - auch Wolodimir Selenskij. Allerdings mit einem bedeutenden Unterschied.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: