Eigentlich hätte vorigen Mittwoch schon alles über die Bühne gehen können. Das Bundeskabinett hätte eine Änderung am Atomgesetz vorgenommen und eine an den Regeln für Reservekraftwerke - schon wäre der Weg frei gewesen für den kurzen Verlängerungs-Betrieb der beiden Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim 2. Das Kabinett trat zusammen, das Kabinett ging wieder auseinander. Aber nichts war geschehen. Die FDP, so heißt es, hatte noch Klärungsbedarf.
Vor einer Landtagswahl, die der FDP-Spitzenkandidat zur Entscheidung über die Kernkraft in Deutschland machen wollte, war das noch nicht einmal verwunderlich: Schließlich hätte das Kabinett mit der Entscheidung das Ende der Akws besiegelt, nur eben dreieinhalb Monate später als bisher geplant. Statt zum 31. Dezember vom Netz zu gehen, hätten sie noch bis Mitte April den verbliebenen Brennstoff nutzen können, im "Streckbetrieb". Doch nun könnte selbst das scheitern - mindestens im Fall des bayrischen Reaktors Isar 2. Der Grund ist Zeitnot.
Ursprünglich sei verabredet gewesen, die nötigen Gesetzesänderungen noch diesen Montag durchs Kabinett zu bringen, erfuhr die Süddeutsche Zeitung aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Per Umlaufverfahren kann so etwas sehr schnell gehen, das Verfahren ist nicht unüblich. Doch wegen "politischer Unstimmigkeiten" sei diese Verabredung nicht gehalten worden. Aus Sicht des Bundeswirtschaftsministeriums steht dadurch mindestens im Fall von Isar 2 der Reservebetrieb auf dem Spiel. "Damit ist der enge Zeitplan für das Verfahren nicht zu halten, was den Betreibern heute mitgeteilt wurde", sagte eine Sprecherin auf Anfrage. "Diese Verzögerung ist ein Problem, wenn man will, dass Isar 2 im Jahr 2023 noch Strom produziert."
Wird Eon die Reparatur von Isar 2 einleiten?
In dem Atomkraftwerk bei Landshut war zuletzt eine Ventilleckage aufgetaucht. Sie müsste repariert werden, soll das Kraftwerk über den 31. Dezember hinaus noch laufen. Die Betreiberin, die Eon-Tochter PreussenElektra, hatte schon vor Wochen darauf hingewiesen, dass diese Reparatur noch im Oktober geschehen müsse. Danach werde es schwer, "die Anlage aus dem Stillstand heraus wieder hochzufahren", wie das Umweltministerium aus einer Besprechung mit der Betreiberin berichtete.
Aber wird Eon die Reparatur in die Wege leiten, wenn noch nicht einmal der Reservebetrieb klar ist? "Die Atomkraftwerksbetreiber brauchen Klarheit", sagt eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums. Man setze sich für eine Lösung ein. "Sonst steht man wegen Verzögerungen ohne Isar 2 da."
Erst vor zwei Wochen hatte sich das Ministerium mit den Betreibern der beiden Akws, Eon und EnBW, auf Eckpunkte für den weiteren Betrieb geeinigt. Darin hatte das Wirtschaftsministerium zugesagt, die nötigen Gesetzesänderungen vorzubereiten. Diese sollten "voraussichtlich" am 5. Oktober beschlossen werden, eben in jener Kabinettssitzung, in der dann nichts geschah. Und das womöglich nur wegen der Wahl in Niedersachsen.
Nach der Wahl ist die Lage nicht einfacher geworden, im Gegenteil. FDP-Chef Christian Lindner machte am Montag deutlich, dass er an seiner Position festhalten wolle: Nicht nur per Streckbetrieb bis zum Frühjahr, sondern mit neuen Brennstäben bis 2024 möchte er die Atomkraftwerke betreiben. Und auch nicht nur die beiden süddeutschen Reaktoren, sondern auch das Akw Emsland im niedersächsischen Lingen. "Wir halten an unserer Position fest", bekräftigte Lindner am Montag. "Das ist nicht Politik, sondern Physik."
Womöglich unterschätzt der Finanzminister damit aber auch die Gesetze der Politik. Denn in der aktuellen Auseinandersetzung sitzt er eindeutig am kürzeren Hebel. Kann sich das Kabinett nicht rechtzeitig auf die Akw-Reserve einigen, und fehlt damit irgendwann auch dem Bundestag die Zeit für die entsprechenden Gesetzesänderungen, dann bleibt es bei der geltenden Gesetzeslage: Dann stellen alle verbliebenen Akws im Land zum Ende des Jahres den Betrieb ein.