Atomkraft:Stochern im Laufzeitnebel

Lesezeit: 2 Min.

Wäre es rechtlich überhaupt möglich gewesen, die Atommeiler weiterzubetreiben? Das Kernkraftwerk Emsland in Niedersachsen wurde im April 2023 stillgelegt. (Foto: Lino Mirgeler/dpa)

Wollten Ministerien aus politischen Gründen vereiteln, dass Atomkraftwerke noch länger am Netz bleiben? Ein Untersuchungsausschuss soll das klären, und schon die erste Befragung zeigt: Das wird eine zähe Angelegenheit.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Schon der erste Zeuge behauptet von sich, dass er eigentlich der Falsche ist. Mit dem Untersuchungsgegenstand, sagt der Beamte, sei er eigentlich „nur sporadisch und am Rande“ befasst gewesen. Was natürlich die Opposition in Raum 4.200 des Paul-Löbe-Hauses nicht davon abhält, ihn jetzt erst einmal ordentlich zu grillen. Es wird zwischenzeitlich sogar einmal etwas laut in dem Sitzungssaal des Bundestagsgebäudes. Viel erfahren werden die Abgeordneten von dem Mann trotzdem nicht.

Seit diesem Donnerstag erforscht der Bundestag die wirren Zeiten nach Beginn des Ukrainekriegs, und hier im Speziellen die Genese der Laufzeitverlängerung. Mails und Vermerke sind aufgetaucht, sie nähren aus Sicht der Opposition den Verdacht, die zuständigen Ministerien für Wirtschaft und Umwelt hätten nicht unvoreingenommen geprüft, ob längere Laufzeiten für die letzten drei Atomkraftwerke des Landes die Energiekrise hätten abpuffern können. Jene drei Reaktoren, die schließlich auf Geheiß des Kanzlers dreieinhalb Monate länger liefen und damit über den kritischen Winter hinweg. Damit hätte es sein Bewenden haben können. Doch die Opposition wittert einen Skandal, den es aufzuklären gilt. Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss soll nun die Hintergründe klären, er tagt bis weit in das Wahljahr 2025 hinein. Das Untersuchungsmaterial wird in Gigabyte gemessen, allein in jüngerer Zeit kamen noch einmal 60 000 Seiten hinzu.

Doch wie schwierig und zäh die Aufklärung werden könnte, davon gibt der Auftakt einen Vorgeschmack. Im Mittelpunkt steht ein Vermerk, den Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) angefordert hatte – zu der Frage, ob ein Weiterbetrieb der drei Atomkraftwerke rechtlich überhaupt möglich ist. Gefertigt wurde er schon Anfang Februar 2022, also gut zwei Wochen, ehe mit Russlands Angriff auf die Ukraine auch die Energiekrise ihren Lauf nahm.

300 Zeugen stehen auf der Liste. Kaum möglich, alle zu befragen

„Ich war etwas überrascht von dem Arbeitsauftrag“, räumt der Beamte ein, ein Referent im Ministerium. Wie üblich sei der Auftrag aber erledigt worden, auch mithilfe anderer Referate. Und sonderlich überraschend ist das Ergebnis auch nicht: Schließlich war der Ausstiegstermin zu diesem Zeitpunkt beschlossene Sache, schwarz auf weiß festgehalten im Atomgesetz. Auch eine Reihe anderer Argumente, die gegen einen weiteren Betrieb sprechen, listet der Vermerk auf. Einflussnahme von oben habe es aber nicht gegeben. „Dass politische Botschaften von uns eingefügt werden sollen, habe ich ehrlich gesagt noch nicht erlebt“, sagt der Beamte. Nach einer guten Stunde ist die Befragung vorbei. Nummer eins von 300.

So viele Zeugen jedenfalls umfasst bisher die Befragungsliste, die ersten fünf werden am Donnerstag abgearbeitet. Und es stehen noch nicht einmal alle darauf. Robert Habeck etwa, der grüne Wirtschaftsminister, fehlt auf der Liste noch. „Sie können aber sicher sein, dass wir auch ihn noch befragen“, sagt der CDU-Abgeordnete Stefan Heck, der den Ausschuss leitet. Erst einmal müsse man sich aber ein Bild machen. Dabei soll ein Ermittlungsbeauftragter helfen; darauf hat sich der Ausschuss im Grundsatz schon verständigt. Da er immer nur donnerstags in den Sitzungswochen tagt, kann er 300 Zeuginnen und Zeugen unmöglich befragen, realistisch hat er dafür nur bis zum Frühsommer 2025 Zeit. Auf Zeugen wie die zuständigen Minister wird er aber gewiss nicht verzichten wollen.

Manche in der Koalition wittern deshalb eher ein „Wahlkampfmanöver“, etwa der SPD-Abgeordnete Jakob Blankenburg. Man gehe aber ganz entspannt in die Untersuchungen. „Wir haben nur ein großes Fragezeichen, ob wir in diesem Ausschuss zu neuen Erkenntnissen kommen.“ Das sieht die Unionsfraktion anders. „Wir gehen davon aus, dass nicht offen geprüft worden ist“, sagt der CSU-Politiker Andreas Lenz. „Viel spricht nach dem Aktenstudium dafür, dass ein sicherer Weiterbetrieb möglich gewesen wäre.“ Natürlich gehe es letztlich auch um den Atomausstieg an sich. Und selbst der zähste Ausschuss dürfte es schaffen, dieses Thema im nächsten Wahlkampf zu platzieren.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Atommüll
:Ein Endlager für die Ewigkeit – und umgekehrt

Eigentlich sollte bis 2031 feststehen, wo der gefährlichste Atommüll im Land gelagert werden soll. Jetzt hat ein Gutachten den Zeitbedarf neu überschlagen. Es landet bei 2074.

Von Michael Bauchmüller

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: