Atomkraftwerke als Terrorziele:Wie verletzlich ist ein AKW?

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Das Atomkraftwerk Doel bei Antwerpen. (Foto: dpa)

Wie gut sind Atomkraftwerke vor Anschlägen geschützt? Ist es möglich, sich übers Internet in das System eines AKW zu hacken? Fragen an Wolfgang Renneberg, einst Deutschlands oberster Atomaufseher.

Interview von Lars Langenau

Seit Belgien ist es nicht mehr nur eine reine Horrorvision: Terroristen greifen ein Atomkraftwerk (AKW) an oder zünden eine schmutzige Bombe. Wie gut sind AKW wirklich geschützt? In welchem Zustand sind die AKWs in Deutschland und Belgien? Rechnet sich Kernkraft heute überhaupt noch? Fragen an Wolfgang Renneberg, einst Deutschlands oberster Atomaufseher.

SZ.de: Herr Renneberg, Berichten zufolge gibt es Hinweise, dass Terroristen in ein belgisches AKW eindringen wollten. Bei den jüngsten Ermittlungen zu den Hintermännern der Pariser und Brüsseler Anschläge stieß die Polizei auf Hinweise, dass ein Atomforscher ausspioniert wurde. Müssen wir beunruhigt sein?

Wolfgang Renneberg: Ich kann das von außen nicht einschätzen und ich glaube auch nicht, dass das irgendjemand, der nicht in das belgische Sicherheitssystem eingeweiht ist, wirklich kann. Weder ist das belgische Schutzkonzept gegen terroristische Angriffe von außen bekannt noch kann man aus einem Schutzkonzept allein schließen, wie wirksam es ist. Es kommt ganz wesentlich darauf an, wie es in der Praxis umgesetzt ist. Zwischen Theorie, Anspruch und Praxis bestehen häufig große Unterschiede.

Dann doch einfach mal ganz generell ...

Generell gibt es ein Risiko, dass ein AKW durch einen Terroranschlag verletzt werden kann. Entweder durch massive Einwirkung von außen, wie durch einen Flugzeugabsturz oder eine Rakete. Oder aber durch Sabotage von Tätern im Inneren, die die Anlage und deren Schaltstellen genau kennen und die Sicherheitsmaßnahmen gezielt ausschalten. Zudem könnte eine Bodentruppe von Terroristen ein AKW angreifen, möglicherweise in Zusammenarbeit mit Verbindungsleuten drinnen. Die könnten mit bestimmten Waffen dann auch durchaus das Nervenzentrum eines AKW treffen.

Klingt wie das Szenario eines schlechten Hollywoodfilms.

Nein, ich erfinde hier nichts. Selbstverständlich gibt es Sicherheitskonzepte gegen einen Terrorangriff von außen. Und zumindest in Deutschland existieren geregelte Szenarien, um sich dagegen zu wappnen.

In Deutschland sind derzeit noch acht Atomkraftwerke in Betrieb. In jeder Anlage haben im Schnitt 500 Menschen täglich Zutritt auf das Gelände, plus Mitarbeiter von Drittfirmen und Lieferanten. Wie viele Personen kommen in den wirklichen Sicherheitsbereich?

Über den Daumen geschätzt mehrere dutzende Mitarbeiter. Auch Sachverständige etwa müssen Zugang zu diesen Bereichen eines AKW haben.

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Glauben Sie, dass der interne Bereich gut geschützt ist? Wie sieht dieser Schutz aus?

In Deutschland gibt es sicherlich eine gute Grundauslegung gegen den Angriff von Terroristen. Aber jedes Sicherheitskonzept hat Lücken und Grenzen. Selbst, wenn ich es im Einzelnen wüsste, wie dieser Schutz aktuell aussieht, dürfte ich es Ihnen nicht sagen. Aber es gibt bekannte Grundsätze zur Störfallsicherheit von Kernkraftwerken, die auch gegen Terrorangriffe hilfreich sind, wie zum Beispiel Redundanz und Diversität. Die sind natürlich nicht nur hinsichtlich möglicher Terrorangriffe erfunden wurden, sondern weil wir es hier mit einer hochgradig gefährlichen Technologie zu tun haben.

Der Anti-Terror-Beauftragte der Europäischen Union, Gilles de Kerchove, wäre 'nicht überrascht, wenn in den nächsten fünf Jahren das Internet genutzt würde, um einen Angriff zu verüben'.

Das ist ja schon längst passiert. Es gab bereits vor ein paar Jahren einen bekannt gewordenen Angriff auf die iranische Steuerungssoftware. Es wird noch immer gemutmaßt, woher dieser hochgefährliche Virus nun eigentlich kam. Ich gehe davon aus, dass es Versuche von Internetangriffen auf Kernkraftwerke schon gab und gibt. Aber sowas wird natürlich nicht breit veröffentlicht.

IAEA-Chef Yukiya Amano schloss mit Blick auf die jüngsten Anschläge nicht aus, dass auch "atomare Materialien" in der Zukunft von Terroristen genutzt werden. Kann sich jeder eine schmutzige Bombe mit einer Anleitung aus dem Internet bauen?

Es kommt darauf an, welches Material Terroristen in die Hände bekommen. Soweit es nicht um den Bau einer atomaren sondern "nur" um eine "schmutzige Bombe" geht, ist das jedenfalls nicht allzu schwierig. Man benötigt dafür radioaktives Material, das man sich - mit der zu unterstellenden kriminellen Energie - auch aus Laboren oder Krankenhäusern besorgen könnte. Ich kann mir vorstellen, dass es Länder gibt, in denen das nicht allzu schwierig ist. Terroristen könnten das dann alles in einen Behälter packen, mit einem konventionellen Zünder versehen und explodieren lassen. Dann hätte man, auf Deutsch gesagt, auf jeden Fall eine "riesengroße Sauerei". Es käme selbstverständlich nicht zu einer atomaren Explosion und die Radioaktivität würde sich nicht katastrophal großflächig ausbreiten, sondern es entstünde eine lokal begrenzte, radioaktive Kontamination um den Explosionsherd herum. Das kann man aber keinesfalls vergleichen mit der Situation freigesetzter Nuklide bei einem größeren Unfall in einem Atomkraftwerk.

Wolfgang Renneberg war bis 2009 Chef der Abteilung Reaktorsicherheit, Strahlenschutz und Entsorgung am Bundesumweltministerium (BMU). (Foto: dpa)

Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit eines solchen Terrorangriffs ein?

Da ich die irrationalen Überlegungen von Terroristen nicht nachvollziehen kann, ist es schwer für mich zu verstehen, was sie damit bezwecken wollten. Die Explosionskraft einer solchen Bombe wäre nicht größer, die radioaktiven zusätzlichen Schäden wären begrenzt, aber die Wut der Bürger gegen die Terroristen und ihre politischen Ziele und der internationale politische Druck gegen die Terroristengruppen würde weiter dramatisch wachsen. Aufgrund der politisch irrationalen Mentalität der heutigen Attentäter, halte ich solch einen Angriff heute jedoch für wahrscheinlicher als früher.

Wo befinden sich die besonders sensiblen Bereiche eines Atomkraftwerkes?

Eine solche Frage wird mit gutem Grund in der Öffentlichkeit nicht diskutiert. Ganz allgemein ist natürlich bekannt, dass diejenigen Stellen, an denen die Nervenstränge eines Systems gebündelt sind, gefährdete Stellen sind. Dies betrifft zum Beispiel die elektrische Versorgung. Je älter das Sicherheitskonzept der Anlage ist, je weniger die Schaltkreise getrennt sind, umso weniger unabhängige Stromversorgungssysteme vorhanden sind, umso verletzlicher ist die Anlage. Daneben kommt es darauf an, wie hoch der sogenannte physische Schutz der Anlage ist, also derjenige Schutz, der ein Eindringen von außen verhindert. Auch hier sind die älteren Anlagen in der Regel schlechter ausgelegt als neuere. Dies betrifft die Betonstrukturen, die Widerstandsfähigkeit von Türen, den Schutz der verlegten Kabelstränge und Rohrleitungen, also grundsätzlich Systeme und Komponenten und deren Anordnung, deren Schwäche in Fukushima zur Katastrophe geführt hat.

Aber Fukushima beruhte auf einer Naturkatastrophe ...

Nein, das war menschengemacht. Es war mangelnde Vorsorge, obwohl man Vorsorge hätte treffen müssen. Und mit dem Vorwissen über die Sicherheit von AKWs, hätte das nie passieren dürfen.

Sie meinen, man hätte das AKW nicht so nah am Meer bauen dürfen?

Bereits Jahre vor diesem verheerenden Tsunami wusste man, dass es Wellen in dieser Höhe geben kann. Zumindest die Stromversorgung hätte man aufgrund dieses Wissens besser schützen müssen. Die Dieselaggregate zur Notversorgung hätten beispielweise viel höher positioniert werden müssen. Aber das ist nur ein Aspekt, der wissentlich missachtet wurde. Im Grunde war es ein Versagen des gesamten Aufsichts- und Betreibersystems über das die Öffentlichkeit jedoch keinerlei Informationen hatte. Wenn sie alleine machen können, was sie wollen, dann denken sie häufig in erster Linie über Kosteneffizienz bzw. Schutz der Investitionen nach.

AKW-Sicherheit ist also eine Art Black Box, weil wir nicht wissen, in was die Betreiber wirklich investieren?

Genau, deshalb kann es auch sein, dass die Maßnahmen gegen Terroranschläge ungenügend sind. Wir haben darüber einfach keine Informationen und deshalb geht davon auch eine Angst aus, die man nicht wegdiskutieren kann.

Aber geht von menschlichem Versagen nicht eine viel größere Gefahr aus?

Der Mensch ist grundsätzlich immer die größte Gefahr: Vorsorge nicht zu schaffen, wo man sie hätte schaffen können oder da aus Kostengründen nicht zu reagieren, wo es nötig wäre oder Sicherheitsprüfungen zu vergessen, Reparaturen falsch auszuführen, Sicherheitsprobleme nicht zu erkennen oder falsch zu bewerten. Aber selbst wenn sie fehlerlos wären, bleibt noch das, was wir prinzipiell nicht planen, nicht vorausdenken können, um einen Unfall zu vermeiden. Dieses Risiko gibt es auch bei jeder Chemieanalage, aber der Supergau eines Kernkraftwerks hat nun mal andere, weitreichendere Folgen.

Wie steht es um die Sicherheit der AKWs, die jetzt alle in die Jahre kommen?

Die belgischen Reaktoren Tihange 2 und Doel 3 weisen seit geraumer Zeit beispielsweise Risse in den Reaktordruckbehältern auf, aber selbst nach der Auffassung sehr relevanter Wissenschaftler, ist ungeklärt, woher die kommen. Sind diese Risse betriebsbedingt und vom Alter abhängig? Niemand weiß das genau.

Denken wir mal an die Stromleitungen im eigenen Haus: Da kann mit der Zeit die Isolierung spröde werden und abbröckeln. Wir sehen das vielleicht nicht, trotzdem bricht irgendwann die gesamte Stromversorgung zusammen oder es entsteht sogar ein Brand. Vergleichbare Fälle gab es auch schon in Kernkraftwerken. Das muss dann nicht zu einem Unfall führen. Aber das Risiko, dass etwas passiert, wenn andere Fehler hinzukommen, steigt in den alten Anlagen von Tag zu Tag. Damit stellt sich immer die Frage, ob die verbleibende Sicherheit noch groß genug ist. Das kann man nicht den Experten allein überlassen.

Rechnet sich Atomkraft denn überhaupt noch?

Aufgrund der Entwicklung der erneuerbaren Energien in Deutschland jedenfalls kaum noch. Wie es in Belgien ist, weiß ich nicht. Allerdings steht auch in den USA Atomkraft auf der Kippe. Vor allem wegen des tiefen Gaspreises werden dort reihenweise Kernkraftwerke aus ökonomischen Gründen vom Netz genommen. Wenn man die Entsorgungskosten in den Kosten der Kernenergie und den Preisen für Strom aus Kernkraftwerken vollständig berücksichtigen würde, und wenn die Kernkraftwerke eine realistische Haftpflichtversicherung für Unfälle abschließen müssten, würde sich Kernkraft schon lange nicht mehr rechnen.

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Aber weltweit scheint es zu einer Renaissance der Atomkraft zu kommen.

Das stelle ich in Frage! Überall dort, wo sich jemand privatwirtschaftlich das Geld unter freien Marktbedingungen organisieren müsste, wird kein Kernkraftwerk mehr gebaut. Wenn aber der Staat - wie in Frankreich oder England - dahinter steht, dann geht das selbst bei hochverschuldeten Unternehmen noch. Auch in China und Russland werden Kernkraftwerke nicht am freien Kapital- und Finanzmarkt finanziert.

Aber Schwellenländer wie Pakistan oder Iran bauen doch gerade massiv aus?

Das beruht vielfach auf politischen Erwägungen, weil man in den Kreis der weltpoltisch wichtigen Staaten aufsteigen will. Aber auch hier sind es keine Privatunternehmen, die im Energiesektor Geld verdienen wollen. Wer Geld verdienen will, der baut keine Kernkraftwerke mehr, es sei denn, der Staat übernimmt alle Risiken. Es gibt also noch sektoral begrenzte Ausbaupläne. Im Verhältnis werden mehr AKW abgeschaltet, als ans Netz genommen.

Immerhin steigt damit auch die Gefahr des Staatsterrorismus. Bei jedem Regierungswechsel in Pakistan muss man doch Angst haben, wer da nun wieder am roten Knopf sitzt ...

Auch im zivilen Bereich gab die Kernkraft dazu schon Anlass. Denken Sie doch mal daran, dass auch der Krieg gegen Saddam Hussein mit der irakischen Nuklearfähigkeit begründet wurde. Um die Friedfertigkeit der Atomenergie zu sichern, wurden also schon längst Kriege geführt. Auch Iran drohte dieses Schicksal, ein Konflikt der zum Glück gerade entschärft wurde. Aber auch hier pochte ein Staat auf die friedliche Nutzung der Kernkraft, verschaffte sich aber zugleich die Möglichkeit, Atombomben zu bauen. Es gibt bei der Atomenergie also keine Grenze zwischen friedlicher und militärischer Nutzung. Es ist eine hoch gefährliche Situation, weil immer mehr Länder aus nationalem Geltungsbewusstsein die nukleare Karte ziehen.

Siehe Nordkorea.

Das ist das Extrembeispiel. Ökonomisch bringt die Regierung dieses Landes wenig zustande, aber durch die Bombe haben sie plötzlich Weltgeltung erlangt. Das kann wiederum anderen Ländern imponieren, die sich dadurch auch Schutz versprechen. Sie folgen damit nur der Logik des Kalten Kriegs, der ja nach geläufiger Meinung nur aufgrund der Atomwaffen nicht heiß wurde. Aber je mehr Staaten über Atomwaffen verfügen, umso mehr steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass einer durchdreht und die Bombe zündet.

Wolfgang Renneberg war bis 2009 Chef der Abteilung Reaktorsicherheit, Strahlenschutz und Entsorgung am Bundesumweltministerium (BMU).

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