Energiekrise:Ergebnis des Strom-Stresstests - zwei AKWs sollen in Reserve bleiben

FILE PHOTO: Nuclear power plant Isar 2 in Eschenbach near Landshut

Das AKW Isar 2 soll bis April 2023 in Reserve gehalten werden.

(Foto: REUTERS)

Die Prüfung habe für ihn "überraschende Ergebnisse" gebracht, sagt Wirtschaftsminister Habeck. Die beiden Meiler könnten für die Netzstabilität in Süddeutschland "einen Unterschied" machen, aber nur bis April 2023.

Was passiert mit den drei verbliebenen Atomkraftwerken, die eigentlich Ende 2022 vom Netz gehen sollen? Kann Deutschland wirklich auf Atomstrom verzichten in einer Lage, in der der Krieg in der Ukraine zu exorbitant steigenden Energiepreisen führt und im Winter eine veritable Energiekrise droht? Monatelang sind diese Fragen in Deutschland diskutiert worden, die politischen Lager haben sich in Stellung gebracht.

Nun hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die Ergebnisse eines Stresstests vorgestellt, der prüfen sollte, ob das deutsche Stromnetz in allen Regionen des Landes den Extrembedingungen eines strengen Winters gewachsen ist, der durch hohen Verbrauch gekennzeichnet ist und möglicherwiese zusätzlich durch eine Gas-Mangellage. Diese wäre eine zusätzliche Herausforderung für das Stromnetz, denn ein Teil des nach Deutschland importierten Gases, zwischen zehn und 15 Prozent, wird für die Stromerzeugung eingesetzt.

Die Experten im Wirtschaftsministerium und die Übertragungsnetzbetreiber empfehlen nun, zwei der drei deutschen AKWs über das Jahresende hinaus in Reserve zu lassen. Es handelt sich um die beiden süddeutschen Meiler Isar 2 in Bayern und Neckarwestheim in Baden-Württemberg. Habeck spricht in diesem Zusammenhang genauer von einer "Einsatzreserve bis Mitte April 2023". Beide Meiler sollen die "angespannte Versorgungs- und Netzsituation in Süddeutschland" abfedern helfen. Das AKW Emsland soll dagegen wie geplant Ende des Jahres vom Netz gehen. Zwar sei eine krisenhafte Situation im Stromnetz unwahrscheinlich, könne aber nicht ganz ausgeschlossen werden.

In Umfragen ist eine knappe Mehrheit für den temporären Weiterbetrieb der AKWs

"Die Versorgungssicherheit in Deutschland ist hoch. Wir haben genug Energie in Deutschland", sagt Habeck zu Beginn seines Statements. Es gebe jedoch verschiedene Faktoren, die die Energiekrise verschärfen, dazu gehöre der niedrige Pegelstand des Rheins und die Trockenheit in diesem Sommer insgesamt. Sein Ministerium habe am 17. Juli mit dem Stresstest begonnen und vier Szenarien berechnet, deren Parameter laufend angepasst worden seien. Zugrunde gelegt wurden Wetterdaten aus dem Jahr 2012, wie Werner Götz, der Chef des Netzbetreibers Transnet BW, erklärt. Jenes Jahr sei deshalb gewählt worden, weil damals ein extrem kalter Winter verzeichnet worden sei.

Für die Grünen wäre eine tatsächliche Verlängerung der AKW-Laufzeiten äußerst unangenehm, denn im Widerstand gegen die Atomkraft wurde die Partei einst gegründet. Auch die SPD, das hat Parteichefin Saskia Esken am Montag noch einmal bekräftigt, will allenfalls eine Streckung des Betriebes um wenige Monate.

Meinungsumfragen haben zuletzt nahegelegt, dass eine knappe Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger einen temporären Weiterbetrieb der Atomkraftwerke befürworten würde. Die Union sieht daher die Chance, die Grünen an einem sensiblen Punkt zu stellen. Parteichef Friedrich Merz geht noch weiter. Er nimmt nicht nur die drei derzeit noch laufenden AKW in den Blick, sondern fordert auch einen Weiterbetrieb der drei im vergangenen Jahr abgeschalteten Meiler. Mit sechs AKW seien "zunächst einmal insgesamt 20 Millionen Haushalte sicher mit Strom versorgt", sagte er der Bild am Sonntag.

Auch aus der FDP kommen immer wieder ähnliche Forderungen, zuletzt an diesem Montag von Parteichef Christian Lindner. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung spricht er sich dafür aus, alle drei verbleibenden Atomkraftwerke bis mindestens 2024 am Netz zu lassen - unabhängig vom Ergebnis des Stresstests. "Wir sollten nicht zu wählerisch sein, sondern alles ermöglichen, was uns physikalisch und ökonomisch das Leben leichter macht", so der FDP-Chef. Mit Blick auf die Haltung des grünen Koalitionspartners sagt Lindner: "Wir müssen auch erkennen, dass in der Bevölkerung eine ganz große Mehrheit inzwischen der Meinung ist, dass übergangsweise die Kernenergie einen wichtigen Beitrag leistet."

Der Stresstest habe für ihn "überraschende Ergebnisse" gebracht, so Habeck. Zwar sei der Beitrag relativ gering, aber die zwei Atomkraftwerke könnten für die Netzsicherheit in Süddeutschland "einen Unterschied" machen.

Streit in der Ampelkoalition dürfte programmiert sein. Denn das, was Habeck nun vorschlägt, ist etwas völlig anderes als das, was Lindner und einigen in der FDP vorschwebt. Der Wirtschaftsminister betont in der Pressekonferenz erneut, dass am Atomausstieg, wie er im Atomgesetz geregelt sei, festgehalten werde. "Ich werde alles dafür tun, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Aber alles zu tun, heißt eben auch das Unnötige zu unterlassen". Die Atomkraft sei nach wie vor eine "Hochrisikotechnologie". Eine pauschale Laufzeitverlängerung hält Habeck daher für nicht vertretbar. Und mit neuen Brennstäben will er die AKWs erst recht nicht beladen. "Das wäre auch absurd, denn die Atomenergie ist absurd und ein Teil des Problems", so der Minister.

Die FDP reagiert zurückhaltend auf Habecks Ankündigung. "Es ist eine Frage der Vernunft, jetzt jede klimaneutrale Kilowattstunde zu ermöglichen", schreibt der Parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Johannes Vogel, auf Twitter. Er fügt aber hinzu: "Habecks Notreserve ist ein Schritt, aber erscheint auch als politischer Notausgang." Die FDP bleibe dabei, dass der Weiterbetrieb aller drei verbleibenden Kernkraftwerke nötig sei.

FDP-Fraktionschef Christian Dürr mahnt, es müsse sichergestellt sein, dass die verbleibenden Atomkraftwerke weiterhin Strom einspeisen können. Es blieben rechtliche Fragen "in den kommenden Tagen" zu klären, insbesondere ob eine Änderung des Atomgesetzes nötig sei.

Mit scharfer Kritik reagiert CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. "Offensichtlich ist Bundesminister Habeck nicht in der Lage, über seinen ideologischen Schatten zu springen." Wer in der derzeitigen Krise nicht bereit sei, "wirklich neu zu denken, bei dem habe ich in keinster Weise auch nur annähernd irgendein Vertrauen darin, dass er Deutschland durch diese Energiekrise führen könnte", so der CSU-Politiker.

Der stellvertretende Unionsfraktionschef Jens Spahn kritisiert, lediglich zwei AKWs in Reserve zu halten, sei ein fataler Fehler und parteipolitisch motiviert. "Diese drei Kernkraftwerke könnten in dieser Krise sicher, verlässlich und bezahlbar Energie, Strom für Deutschland liefern. Und das sollten sie auch mindestens noch in den nächsten zwei Wintern tun", so Spahn.

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