Atomkraft:Störfall an der Grenze

Atomkraftwerk Tihange

Bedrohungsszenario: Die drei Blöcke des maroden Atomkraftwerks Tihange liegen nur etwa 60 Kilometer von Aachen entfernt.

(Foto: Oliver Berg/dpa)

Pannen, Mikrorisse, Notabschaltungen - das belgische AKW Tihange beunruhigt im nahen Rheinland viele Bürger. Ministerpräsident Laschet sucht einen Weg, das Nachbarland zum Abschalten des Reaktors zu bewegen.

Von Christian Wernicke, Brüssel

Armin Laschet kommt alleine. Gastgeber Charles Michel, der belgische Premier, hat keine Lust, sich im Salon seines Amtssitzes Fragen deutscher Journalisten nach der Sicherheit seiner Atomkraftwerke zu stellen. Also referiert Nordrhein-Westfalens Regierungschef im Solo, was die Antwort war auf sein Flehen, das belgische Pannen-AKW Tihange einzumotten. "Der Premierminister bemüht sich, die deutschen Sorgen zu verstehen", sagt Laschet. Aber bewegt sich der Nachbar auch? "Nein, das habe ich nicht erkannt." Laschet reibt sich die Hände, sie sind leer.

Seit 2012 wallen die deutschen Proteste auf. Es geht vor allem gegen Block 2 von Tihange, "den Bröckelreaktor" nahe Lüttich. Haarrisse im Druckbehälter, Pannen und Notabschaltungen haben den Meiler in Verruf gebracht. Vorigen Sommer demonstrierten 50 000 Belgier, Niederländer und Deutsche mit einer Menschenkette gegen die nukleare Gefahr.

Zum Ärger von Umweltverbänden will Düsseldorf den Belgiern Braunkohle schmackhaft machen

Laschet steht deshalb unter Druck. Denn der Ministerpräsident hat selbst Erwartungen geweckt, die ihn als Anti-Atom-Diplomaten nun jagen. Wiederholt warnte er, eine Kernschmelze in Tihange könne "das westliche Rheinland unbewohnbar machen". Und er offerierte mehrmals seine Lösung: Die Belgier sollten Tihange verschrotten - und befeuert von klimaschädlicher Braunkohle ersatzweise aus Deutschland Strom importieren: "Die Gefahr, die von dem maroden AKW ausgeht, ist deutlich höher als die Risiken durch Kohle-Emissionen", sagte Laschet im Dezember dem Kölner Stadtanzeiger. Er beteuerte Tatendrang: "Ich bin bereits mit Belgien im Gespräch und will dies fortsetzen."

Nur, so heiß waren die Drähte des Düsseldorfer Nuklear-Abrüsters nach Brüssel offenbar nicht. Vor zwei Wochen präsentierten die NRW-Grünen die belgische Energieministerin Marie-Christine Marghem als Kronzeugin für den Verdacht, dass der Ministerpräsident seinen vielen Worten wenige Taten folgen lasse. Marhem hatte auf Anfrage eines belgischen Grünen erklärt, das letzte Mal habe sie im Februar 2017 mit der (damals noch rot-grünen) NRW-Regierung gesprochen. Zudem hieß es aus Brüssel, man habe den Pariser Klimavertrag unterschrieben - und brauche nicht mehr, sondern weniger Kohlestrom.

Die Düsseldorfer Staatskanzlei konterte zwar, Laschet habe immerhin mit dem belgischen Botschafter und wallonischen Regionalpolitikern über Tihange gesprochen. Doch das half wenig. Der grüne Bundestagsabgeordnete Oliver Krischer ätzte, Laschet "schwadroniert nur" zu Tihange. Und SPD-Fraktionschef Norbert Römer polterte, der NRW-Regierungschef sei "ein Prahlhans", der "die Wahrheit beugt". 14 Umwelt- und Anti-Atom-Organisationen passte am Dienstag die ganze Richtung nicht: Indem der CDU-Politiker deutsche Braunkohle gegen belgische Kernspaltung ausspiele, mache er den Belgiern "ein klimapolitisch vergiftetes Angebot".

Immerhin, ein wenig hat Laschet am Dienstag in Brüssel die deutsch-belgischen Fronten in Bewegung gebracht - mit einem eigenen Rückzieher. "Die Lieferung von Braunkohle an Belgien ist zweitrangig. Das Wichtigste ist, dass Tihange abgeschaltet wird", sagte er in Brüssel. In Düsseldorf hat man begriffen: Kurzfristig kann nur Strom aus einem derzeit stillgelegten Gaskraftwerk in den Niederlanden helfen, Tihange überflüssig zu machen. Das Gaskraftwerk gehört, wie die Braunkohle, dem Energieriesen RWE aus Essen.

Denn vor 2020 kann überhaupt kein deutscher Strom nach Westen an die Maas fließen. Frühestens in zwei Jahren ist das neue Erdkabel ("Alegro 1") verlegt, durch das wenigstens ein Gigawatt Elektrizität strömen könnte. Und frühestens in 2025 wäre eine zweite Leitung fertig, für noch ein weiteres Gigawatt Strom. Zwar hat Laschet seit zwei Wochen einen neuen Trumpf in der Hand: Die Groko droht in ihrem Koalitionsvertrag, die Lieferung von Brennelementen an zweifelhafte Reaktoren im Ausland zu stoppen. Nur, diese Karte kann nur die Bundesregierung in Berlin gegenüber Brüssel ausspielen. Der Mann aus Düsseldorf ist da nicht zuständig.

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