Atomkraft:FDP schert bei AKW-Laufzeiten aus

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Das Atomkraftwerk Emsland in Niedersachsen ist eine von drei noch laufenden Anlagen in Deutschland. (Foto: Jürgen Ritter/Imago)

Fraktionschef Dürr plädiert dafür, Reaktoren nicht abzuschalten, und setzt damit die Grünen unter Druck. SPD-Chefin Esken bezeichnet Verlängerungen als "komplett unsinnig".

Von Stefan Braun, Peter Fahrenholz und Mike Szymanski, Berlin/München

Vor dem Hintergrund eines möglichen kompletten Stopps von Gaslieferungen aus Russland nach der Wartung der Gaspipeline Nord Stream 1 ist die Debatte um eine Laufzeitverlängerung für die letzten drei Atomkraftwerke neu aufgeflammt. Sie setzt vor allem die Grünen unter Druck, denn jetzt macht sich nicht nur die Union, sondern auch der Koalitionspartner FDP dafür stark, die Atommeiler länger laufen zu lassen.

FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagte der Nachrichtenagentur dpa mit Blick auf die unkalkulierbare Situation bei den Gaslieferungen, Deutschland müsse sich auf ein Szenario einstellen, "das weitreichende Konsequenzen für private Haushalte und die deutsche Industrie haben könnte". Aus diesem Grunde solle "kein Kubikmeter Gas" mehr für die Verstromung eingesetzt werden müssen. "Deswegen wäre es jetzt richtig, die Laufzeiten der Kernkraftwerke über den Winter hinaus zu verlängern", sagte Dürr.

CDU-Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz stieß ins gleiche Horn; "Liebe Grüne, springt über Euren Schatten. Keine Denkverbote. Tut es für Deutschland", schrieb Merz in einem Beitrag für Bild. Angesichts der Energiekrise "sollten wir uns nicht die Möglichkeit nehmen, unsere Kraftwerke weiter laufen zu lassen, um damit Gas bei der Stromerzeugung einzusparen".

Wirtschaftsminister Robert Habeck erteilte diesen Forderungen eine Absage. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der österreichischen Umweltministerin Leonore Gewessler in Wien sagte er auf die Frage nach einer möglichen Laufzeitverlängerung für deutsche Atomkraftwerke, dass dies keine Lösung für die aktuelle Krise sei. "Wir haben ein Wärmeproblem, kein Stromproblem", so Habeck. Dort, wo bisher zu wenig Stromleitungen gebaut worden seien, müsse nachgearbeitet werden. Die Gasversorgung der Industrie und im Wärmebereich müsse hochgefahren, die Verstromung von Gas reduziert werden. Dazu müssten auch Kohlekraftreserven genutzt werden, so der Minister. Der geringe Beitrag zur Problemlösung, der aber durch das Weiterbetreiben von Atomkraftwerken erzielt werden könne, stehe in keinem Verhältnis zu den Sicherheitsrisiken und den gesetzlichen Schwierigkeiten. "Die Abwägung möglicher geringer Vorteile, kleine Gasmengen einzusparen, gegen die Sicherheitsfrage haben mich zu der Schlussfolgerung gebracht, dass das nichts hilft", sagte Habeck.

Söder weist immer wieder auf ein Gutachten des TÜV Süd zur Laufzeitverlängerung hin

Auch der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder plädierte erneut dafür, die drei verbliebenen Atomkraftwerke länger laufen zu lassen. Die Bundesregierung glaubte bisher, die Debatte um eine Laufzeitverlängerung der Reaktoren, die vor allem bei den Grünen an ein Tabu rühren würde, mit dem Verweis darauf beenden zu können, dass dies nicht nur aus rechtlichen, sondern auch aus technischen Gründen unmöglich sei.

Doch Söder weist immer wieder auf ein Gutachten des TÜV Süd hin, wonach nicht nur ein Weiterbetrieb des bayerischen Atommeilers Isar 2 über den 31. Dezember hinaus möglich sei, sondern sogar eine Wiederinbetriebnahme des abgeschalteten Blocks C im Atomkraftwerk Gundremmingen, das ebenfalls in Bayern liegt.

Unter Fachleuten ist allerdings umstritten, ob ein Weiterbetrieb der Kraftwerke die notwendigen Sicherheitsvoraussetzungen erfüllen würde. Denn die vorgeschriebene sogenannte Periodische Sicherheitsüberprüfung (PSI), die turnusgemäß 2019 fällig gewesen wäre, wurde mit Blick auf das absehbare Aus für die Atomkraft durch eine Ausnahmegenehmigung für drei Jahre ersetzt. Aus Sicht des Bundesumweltministeriums wäre eine weitere Verlängerung dieser Frist ohne neue Sicherheitsüberprüfung ein "nicht hinnehmbares Risiko". Experten sind sich außerdem uneinig, wie lange es dauern würde, neue Brennstäbe zu beschaffen.

SPD und Grüne lehnen eine Laufzeitverlängerung deshalb weiterhin ab. SPD-Chefin Saskia Esken sagte der Süddeutschen Zeitung, diese sei energie-, wirtschafts- und energiepolitisch "komplett unsinnig". Durch die aktuellen Lieferengpässe beim Gas gebe es ein Problem bei der Wärmeversorgung. Atommeiler lieferten aber Strom und keine Wärme, und um Gaskraftwerke bei der Stromerzeugung zu ersetzen, gebe es "flexiblere und sicherere Alternativen als Atomstrom". Die drei bestehenden Atomkraftwerke, so Esken, deckten gerade einmal fünf Prozent der deutschen Stromproduktion und leisteten damit "keinen zählbaren Beitrag in der aktuellen Krise". Die SPD-Vorsitzende fügte hinzu: "Atomkraft ist unwirtschaftlich, hoch gefährlich und hat keine Zukunft."

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