Atomkraft:Die Mär von der Renaissance

Alles ist vorbereitet für das große Comeback der Atomkraft - doch sie wird erst einmal nicht stattfinden. Weltweit stehen Atomprojekte still, nur ein Bruchteil wird realisiert werden.

Michael Bauchmüller

Pläne gibt es, so weit das Auge reicht. Polen sucht nach einem Standort für ein neues Kernkraftwerk, möglicherweise nicht weit von der deutschen Grenze entfernt. Die Schweiz will neu bauen. Großbritannien lädt Investoren ein, Italien hat den Atomausstieg gekippt, Schweden auch.

In Finnland wird ein neuer Reaktor gebaut, in Frankreich auch. Alles ist vorbereitet für die große Renaissance der Atomkraft. Theoretisch- denn faktisch wird die Rolle der Reaktoren in den nächsten Jahren schrumpfen.

Das jedenfalls ist das Ergebnis einer Studie des Schweizer Prognos-Instituts, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Im Auftrag des Bundesumweltministeriums hatten die Schweizer die internationalen Neubaupläne überprüft - und sehen nur für einen Bruchteil der avisierten Vorhaben echte Realisierungschancen.

"Wir erwarten bis 2030 keine Renaissance der Kernenergienutzung", heißt es in der Studie. "Vielmehr werden die altersbedingten Abschaltungen dazu führen, dass die Zahl der Reaktoren, die installierte Leistung und die Stromerzeugung in Kernkraftwerken deutlich zurückgeht."

So werde die Zahl der weltweit betriebenen Kernkraftwerke bis zum Jahr 2030 um fast 30 Prozent sinken. Angesichts von Finanzierungsproblemen oder politischer Instabilität werde zugleich nur ein Drittel der geplanten Neubauten realisiert - bestenfalls.

Weltweit sind derzeit 436 Kernkraftwerke in Betrieb, im Schnitt sind sie schon jetzt 24 Jahre alt. Seit 2002 ist die Zahl der Reaktoren sogar rückläufig; damals waren noch 444 Reaktoren am Netz.

Bei den vielen Bauvorhaben hingegen ruht vielerorts seit Jahren schon die Arbeit. Den Rekord hält derzeit das US-Projekt Watts-Bar 2 - in Bau mittlerweile seit 1972. Faktisch gebaut wird derzeit an 37 neuen Reaktoren. Nicht genug, um den Rückgang andernorts zu verkraften.

Wo gebaut wird, gibt es Probleme

Unterdessen stehen Vorhaben vor dem Aus, deren Verwirklichung schon als sicher galt. So nimmt die bulgarische Regierung Abschied vom Kernkraftwerk Belene. Das Kraftwerk, im Bau seit den Achtzigern, würde in einem Erdbeben-Gebiet stehen. Die neue Regierung in Sofia will davon nichts mehr wissen. Das aber ist schlecht für den deutschen Energiekonzern RWE, der sich an dem Neubau-Vorhaben beteiligen will.

Und selbst dort, wo schon gebaut wird, türmen sich Probleme: In Finnland zum Beispiel, wo der französische Areva-Konzern den Prototyp seiner neuesten Reaktor-Baureihe aufstellen will, auch Siemens ist beteiligt. Doch beim Bau reiht sich Verzögerung an Verzögerung.

Statt in diesem Jahr soll er nun erst 2012 in Betrieb gehen, und hinter den Kulissen drohen Bauherr und Baukonsortium einander wahlweise mit Milliarden-Klagen und Baustopp. Um 2,3 Milliarden Euro hat sich der Druckwasserreaktor der dritten Generation inzwischen verteuert, und das muss noch nicht alles sein.

An den Bauboom der siebziger und achtziger Jahre, so viel ist sicher, kommt die Industrie nicht heran. 1980 waren in der Spitze 199 Reaktoren zugleich im Bau. Heute ist es nicht einmal ein Fünftel.

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