Süddeutsche Zeitung

Atomkraft:Der große Zoff um die Reaktoren

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Rolle rückwärts beim Atomausstieg? Bund, Länder und Energiekonzerne streiten über die Zukunft der Kernenergie. Aus sehr unterschiedlichen Interessen wollen alle mitbestimmen. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

Michael Bauchmüller, Berlin

Ein Energiekonzept der Bundesregierung ist noch fern, doch der Streit um die Zukunft der Kernkraft ist voll entbrannt. Betreiber, Konkurrenten, Juristen, Koalition und Opposition - sie alle melden sich zu Wort. Die Süddeutsche Zeitung erklärt die wichtigsten Fragen.

Welche Verlängerung ist möglich?

Ginge es nach den Betreibern, könnte sich die Lebensdauer der Reaktoren auf 60 Jahre verlängern. So ist es auch in den Niederlanden und den USA geregelt. Erfahrungen darüber, wie stabil ein so altes Kraftwerk ist, liegen nicht vor. Bisher ist die Laufzeit der deutschen Kernkraftwerke auf 32 Jahre begrenzt, rein rechnerisch. Entsprechende Strommengen waren den AKWs im rot-grünen Atomkonsens im Jahr 2000 zugeteilt worden. Weil Reaktoren immer mal wieder stillstehen, ist der älteste deutsche Reaktor, Biblis A, schon jetzt 36 Jahre am Netz.

Weil die meisten Reaktoren längst abgeschrieben sind, wollen deren Betreiber möglichst lange Laufzeiten herausholen - sie machen gute Gewinne mit dem Atomstrom. Ähnliche Ziele verfolgen die unionsgeführten Länder Bayern und Baden-Württemberg, die stark von den AKW abhängen. Allerdings ist der Widerstand groß. So wollen Umweltschützer nach wie vor am liebsten alle Kernkraftwerke sofort abschalten. Viele Stadtwerke wollen am Atomausstieg festhalten, weil die Kernkraftwerke in Konkurrenz zu kleineren, kommunalen Kraftwerken stehen. Das Gleiche gilt für die Anbieter von Ökostrom. Auch die Nordländer Niedersachsen und Schleswig-Holstein halten wenig von längeren Laufzeiten. Sie setzen auf Windstrom. In Union und FDP setzt sich der Streit fort: Wirtschaftspolitiker wollen am Atomstrom festhalten, weil sie andernfalls um die Sicherheit der Stromversorgung bangen, Umweltpolitiker dagegen wollen sich aus der Technologie verabschieden.

Nach der Sommerpause will die Bundesregierung rasch ihr Energiekonzept aufstellen. Berechnungen dazu sollen in zwei Wochen vorliegen, danach beraten die Koalitionsfraktionen. Ende September will das Kabinett Eckpunkte für die künftige Energieversorgung festschreiben - und damit auch die Rolle der Kernkraft. Das Gesetzgebungsverfahren geht dann erst los. Liefe alles glatt, könnte es Anfang März abgeschlossen sein. Doch das gilt als unwahrscheinlich.

Weil für die Betreiber längere Laufzeiten so lukrativ sind, will der Staat einen Teil der Gewinne abschöpfen. Sie sollen auch dem Ausbau erneuerbarer Energien dienen, etwa durch weitere Stromleitungen oder neue Speicher für Ökostrom. Das Bundesfinanzministerium hat dazu eine Brennelementesteuer ersonnen, sie soll von 2011 an jährlich 2,3 Milliarden Euro einbringen. Im Haushalt ist das Geld schon eingeplant. Den Energiekonzernen passt die Steuer nicht. Denn theoretisch könnte der Bund sie auch dann einnehmen, wenn er die Laufzeiten nicht verlängert. Die Betreiber setzen stattdessen auf einen Energiewirtschaftsfonds, den sie selber verwalten möchten. Zwischen 20 und 30 Milliarden Euro könnten theoretisch in den Fonds fließen. Im Gegenzug soll der Bund vertraglich feste Zusagen über Laufzeiten, aber auch über die erforderliche Nachrüstung machen. Verändert er nachträglich die Bedingungen, können die Unternehmen die Zahlung einstellen. Die Opposition vermutet Erpressung. Die Bundesregierung Deutschland verwandele sich in eine "Bananenrepublik", sagt der SPD-Umweltpolitiker Michael Miersch.

Die Länder führen bisher im Auftrag des Bundes die Aufsicht über die AKW. Damit sind sie von der Verlängerung indirekt betroffen. Einige Juristen, unter ihnen die aus dem Innen- und Justizministerium, leiten daraus ein Mitspracherecht der Länder ab. Das heißt: Sollen die Laufzeiten verlängert werden, müsste auch der Bundesrat zustimmen. Nur: Schwarz-Gelb hat dort seit der Wahl in Nordrhein-Westfalen keine Mehrheit mehr. SPD, Grüne und Linkspartei könnten das Vorhaben zu Fall bringen. Die beiden Verfassungsressorts sehen nur einen Ausweg: Eine "moderate" Verlängerung ließe sich auch ohne Bundesrat machen. Maximal zehn Jahre extra, so heißt es in den Ministerien, seien mit dieser Einschränkung drin. Verschiedene Länder und auch die Opposition wollen klagen, sollte der Bundesrat übergangen werden.

Das hängt von den Auflagen für die Sicherheit ab. Da nach dem Atomkonsens die Abschaltung einiger Reaktoren absehbar war, waren vor allem in älteren Anlagen zuletzt einige Nachrüstungen unterblieben. Müssten sie nachgeholt werden, wird es für die Betreiber teuer - womöglich zu teuer. Allein die Forderung, Reaktoren vor Terroranschlägen zu schützen, etwa durch gezielte Flugzeugabstürze, könnte bis zu sieben der 17 Kernkraftwerke um die Betriebserlaubnis bringen. Schon gibt es Überlegungen in der Koalition, Restlaufzeiten solcher Altmeiler auf jüngere Anlagen zu übertragen. Deren Lebensdauer würde sich verlängern - auf Kosten älterer Meiler.

Das ist sehr unwahrscheinlich. Zwar erzeugen die AKW vergleichsweise billigen Strom - sie haben aber nur indirekt Einfluss auf den Preis an der Strombörse. Eher schon werden die Betreiber versuchen, zusätzliche Belastungen etwa aus der Brennelementesteuer auf den Strompreis abzuwälzen. In der Vergangenheit hatten sie damit meist Erfolg.

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Quelle:
SZ vom 14./15.08.2010
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