Süddeutsche Zeitung

China:Wie gefährlich ist das Atomkraftwerk Taishan?

Lesezeit: 3 min

Eine chinesische Anlage soll ein Leck haben, wie ein US-Fernsehsender berichtet. Doch die Internationale Atomenergiebehörde hat bislang keine Kenntnis von einem radiologischen Störfall in dem dicht besiedelten Gebiet.

Von Paul-Anton Krüger, Lea Sahay und Marlene Weiß, München/Genf

Eine Schmierenkampagne aus den USA, mal wieder. Und nichts Neues. So war die Stimmung vielerorts in China, kurz nachdem der Nachrichtensender CNN am Montag berichtete, dass die US-Regierung einem Hinweis des französischen Energieunternehmens EDF über ein Leck im chinesischen Atomkraftwerk Taishan nachgegangen sei. Versehen mit der Warnung vor einer "unmittelbar bevorstehenden radiologischen Bedrohung".

Die chinesischen Behörden haben den Vorfall direkt dementiert. Ein Sprecher des Außenministeriums erklärte am Dienstag, es gebe keine Anzeichen von Anomalien im Umfeld des Reaktors vom europäischen Typ EPR, den die EDF-Tochter Framatome errichtet hat. Überhaupt hätten Chinas Atomkraftwerke eine gute Betriebsbilanz, ohne Zwischenfälle mit Auswirkungen auf die Umwelt und die öffentliche Gesundheit, hieß es in Peking weiter.

Dabei kann einem die erste Nachricht durchaus einen Schrecken einjagen: Das aus zwei Blöcken bestehende Kraftwerk liegt etwa 40 Kilometer südlich der Millionenstadt Taishan an der Küste der chinesischen Provinz Guangdong. Und damit in direkter Nachbarschaft zum Perlflussdelta. In der dicht besiedelten Metropolregion leben 120 Millionen Menschen in Megastädten wie Shenzhen und Guangzhou. Die chinesische Sonderverwaltungszone Hongkong ist ebenfalls nur 130 Kilometer entfernt.

Bekannt geworden war die Warnung durch ein Schreiben von Framatome an die US-Regierung, aus dem CNN zitiert. Hintergrund ist offenbar, dass der Reaktor von einem chinesisch-französischen Joint Venture betrieben wird. EDF ist mit 30 Prozent an dem Kraftwerk beteiligt, der staatliche Partner, die chinesische General Nuclear Power Group (CGN) hält 70 Prozent. Dieser findet sich allerdings auf einer Liste von Unternehmen des US-Handelsministeriums, mit denen US-Firmen keine Geschäfte machen dürfen, da sie aus Sicht Washingtons die nationale Sicherheit der USA gefährden.

Zum Austausch der Brennelemente müsste der Reaktor heruntergefahren werden

Framatome hatte sich offenbar um eine Ausnahmegenehmigung bemüht, um dennoch technische Daten und Unterstützung aus den USA in China nutzen zu dürfen, um das Problem zu beheben. Die Formulierung von einer "unmittelbar bevorstehenden radiologischen Bedrohung", die weltweit Besorgnis ausgelöst hat, ist einer der Gründe, der eine Ausnahme von den strikten US-Vorschriften zulässt.

Die Reaktoren in Taishan sind sehr modern. Der Reaktortyp EPR wurde gemeinsam von Framatome, dem mehrheitlich staatlichen französischen Energiekonzern EDF und Siemens entwickelt, es ist ein Druckwasserreaktor der dritten Generation. Der betroffene Block 1 ging Ende 2018 als erster der Baureihe ans Netz, der andere 2019. Weitere sind im finnischen Okiluoto, im französischen Flamanville und in Hinkley Point in Großbritannien im Bau, allerdings mit enormen Verzögerungen.

Anders als die älteren Siedewasserreaktoren wie etwa in Fukushima haben Druckwasserreaktoren zwei getrennte Wasserkreisläufe: Im sogenannten Primärkreislauf durchströmt das Kühlwasser den Reaktorkern und wird dabei unter Druck erhitzt, ohne zu sieden. Es wird dann in einen Dampferzeuger geleitet, um das Wasser im Sekundärkreislauf zu Dampf werden zu lassen, der die Turbinen antreibt.

Die Brennelemente im Reaktorkern enthalten jeweils eine Reihe von Brennstäben, die wiederum mit Pellets aus leicht angereichertem Uranoxid befüllt sind. Offenbar hat es in Taishan Lecks an der Hülle einiger dieser Brennstäbe gegeben, wodurch radioaktive Edelgase ins Kühlwasser gelangt sind. Diesen Anstieg zeigen Messinstrumente in dem Reaktor an, weil er die Leistung des Reaktors beeinflusst. Die chinesische Atomaufsicht bestätigte am Donnerstag Probleme mit den Brennelementen: Über den Kurznachrichtendienst Weibo teilte sie mit, es seien schätzungsweise fünf der 60 000 Brennstäbe beschädigt.

Dieses Problem kann durch einen Austausch der betroffenen Brennelemente behoben werden, wofür der Reaktor aber heruntergefahren werden muss. Ein Weiterbetrieb unterhalb der Grenzwerte ist möglich, dann müssen die Gase aber kontrolliert in die Atmosphäre abgegeben werden - das war nach Angaben von EDF in Taishan das Vorgehen, wie ein Sprecher der Nachrichtenagentur AFP sagte. Solche Lecks an Brennstäben sind nichts ganz Ungewöhnliches, das ist auch in Deutschland schon mehrfach vorgekommen, etwa an den Siedewasserreaktoren in Gundremmingen.

Nach Angaben des Betreiberkonsortiums blieb die gemessene Konzentration im Kühlwasser innerhalb der zulässigen Grenzen, obwohl das Problem laut CNN seit Oktober 2020 besteht. Die Internationale Atomenergiebehörde teilte am Montag mit, sie habe bislang keine Kenntnis von einem radiologischen Störfall in der Anlage.

Allerdings ist unbekannt, wie hoch die chinesischen Grenzwerte sind. Laut anonymen Quellen, die das französische Blatt Les Échos zitiert, überschreiten die gemessenen Konzentrationen die französischen Grenzwerte für den Reaktorbetrieb "bei Weitem". Laut CNN hat Framatome in dem Schreiben an das US-Energieministerium berichtet, die Grenzwerte für Radioaktivität in der Außenluft seien bereits angehoben worden und könnten noch weiter steigen, um den Weiterbetrieb des Reaktors zu erlauben. Der Süden Chinas leidet seit Wochen unter Energieknappheit, die zahlreiche Fabriken zwingt, ihre Produktion zurückzufahren.

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