Atomkraftwerke:Bundesumweltministerin wirft Söder Verantwortungslosigkeit vor

Der Ausstieg aus der Kernenergie ist vollzogen. Ministerpräsident Söder will in Bayern einen Reaktor in Eigenverantwortung weiterbetreiben - und stößt auf Widerstand.

Von Constanze von Bullion und Claus Hulverscheidt, Berlin

Die letzten Atomkraftwerke in Deutschland sind abgeschaltet, schon beginnt die Debatte über einen Neustart. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) teilte am Wochenende mit, einen Atommeiler in Bayern weiter betreiben und dafür das Atomgesetz ändern zu wollen. Die Zuständigkeit solle den Ländern übertragen werden. Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) wies die Forderung scharf zurück und sprach von Verantwortungslosigkeit.

"Es ist geradezu bedrückend, wie ein Ministerpräsident genehmigungs- und verfassungsrechtliche Fragen und Aspekte der nuklearen Sicherheit so leichtfertig ignoriert", sagte Lemke der Süddeutschen Zeitung. "Die Zuständigkeit für die Atomkraft liegt nach dem Grundgesetz beim Bund." Die Länder könnten Kernkraftwerke lediglich im Bundesauftrag betreiben. Außerdem sei die Berechtigung zum Leistungsbetrieb für den Meiler Isar 2 erloschen. "Selbst wenn man den Reaktor, wie Herr Söder es offensichtlich will, wieder ans Netz bringen möchte, reicht es dazu nicht, ihm eine neue Laufzeit rechtlich einzuräumen. Es bedürfte quasi einer Neugenehmigung des Reaktors", so Lemke. Söder versuche, den Abbau der Atomkraftwerke "gegen die Interessen des Strahlenschutzes" hinauszuzögern. Das sei mit der Rechtslage unvereinbar. "Im Gegenteil kommt es jetzt darauf an, durch einen zügigen Rückbau die Sicherheit ganz nach vorne zu stellen."

Atomkraftwerke: Für Atomkraftgegner war der Samstag ein Grund zur Freude, wie für diesen Mann, der in Neckarwestheim am Kraftwerksgelände entlangspaziert.

Für Atomkraftgegner war der Samstag ein Grund zur Freude, wie für diesen Mann, der in Neckarwestheim am Kraftwerksgelände entlangspaziert.

(Foto: Stefan Puchner/dpa)

Nach mehr als 60 Jahren Kernkraft in Deutschland waren am Samstag die letzten drei noch laufenden Meiler heruntergefahren worden: in Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen. Der Atomausstieg, der auf eine Entscheidung der früheren Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zurückgeht und besonders von den Grünen vorangetrieben wurde, gilt als historisch. Union und FDP kritisierten den Schritt. Sie forderten, klimaneutrale Kernkraftwerke erst abzuschalten, wenn klimaschädliche Energiequellen wie Kohle nicht mehr gebraucht würden. Aber auch die FDP lenkte ein, wenn auch gegen eigene Überzeugungen.

Der bereits produzierte Atommüll bleibe für 30 000 Generationen gefährlich, sagt Bundesumweltministerin Steffi Lemke

"Würde es nach mir gehen, würden wir bestehende Kernkraftwerke in der Reserve behalten und den Rückbau verhindern", sagte FDP-Chef Christian Lindner. Er bedauere es, dass es im Bundestag keine Mehrheit dafür gebe, die drei am Samstag abgeschalteten Atomkraftwerke zumindest betriebsbereit zu halten. Deutschlands Zukunft liege in erneuerbaren Energien, die aber erst nach einer Übergangsphase in ausreichender Menge zur Verfügung stünden. Bundesumweltministerin Lemke betonte hingegen, die Risiken bei Atomunfällen seien "letztlich unbeherrschbar". Der bereits produzierte Atommüll bleibe für 30 000 Generationen gefährlich. An mehreren Orten Deutschlands begrüßten Demonstrierende den Ausstieg. Die SPD-Bundestagsfraktion schrieb auf Twitter: "Atomkraft? Und Tschüss."

Bayerns Ministerpräsident Söder mochte derlei Frohsinn nicht teilen. Immer wieder hatte er Einwände gegen den Rückbau der letzten Atomkraftwerke vorgebracht - und Widerworte geerntet. Der Leistungsbetrieb von Kernkraftwerken vom 16. April an sei "eine Straftat", sagte der Atomaufseher des Bundes, Gerrit Niehaus, Abteilungsleiter für Nukleare Sicherheit und Strahlenschutz im Umweltministerium, der Deutschen Presse-Agentur. Markus Krebber, Chef des Energiekonzerns RWE, drang darauf, den Blick nach vorn zu richten: "Jetzt kommt es darauf an, die ganze Kraft dafür einzusetzen, neben erneuerbaren Energien auch den Bau von wasserstofffähigen Gaskraftwerken möglichst schnell voranzutreiben", teilte er mit.

Söder hielt das nicht davon ab, nun einen neuen Vorschlag zu unterbreiten: eine Änderung des Atomgesetzes, damit Bayern den Meiler Isar 2 am Netz halten könne. "Bayern fordert vom Bund eine eigene Länderzuständigkeit für den Weiterbetrieb der Kernkraft", sagte er der Bild am Sonntag. Solange der Übergang zu Erneuerbaren nicht gelungen sei, müsste man bis zum Ende des Jahrzehnts jede Energieform nutzen. Bayern sei bereit, "sich dieser Verantwortung zu stellen", und plane einen eigenen Forschungsreaktor.

"Der Vorschlag ist ein weiteres Beispiel dafür, dass Herr Söder kein Interesse an einer ernsthaften Befassung mit Sachthemen hat", sagte der Grünen-Politiker Anton Hofreiter der SZ. "Selbst Söder muss wissen, dass dies politisch keine Mehrheit hat und allein bei der Frage des Atommülls kaum umsetzbar ist." Dass der CSU-Politiker sich gegen die ergebnisoffene Suche eines Standorts für die Tiefenlagerung hochradioaktiver Abfälle gewandt habe, zeuge von "Verantwortungslosigkeit", so Lemke.

Der Bund hat bei der Nutzung der Kernenergie laut Grundgesetz die alleinige Gesetzgebungskompetenz. Die Länder sind zwar für die Genehmigung und Aufsicht der Anlagen zuständig, handeln hier aber im Auftrag des Bundes, der weisungsbefugt ist. Das Atomgesetz schreibt nach Abschalten der letzten Meiler zudem deren unverzüglichen Rückbau vor.

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